Parlamentswahlen in Ägypten:Die Wahl, die keine ist

Deposed President Mohamed Mursi greets his lawyers and people from behind bars at a court wearing the red uniform of a prisoner sentenced to death, during his court appearance with Muslim Brotherhood members on the outskirts of Cairo, Egypt

Ausgeschaltet ebenso wie die Muslimbruderschaft: Ex-Präsident Mursi.

(Foto: Amr Abdallah Dalsh/Reuters)
  • Bis Dezember soll in Ägypten ein neues Parlament gewählt werden. Es wird eine nierdige Wahlbeteiligung erwartet.
  • Die revidierte Verfassung sieht eigentlich eine starke Volksvetretung vor, doch sie wird wohl zu zersplittert sein, um etwas ausrichten zu können.
  • Die aussichtsreichsten Wahlbündnisse haben Präsident Sisi zudem schon ihre Unterstützung zugesagt.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Am Sonntag und Montag gehen die Ägypter den letzten Schritt eines Fahrplans, den das Militär ausgegeben hat, nachdem es Anfang Juli 2013 den frei gewählten, islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi abgesetzt hatte. Der Fahrplan soll zurück zur Demokratie führen. Das von der Muslimbruderschaft dominierte Abgeordnetenhaus hatte das Oberste Gericht schon im Juni 2012 aufgelöst; es erklärte das Wahlgesetz für verfassungswidrig.

Doch ist längst klar, dass auch nach den Parlamentswahlen, die Anfang Dezember abgeschlossen sein sollen, sich nichts Grundlegendes ändern wird an der übermächtigen Stellung des vom General zum Präsidenten aufgestiegenen Abdel Fattah al-Sisi, der das Land seit Mitte 2013 per Dekret regiert.

Der erste Schritt des Fahrplans, die revidierte Verfassung von Anfang 2014, sieht eigentlich ein starkes Parlament vor. Es muss die Regierung bestätigen, kann dem Premier oder Ministern das Vertrauen entziehen, muss alle Gesetze beschließen. Es kann sogar das Staatsoberhaupt anklagen und ein Referendum über vorgezogene Präsidentenwahlen herbeiführen.

Nur wer Geld hat, kann kandidieren

Doch die neue Volksvertretung wird absehbar zu zersplittert sein, um Sisi und dem Militär Paroli zu bieten - und die aussichtsreichsten Wahlbündnisse haben schon angekündigt, den Präsidenten in seiner Arbeit unterstützen zu wollen. In welchem Ausmaß, das wird sich zeigen, wenn die Abgeordneten als erste Aufgabe die von Sisi erlassenen Gesetze zu prüfen haben, darunter das umstrittene, extrem restriktive Protestgesetz.

Das Wahlgesetz reserviert 448 der 596 Sitze für individuelle Direktkandidaten, mehr als 5400 Bewerber treten an. Sie dürfen Parteien angehören, für den Erfolg ist aber ihr persönlicher Bekanntheitsgrad ausschlaggebend. Vor allem auf dem Land und in ärmeren Gegenden der Städte stellen sich Mitglieder einflussreicher Familien zur Wahl - unter ihnen etliche, die schon zu Zeiten des gestürzten Diktators Hosni Mubarak für die Staatspartei NDP im Abgeordnetenhaus saßen.

Eine Kandidatur kann sich ohnehin nur leisten, wer Verbindungen und Geld hat - in einem Land in dem 40 Prozent der Menschen an oder unter der Armutsgrenze leben. "Das sind keine wirklichen Wahlen", sagt Khaled Dawoud, der frühere Sprecher der liberalen Dostour-Partei. "Wir sehen, dass alle möglichen Leute kandidieren, die meisten frühere NDP-Mitglieder oder Geschäftsmänner, die versuchen, sich einen Sitz im nächsten Parlament zu kaufen." Die Revolutionäre von 2011, von denen es schon ins erste frei gewählte Parlament nur wenige schafften, haben sich zumeist in die innerer Emigration zurückgezogen.

Es gibt mehr als 100 Parteien

Nur 120 Mandate werden nach Mehrheitswahlrecht über geschlossene Parteilisten vergeben. Zwei Wahlkreise stellen je 15 Abgeordnete, die zwei anderen je 45. In Ägypten gibt es mehr als 100 Parteien; die Tatsache, dass außer der siegreichen Liste alle anderen leer ausgehen, hat dazu geführt, dass sich lose Parteienallianzen gebildet haben. Außer dem Willen, die Siegchancen zu maximieren, verbinden sie oft nicht viel mehr als ein paar Prinzipien.

Emad Gad, Sprecher des neun Parteinen umfassenden Bündnisses "Für die Liebe zu Ägypten", sagt, von einem gemeinsamen Programm könne man nicht sprechen. Er vermutet, die stärkste Partei werde, Direktkandidaten und Listenmandate zusammen, nicht mehr als zwölf bis 15 Prozent der Sitze kontrollieren. Selbst sein Bündnis, das als einziges in allen Wahlkreisen für die Parteilisten antritt, werde keine Mehrheit erlangen. Die Allianz gilt als regimenah; Präsident Sisi hatte die Parteien aufgefordert, sich zu einer Einheitsliste zusammenzuschließen. Damit wären die Listenmandate vor der Wahl verteilt worden.

Zudem ist die Muslimbruderschaft und ihre Partei für Freiheit und Gerechtigkeit, die inzwischen als Terrororganisation verboten und aufgelöst ist, aus dem demokratischen Prozess ausgeschlossen. Bei der vorigen Wahl war sie mit 37 Prozent der Stimmen und fast der Hälfte der Sitze stärkste Kraft. Islamistisch gesinnten Wählern bleibt als einzige vom Staat noch erlaubte Alternative die salafistische Nur-Partei. Sie war 2012 überraschend zweitstärkste Kraft geworden.

Heute wird ihr - je nach Blickwinkel - nachgesagt, sie habe Verbindungen zum Sicherheitsapparat oder sei von diesem unterwandert. Aber auch die Nur-Partei gerät zunehmend unter Druck: Eine Kampagne sammelte mehr als 1,25 Millionen Unterschriften für ein Petition , die ihr vorwirft, gegen das in der Verfassung verankerte Verbot religiöser Parteien zu verstoßen und die Wahlkommission auffordert, eine Untersuchung einzuleiten.

Anhängern der Muslimbruderschaft bleibt nur der Boykott

Für überzeugte Anhänger der Bruderschaft dürfte sie ohnehin kaum wählbar sein, hatte sie doch an der Seite vieler säkularer Parteien und des koptischen Papstes die Machtübernahme des Militärs mitgetragen. Ihnen bleibt nur der Boykott. Allerdings ist auch nicht klar, wie viel Unterstützung die Bruderschaft in Ägypten noch mobilisieren könnte - brauchbare Erhebungen dazu gibt es nicht. Wer sich offen zu den Islamisten bekennt, riskiert, verhaftet zu werden. Viele Wähler hatten 2012 für sie gestimmt, weil sie am besten organisiert waren, ein Netz von Schulen Krankenhäusern und Wohlfahrtsorganisationen unterhielten. Auch konnte man sicher sein, dass sie mit dem alten Regime und dessen korrupten Seilschaften brechen wollten.

Unter Mubarak stellte die damals ebenfalls offiziell verbotene Bruderschaft vom Regime geduldet bis zu 80 Abgeordnete, die als Unabhängige antraten. Als wahrscheinlich gilt, dass sich unter den Bewerbern für die Direktmandate der eine oder andere mit Verbindungen zu den Islamisten befindet und es ins Parlament schaffen könnte. Die Regierung hatte versucht, dies durch einen neuen Zuschnitt der Wahlkreise zu verhindern. Das Oberste Gericht verwarf aber die entsprechenden Passagen des Wahlgesetzes. Die Korrektur machte eine Verschiebung der ursprünglich für März vorgesehenen Abstimmung nötig.

Auch das hat dazu beigetragen, dass unter den Ägyptern sich Desinteresse und Wahlmüdigkeit breitgemacht hat. Die Beteiligung wird nach den meisten Prophezeiungen sehr deutlich unter dem Durchschnitt von 54 Prozent bei allen Phasen der Parlamentswahl 2011 und 2012 liegen; erwartet werden nur etwa 35 Prozent.

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