Wahlanalyse in Polen:Wo früher Deutsche lebten, sind die Menschen heute pro-europäisch

Mit der Präsidentenwahl ist in Polen ein Wahlmarathon zu Ende gegangen, es wurden Sejm, Senat und Staatsoberhaupt neu bestimmt. Erste Analysen dieser Wahlen bestätigen, was sich bereits beim EU-Referendum und den Europa-Wahlen 2004 abzeichnete: Mitten durch das Land zieht sich eine politische Grenze.

Der Norden und der Westen sind pro-europäisch und haben nun für die liberalkonservative Bürgerplattform (PO) und ihren aus Danzig stammenden Vorsitzenden Donald Tusk gestimmt. Der Osten und der Süden dagegen sind EU-skeptisch und haben sich mehrheitlich für den nationalpopulistischen Warschauer Oberbürgermeister Lech Kaczynski entschieden.

polen, SZ

Das zweigeteilte Polen

(Foto: Grafik: Süddeutsche Zeitung)

Es hat Diskussionen hervorgerufen, dass diese politische Trennlinie nahezu deckungsgleich mit der deutsch-polnischen Vorkriegsgrenze ist. Politologen sehen denn auch in der Geschichte die Ursachen für diese augenfälligen Wählerpräferenzen: In Masuren, Pommern, Schlesien gehört der Kontakt zu Deutschen zum Alltag der Bevölkerung. Denn dorthin sind in den letzten beiden Jahrzehnten Zehntausende von Heimatvertriebenen gereist.

Kontakte zu Deutschland

Mehr als 400 Gemeinden und Pfarreien haben seit Anfang der neunziger Jahre die Heimattreffen der einstigen deutschen Einwohner organisiert, die nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben wurden. So organisiert die Landsmannschaft Ostpreußen seit Jahren gemeinsam mit polnischen Amtsträgern aus der Woiwodschaft Ermland und Masuren einen kommunalpolitischen Kongress.

Aus all diesen Kontakten folgt, dass Warnungen der Kaczynski-Zwillinge vor den Deutschen in diesen Gebieten nur ein geringes Echo finden. Auch der Vorwurf an die Adresse Tusks, sein Großvater habe als Bürger Danzigs in der Wehrmacht gedient, wird im Westen und Norden Polens eher gleichmütig zur Kenntnis genommen: Für die dort lebenden Minderheiten, die zweisprachigen Oberschlesier, die Kaschuben und Masuren, ist es Teil ihrer Geschichte, dass die Großvätergeneration zur Wehrmacht eingezogen wurde.

Hinzu kommt, dass die in die Oder-Neiße-Gebiete übergesiedelte polnische Bevölkerung überwiegend aus den Teilen Polens stammt, die im Zweiten Weltkrieg von der Sowjetunion annektiert wurden.

In deren kollektivem Gedächtnis hat sich tief der sowjetische Terror der Jahre 1939 bis 1941 eingegraben, als Tausende Angehörige der polnischen Elite ermordet und Zehntausende nach Sibirien und an den Polarkreis deportiert wurden. Hingegen wird die Erinnerung der Einwohner Zentral- und Südpolens vom deutschen Besatzungsterror beherrscht, der seinen Höhepunkt mit der Zerstörung Warschaus erreichte.

Dass nun der Bund der Vertriebenen in Berlin ein Zentrum gegen Vertreibungen einrichten möchte, wird daher von den Warschauern als Versuch der Geschichtsrevision angesehen und hat zu heftigen Protesten geführt, bei denen sich besonders der frühere Außenminister Wladyslaw Bartoszewski zu Wort meldet. Hingegen geht man in den ehemaligen deutschen Ostgebieten deutlich entspannter mit dem Thema um, weil die ältere Generation Augenzeuge der Vertreibung der Deutschen wurde.

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