Wahl zum Bundespräsidenten:"Nie eine solche Polarisierung in der amerikanischen Innenpolitik erlebt"

German Foreign Minister Frank Walter Steinmeier attends the weekly cabinet meeting in Berlin

"Wir spüren, dass nichts unumkehrbar ist", sagt der Mann, der bald das deutsche Staatsoberhaupt sein wird.

(Foto: REUTERS)

Kurz vor der Bundespräsidentenwahl zieht Frank-Walter Steinmeier Bilanz. Er sieht Europa bedroht von vielen Seiten - und zeigt sich entsetzt über Trumps bisherigen Kurs.

Von Stefan Braun und Stefan Kornelius

Kanzleramt, Auswärtiges Amt, Schloss Bellevue - Frank-Walter Steinmeier, der scheidende Außenminister, hat politisch schon viel erlebt. Die Anschläge von New York und ihre Folgen, die Agenda 2010 und den Kampf gegen den Irakkrieg, dazu Sieg und Niederlagen bei Bundestagswahlen. Trotzdem kann auch er noch überrascht werden.

Noch nie, sagt Steinmeier, habe er einen Wahlkampf erlebt wie den vergangenen in den Vereinigten Staaten. "Ich war trotz langer Jahre in der Politik entsetzt über diesen amerikanischen Wahlkampf'', betont Steinmeier im Interview mit der Süddeutschen Zeitung zum Abschied als Außenminister. Nun könne man nur hoffen, dass Trump sich als Präsident im Amt ändere.

"Es geht nicht um Kleinigkeiten, sondern um Grundfragen unseres Selbstverständnisses, wie bei der Haltung zur Folter", warnt Steinmeier. Er verweist auf die Schärfe der Auseinandersetzung in den Vereinigten Staaten: "Nie haben wir eine solche Polarisierung in der amerikanischen Innenpolitik erlebt, und niemand, nicht einmal er selbst, wird bestreiten können, dass der Wahlkämpfer Trump daran einigen Anteil hatte.''

Verwunderung über Trump

Steinmeier hofft nun darauf, dass es trotz aller aktuellen Sorgen gelingt, die neue US-Administration vom Nutzen des transatlantischen Verhältnisses und seiner Bedeutung als Fundament des Westens zu überzeugen. "Dieses Fundament ist nur stark, wenn es von beiden Seiten getragen und gepflegt wird.''

Dabei räumt der SPD-Politiker ein, dass es schwer werden dürfte, dem neuen US-Präsidenten die Bedeutung der EU für Europa selbst zu erklären. "Ich habe nicht die naive Hoffnung, ihm das Wachsen und Werden der Europäischen Union aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs erklären zu können'", so der scheidende Minister. "Aber dass die USA nichts davon haben, wenn Europa geschwächt, wird, das sollte einleuchten.'"

Verwundert zeigt sich Steinmeier darüber, wie wenig Trump vom freien Welthandel halte und wisse. "Dass ein französischer und ein chinesischer Präsident ihrem neuen amerikanischen Kollegen die Vorteile einer offenen Welt und eines freien Welthandels öffentlich nahebringen müssen, hätte ich mir bis vor wenigen Tagen beim besten Willen nicht vorstellen können", sagt der Minister, der an diesem Freitag sein Amt an Nachfolger Sigmar Gabriel übergeben wird. Mit Blick auf die vielen EU-Kritiker innerhalb der Union betont er, es wäre "geradezu grotesk", sollte Europa "das in nun fast 60 Jahren Wachstum und Fortschritt Erreichte aufgeben".

Nationalismus, Atomabkommen, Krieg in Syrien

Mit deutlichen Worten warnt er vor dem sich ausbreitenden Nationalismus. "Wo Patriotismus zu Nationalismus wird, wird es ernst und gefährlich", so Steinmeier. "Wir spüren, dass nichts unumkehrbar ist und der Frieden auch in Europa immer wieder neu begründet und verteidigt werden muss."

Für gefährlich hält der designierte Bundespräsident auch alle Überlegungen, das Atomabkommen mit Iran in Frage zu stellen. Der Vertrag habe einen Krieg in der Nahost-Region verhindert; entsprechend gefährlich wäre es, ihn aufzukündigen. "Mir will nicht einleuchten, wie das im amerikanischen oder israelischen Interesse sein soll", so Steinmeier. "Die Ängste werden nicht kleiner dadurch, dass Iran wieder an der Entwicklung von Atomwaffen arbeitet."

Scharfe Kritik übt Steinmeier freilich nicht nur an der jetzigen US-Administration. Nachdenklich äußert er sich zum Krieg in Syrien und dem Verhalten mancher westlicher Verbündeter. Die Geschichte dieses Krieges sei eine Chronik der verpassten Chancen - und ein Beleg für die Unfähigkeit auch westlicher Verbündeter. Dies habe schon vor Ausbruch des Krieges begonnen. "Ich war wahrlich kein Sympathisant Assads, aber ich fand es notwendig, dem jungen Präsidenten Assad Wege der Zusammenarbeit mit dem Westen aufzuzeigen", betont Steinmeier.

In Washington und Paris aber sei das auf heftige Kritik gestoßen. "Man zog es vor, Syrien zum Teil einer imaginären Achse des Bösen zu machen." Und als Kofi Annan nach Ausbruch des Krieges Vorschläge zur Lösung gemacht habe, hielten viele "diese schon deshalb für unannehmbar, weil sie nicht das sofortige Ende von Assad vorsahen". Mit etwas mehr Realismus, so Steinmeier, hätten die beiden ersten Syrien-Konferenzen schon zum Erfolg führen können.

Russland, Astana, Vereinte Nationen

Mahnende Worte richtet der designierte Bundespräsident auch an Russland. Dessen Militäreinsatz in Syrien habe zwar zum Fall Aleppos und zur Stützung des Assad-Regimes beigetragen. Eine Lösung für Syrien aber sei das "noch lange nicht", so Steinmeier. "Dass es eine militärische Lösung für Syrien gibt, glaubt nicht einmal Russland."

Moskau wisse wie die Türkei genau, dass die Lösung des Konflikts nur unter Beteiligung derjenigen Akteure gelingen kann, die immer ihre Hand im syrischen Krieg hatten.'' Deshalb sei das jüngste Syrien-Treffen in der kasachischen Hauptstadt Astana nicht mehr als ein Zwischenschritt. "Russland und die Türkei werden das Interesse haben, die Verantwortung für die politische Lösung auf mehrere Schultern zu verteilen", prognostiziert Steinmeier. Deshalb würden die beiden Länder die Gespräche wieder unter das Dach der Vereinten Nationen zurückgeben.

Mit Blick auf den Trend zu autoritäreren Regimen warnt der SPD-Politiker vor dem "naiven Glauben, dass in einer komplexeren Welt autoritäre Führer schneller und besser entscheiden". Demokratien müssten immer wieder beweisen, dass das schlicht falsch sei. Deutschland sei dafür das beste Beispiel.

Abschottung hilft nicht

"Wir haben sicher nicht immer alles richtig gemacht", so der designierte Bundespräsident, "aber in Zeiten großer ökonomischer Herausforderungen haben wir die Kraft gefunden, uns zu erneuern." Wenn nun immer mehr Regime die Tendenz hätten, sich abzuschotten, dann werde dies den Staaten auf Dauer nicht helfen. "Allein lassen sich vielleicht Lösungen verhindern", so Steinmeier. Wer aber Lösungen in Fragen wie Armut und Ungleichheit, Klima und Umwelt, Wirtschaft und Handel suche, brauche Partner. "An dem Befund kommen auch autoritäre Staatsführer nicht vorbei."

Vom Außenminister zum Bundespräsidenten - wie wird er seine neue Rolle definieren? Unbequem will wohl auch er sein - obwohl er es nicht dauernd sagen möchte. "Das Potenzial für Unbequemlichkeit steckt in der verfassungsrechtlichen Rollenbeschreibung des Bundespräsidenten", betont das künftige Staatsoberhaupt. "Damit muss man nicht verschwenderisch, sondern klug umgehen, wenn man gehört werden will."

Wenn alles läuft, wie von der großen Koalition geplant, wird Steinmeier am 12. Februar von der Bundesversammlung gewählt - und wird am 18. März im Schloss Bellevue einziehen.

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