Wahl zum Abgeordnetenhaus:Berlin vor Rot-Rot-Grün

Die beiden regierenden Volksparteien werden abgewählt, die SPD bleibt stärkste Kraft und kann in einem Dreierbündnis weiterregieren. Die AfD wieder zweistellig, auch die FDP ist drin.

Von Jan Heidtmann

Die große Koalition in Berlin ist abgewählt. CDU und SPD haben bei der Wahl in der Hauptstadt deutlich an Stimmanteilen verloren, die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) hingegen wird mit einem zweistelligen Ergebnis zum zehnten Mal in ein Landesparlament einziehen. Dies lag nach Analyse der Forschungsgruppe Wahlen vor allem daran, dass sie Nichtwähler mobilisieren konnte. Laut Hochrechnungen bekommt die SPD in Berlin 21,7, die CDU 17,8 Prozent der Stimmen, es sind für beide Parteien die schlechtesten Ergebnisse in Berlin seit 1946. Die AfD erhielt aus dem Stand 13,9 Prozent der Stimmen. Die stellvertretende Parteivorsitzende Beatrix von Storch, sagte, "die AfD ist jetzt in der Hauptstadt angekommen", sie nehme nun Kurs auf den Bundestag. Die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus fand ein Jahr vor der Bundestagswahl 2017 statt und wurde auch als Urteil über die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel gewertet. Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Grosse-Brömer, sagte aber, es sei "äußerst gewagt", Berliner Ergebnisse auf die Bundespolitik zu übertragen. CDU-Generalsekretär Peter Tauber erklärte die Niederlage damit, dass "dieser Senat so unbeliebt gewesen ist wie keine andere Landesregierung." Er machte jedoch auch die CSU für die negativen Werte mitverantwortlich: "Wenn es innerhalb der Union Streit gibt, dann hilft das vor Ort nicht - gerade wenn dieser Streit so geführt wird, wie er derzeit aus München geführt wird". Einen "massiven Weckruf" nannte Bayerns Finanzminister Markus Söder das Wahlergebnis: "Der Union droht ein dauerhafter und massiver Vertrauensverlust in ihrer Stammwählerschaft."

Die Grünen kommen laut Hochrechnungen auf 15,3, die Linken auf 15,6 Prozent. Die FDP überraschte, sie kann mit einem Stimmenanteil von 6,6 Prozent wieder in das Abgeordnetenhaus zurückkehren. Die Piraten, deren Aufstieg mit der Wahl vor fünf Jahren begann, werden nicht wieder in das Abgeordnetenhaus einziehen.

Berlin wird seit 2011 von einer Koalition aus SPD und CDU regiert. Dieses Bündnis hat nun keine Mehrheit mehr. Trotzdem sieht der Regierende Bürgermeister Michael Müller in dem Wahlergebnis ein klares Signal: "Wir haben einen Regierungsauftrag." Im Wahlkampf hatte er sich für eine Koalition mit den Grünen ausgesprochen, nun sagte Müller, er wolle "Sondierungsgespräche mit allen Parteien führen, die in Frage kommen". Die Grünen kündigten an, nicht für eine Koalition mit CDU-Beteiligung zur Verfügung zu stehen. Die Generalsekretärin der SPD, Katarina Barley, sagte, die Bundespartei werde keinen Ratschlag für ein Bündnis in Berlin erteilten: "Es ist guter Brauch, dass wir diese Entscheidung den Ländern überlassen." Bei der Wahl 2011 hatten die Sozialdemokraten noch 28,3 Prozent der Stimmen gewonnen und waren klarer Sieger der Wahl. Damals wurde Berlin von Klaus Wowereit regiert. Wowereit trat im Dezember 2014 unter anderem wegen des Debakels um den Flughafen BER zurück, ihm folgte Michael Müller. Die CDU wurde 2011 zweitstärkste Partei (23,3 Prozent), die Grünen landeten mit 17,6 Prozent auf dem dritten Platz. Die Linke erhielt 11,7 Prozent, die Piraten 8,9 und die FDP 1,8 Prozent. Zu den eindeutigen Gewinnern der Wahl am Sonntag gehört den Hochrechnungen zufolge neben AfD und FDP auch die Linke. "Für uns als CDU ist das Ergebnis absolut unbefriedigend", sagte Berlins Innensenator Frank Henkel, "ich war Spitzenkandidat und habe natürlich einen Anteil an Verantwortung. Aber zurücktreten werde ich nicht." Henkel verwies auf die Auseinandersetzung innerhalb der Union: "Insbesondere der Streit zwischen CDU und CSU auf offener Bühne hat uns nicht geholfen."

wahlen letzte hochrechnung berlin 23.35

SZ-Grafik: Mainka; Quelle: Forschungsgruppe Wahlen

Die Hochrechnungen zeigten eine tiefe Spaltung der Stadt. So kam die Linke im Westen auf 10,1 Prozent, im Ostteil aber auf 23,3 Prozent. Die AfD erzielte im Westteil 11,8 und im Ostteil 16,8 Prozent, im Bezirk Marzahn-Hellersdorf war sie mit wenigen Zweitstimmen Vorsprung sogar stärkste Partei. Bemerkenswert ist auch das Ergebnis der FDP, die im Westen 8,5 und im Osten 4,0 Prozent der Stimmen erhält. Die CDU liegt in den Ostbezirken nur bei 13,2 Prozent. Bei der SPD verteilen sich die Stimmen auf 19,4 (Ost) und 23,4 (West) Prozent. Gegen 23:30 Uhr waren 99 Prozent der Zweitstimmen ausgezählt, es lag aber noch kein amtliches Endergebnis vor. Die Wahlbeteiligung lag den Auswertungen zufolge bei gut 66 Prozent. Vor fünf Jahren hatten nur 60 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Auch bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern vor zwei Wochen war die Wahlbeteiligung stark gestiegen, dies kam vor allem der AfD zugute. Nach den ersten Wählerbefragungen bekam die AfD den weitaus größten Teil ihrer Stimmen, nämlich 47 Prozent, von den Berlinern, die 2011 nicht zur Wahl gegangen waren. 22 beziehungsweise elf Prozent der Stimmen stammten von früheren CDU- und SPD-Wählern. Im Wahlkampf hatte der Regierende Bürgermeister seine Kritik an der AfD deutlich formuliert. Es sei nicht egal, ob die AfD zehn oder 14 Prozent der Stimmen bekomme, schrieb Müller in einem Zeitungsbeitrag. Ein Rechtsruck würde das Klima in der Stadt deutlich verändern.

Der Wahlkampf in Berlin wurde trotz der Probleme der Stadt als inhaltsarm gewertet. So erlebt Berlin zwar einen starken wirtschaftlichen Aufschwung. Der Zuzug von jährlich rund 40 000 Menschen, aber auch die Flüchtlingskrise deckten jedoch erhebliche Mängel in Infrastruktur und Verwaltung auf. Zudem machten sich viele Berliner Sorgen wegen der drastisch steigenden Mieten.

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