Wahl-Thesentest zur Europawahl:Deutsche Politiker wollen Europa und den Euro

Sind die EU und der Euro noch zu retten? Hat sich der Rettungsschirm als Instrument in der Krise bewährt? Soll Deutschland in der Eurozone bleiben? Im Wahl-Thesentest der SZ haben mehr als 200 Kandidaten für die Europawahl diese Fragen beantwortet. Die Auswertung.

Von Kathrin Haimerl

In den vergangenen Monaten häuften sich die positiven Nachrichten: Irland ließ als erster Krisenstaat das Rettungsprogramm hinter sich, dann gelang es Griechenland, wieder Kredite an den Finanzmärkten zu bekommen. Und vor kurzem verließ Portugal den Euro-Rettungsschirm. Doch die Arbeitslosenzahl ist noch immer hoch, ebenso wie der griechische Schuldenberg. Wie sehen die deutschen Kandidaten für die Europawahl die Euro-Rettungsmaßnahmen? Zahlt Deutschland zu viel? Soll die Bundesrepublik in der Eurozone bleiben?

Mehr als 200 Abgeordnete und Kandidaten für die Europawahl haben am Wahl-Thesentest von Süddeutsche.de teilgenommen. Sie hatten - wie Sie, liebe Leser - die Möglichkeit, zu den von uns formulierten Thesen auf einer Skala von 0 ("Ich stimme absolut nicht zu") bis 100 ("Ich stimme absolut zu") Stellung zu beziehen. Die Zwischenstufen "Ich stimme eher nicht zu", "Ich bin unentschieden" und "Ich stimme eher zu" wurden zur Berechnung durch die Werte 25, 50 und 75 ersetzt. Anschließend berechneten wir für jede Partei den Durchschnitt, das arithmetische Mittel. Je höher dieser Mittelwert, desto größer die Zustimmung der Abgeordneten einer Partei zu einer bestimmten These. Hier die Ergebnisse zu den Fragen aus dem Bereich "Europa in der Krise".

Eurozone? Finden fast alle gut

Deutschland solle die Eurozone verlassen und mit anderen wirtschaftlich starken Ländern einen sogenannten Nord-Euro bilden. Mit dieser Forderung will die AfD im Europawahlkampf punkten. Die anderen Parteien sehen das vollkommen anders. "Deutschland sollte die Eurozone verlassen", das finden genau null Befragte von Grünen, FDP und Piraten. Sehr niedrige Zustimmunswerte erreichen auch CDU (4) und CSU (9), SPD (6), Linke (5) und Freie Wähler (10), sie lehnen einen Austritt der Bundesrepublik aus der Eurozone nahezu vollkommen ab. Auf breite Zustimmung trifft die Aussage bei der AfD, wobei hier durchaus überrascht, dass der Mittelwert lediglich bei 70 liegt. Denn die AfD hat in anderen Fragen, die ebenfalls ihre Kernthemen betreffen, sehr viel geschlossener abgestimmt. Ein Blick in die Kommentare zeigt: Man ist sich in der Partei nicht ganz einig, wer austreten soll. Deutschland? Oder doch eher die "Südländer", für die "der Euro zu stark" sei?

Ganz anders lesen sich die Kommentare bei den übrigen Parteien. Mehrere Grüne und Liberale warnen vor unkalkulierbaren Risiken, die eine Teilung oder Auflösung der Eurozone mit sich bringen würde. Deutschland profitiere mit seiner exportorientierten Wirtschaft vom Euro und trage deshalb auch eine besondere Verantwortung. Ein Unionskandidat kommentiert die Aussage, "Deutschland soll aus der Eurozone austreten", ganz einfach nur mit "Nein".

Geteilte Ansichten zum Euro-Rettungsschirm

Als Konsequenz aus der Schuldenkrise haben die Euro-Staaten 2012 mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) einen dauerhaften Rettungsschirm etabliert, um betroffene Staaten zu unterstützen und künftige Krisen zu vermeiden. Dieser ist höchst umstritten, Kritiker sehen darin eine Aushöhlung der Demokratie sowie eine Beschneidung der Kontrollbefugnisse nationaler Parlamente. Hat sich der Euro-Rettungsschirm als Instrument in der Krise bewährt? Die Kandidaten der AfD haben bei dieser Frage geschlossen mit Nein (0) gestimmt. Auf deutliche Ablehnung stößt der ESM auch bei den Linken (13).

Etwas differenzierter ist das Bild bei den anderen Parteien. Auf klare Zustimmung stößt der Rettungsschirm im bürgerlichen Lager: CDU, CSU und FDP finden mehrheitlich, dass sich der Rettungsschirm als Kriseninstrument bewährt hat, der Mittelwert liegt bei etwa 80. Auch die SPD äußert sich eher positiv (67). Piraten, Grüne und Freie Wähler sehen den dauerhaften Rettungsschirm hingegen eher skeptisch, der Mittelwert liegt hier zwischen 30 und 40.

Auch in den Kommentaren spiegelt sich das geteilte Stimmungsbild: Ein Kandidat der CDU schreibt, das Beispiel Griechenland zeige, dass sich der Rettungsschirm bewährt habe. Ganz anders sieht das ein Kandidat der Piratenpartei, der den Rettungsschirm als intransparent und undemokratisch bezeichnet. Bei den Grünen lautet der Tenor: Als Kriseninstrument habe sich der Rettungsschirm bewährt, aber nun gehöre er grundlegend reformiert, demokratisch wie sozial.

Deutschland zahlt und profitiert

Dass die EU vor allem eine teure und weitgehend nutzlose Veranstaltung ist, mit dieser These gehen die Eurokritiker der AfD auf Stimmenfang und greifen damit offenbar wachsende Ressentiments in der Bevölkerung auf. Zumindest zeigen Umfragewerte im Eurobarometer, dass das Misstrauen der Deutschen gegenüber den EU-Institutionen wächst. Wenig überraschend trifft die Frage, ob Deutschland in der EU zu viel bezahlen muss, bei den Kandidaten der AfD auf die höchste Zustimmung: Der Durchschnittswert liegt hier bei 89. Die Freien Wähler (63) und die CSU (57) liegen im Mittelfeld. Die CDU (27) lehnt die Aussage eher ab, ebenso wie die restlichen Parteien: FDP und SPD liegen bei einem Wert von etwa 20, noch deutlicher dagegen positionieren sich Piraten und Grüne mit einem Wert von etwa zehn.

Viele Kandidaten nutzten die Kommentarfunktion, um der Aussage zu widersprechen. Der Tenor: Deutschland zahlt viel, profitiert aber in weit höherem Maß. Eine Stabilisierung der EU liege im eigenen wirtschaftlichen Interesse, schreibt ein Kandidat der CDU. Viel Wirtschaftskraft bringe auch viel Verantwortung mit sich, kommentiert ein Befragter der Freien Wähler. Ein Grüner findet, Deutschland könne nur gemeinsam mit anderen EU-Ländern erfolgreich sein.

Europaweiter Mindestlohn

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet der Spitzenkandidat der Europäischen Konservativen, Jean-Claude Juncker, zum Wahlkampfauftakt einen Mindestlohn in mehreren europäischen Staaten forderte - ein Vorschlag, gegen den sich Kanzlerin Merkel auf Bundesebene lange gewehrt hat. Auch in unserem Wahlthesentest zeigen sich die Kandidaten von CDU und CSU von einem europaweiten Mindestlohn alles andere als begeistert: Bei der CDU erreicht die Aussage einen Mittelwert von 28, bei CSU gerade einmal 13. Wobei sich in den Kommentaren zeigt, dass Ablehnung nicht gleich Ablehnung ist: Eine Kandidatin zum Beispiel unterstützt den Mindestlohn, glaubt aber, dass er nur national funktionieren kann. Ein anderer findet, dass dafür die Preis- und Lohnniveaus in den EU-Mitgliedstaaten noch zu unterschiedlich sind. Noch unbeliebter ist die Forderung nach einem europaweiten Mindestlohn bei AfD und FDP (jeweils zwei). "Das ist nun wirklich Unsinn", empört sich ein AfD-Mitglied in den Kommentaren.

Ganz anders die Einschätzung bei folgenden Parteien: Auf große Zustimmung stößt die Forderung bei den Linken (96), bei der SPD (92) und bei den Piraten (89). Die Grünen erreichen einen Mittelwert von 69. Eher unentschieden sind die Freien Wähler (46).

Steueroptimierung legitim, solange legal

Die Regeln des europäischen Binnenmarktes erlauben geheime Konten, sie ermöglichen Firmengründungen, deren Eigentümer und Gewinne im Verborgenen bleiben. Steueroptimierung nennt sich das, wenn Unternehmen sämtliche juristische Möglichkeiten nutzen, um die Steuerlast zu senken. Das ist legal, aber ist es auch legitim? Die Parteien tun sich mit dieser Frage schwer, bei den meisten liegt der Durchschnittswert irgendwo im Mittelfeld. So stimmen CDU (61) und AfD (61) dieser Aussage noch am ehesten zu. Unentschlossen sind CSU (55), Freie Wähler (52) und die Liberalen (52).

Eher ablehnend hingegen ist die Haltung der Piraten (42), deutlich skeptischer die der SPD (14). Ein eindeutiges Nein haben nur die Grünen abgegeben. Sie kommen auf einen Mittelwert von acht Punkten. In den Kommentaren zeigt sich, was den Kandidaten bei der Beantwortung der Frage Schwierigkeiten bereitet. Viele argumentieren: Solange diese Schlupflöcher legal sind, könne man dies den Unternehmen nicht vorwerfen. Ein SPD-Kandidat attestiert hier ein "eklatantes Politikversagen". Die Politik sei gefragt, mit Gesetzen gegenzusteuern.

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