Wahl-Schock:Pittsburgh - The Day After

Es sieht aus, als ob Pennsylvania in einer Seifenblase gelebt hat. Viele haben wirklich gedacht, Kerry hätte gute Chancen - Eindrücke einer Deutschen in den USA vom Sieg der Republikaner.

Von Susanne Burger

Der erste Blick am frühen Morgen gilt dem Fernseher - es sieht nicht gut aus für Kerry. Selbst das Wetter ist grau und kalt.

Im Autoradio dann die feixenden Gewinner und ein paar sture Verlierer, die noch warten wollen, bevor sie die Sache endlich aufgeben können. Traurige, müde Mienen im Kindergarten und im Institut wird's nicht besser.

Es sieht aus, als ob wir in Pennsylvania in einer Seifenblase gelebt haben. Wir hatten wirklich gedacht, es gäbe gute Chancen für John Kerry.

Viele Leute haben sich wochenlang eingesetzt - ganz normale Leute, die sonst nicht viel mit Politik zu tun haben, haben demonstriert, sind mit Aufklebern, Plaketten und Plakaten rumgelaufen, haben diskutiert.

Sogar wir Ausländer, obwohl wir gar nicht wählen dürfen. Manche, die hier leben, haben große Opfer gebracht. Meine Freundin aus Frankreich ist sogar US-Staatsbürgerin geworden, nur um wählen zu können. Von ihr kommt heute auch die erste, tief frustierte Email.

Bislang war es ja so, dass ich oft das Gefühl hatte, Amerika im Gespräch mit anderen Deutschen verteidigen zu müssen. Schließlich war Bush ja 2000 kein klarer Gewinner gewesen. Bisher war es so. Jetzt ist das anders.

Mittags treffe ich mich mit Patricia, einer Pittsburgerin. Sie weint und ist sehr besorgt. Patricia denkt an die Umwelt und die Zukunft ihres Sohnes. Auch mit Einkommens-Einbussen rechnet sie. Heute fällt mir nicht viel ein, um sie zu beruhigen.

Inzwischen hat Kerry bekannt gegeben, dass er aufgibt. Wir rätseln, was eigentlich passiert ist und warum die Amerikaner diesmal tatsächlich mehrheitlich Bush gewählt haben. Schließlich hat er sogar die popular vote gewonnen - die Mehrheit der Stimmen der US-Bürger. Man kann also diesmal - im Gegensatz zur Wahl 2000 - nicht argumentieren, es läge am falschen Wahlsystem der Amerikaner.

Es haben wohl an die 60 Prozent der Bevölkerung gewählt. Das ist wirklich viel und es gab die Hoffnung, dass der Wunsch nach einem Wechsel auch frühere Nicht-Wähler in die Wahllokale gebracht hat. Aber die haben dann doch offensichtlich Bush gewählt.

Sind die hier wirklich nicht informiert? Haben sie nicht alle Fahrenheit 9/11 gesehen? Doch, haben sie. Sie haben auch wirklich gutes öffentliches Fernsehen, mit Sendungen, die noch viel besser aufklären als Michael Moore.

Aufschlussreiche Taxifahrermeinungen

Einige Taxifahrermeinungen die es heute zu hören gab: Sicherheit kommt von Bush, Kerry hätte seine Vietnam-Orden nicht richtig verdient, man kann ihm deshalb nicht trauen, man sollte lieber das wählen, was wir schon kennen, und - immer wieder - man soll den Commander-in-Chief nicht mitten im Krieg wechseln. Kerry wurde ganz einfach häufig nicht verstanden: Wenn die Leute ihn zitieren, fehlt immer die Hälfte.

Angeblich war für 22 Prozent der Wähler, die für Bush gestimmt haben, ausschlaggebend, dass er "tugendhafte" Werte vertritt: gegen Schwulenrechte und für die Ehe, gegen Abtreibung, gegen Stammzellenforschung - und er ist schön gläubig.

Ich kann's immer noch nicht fassen. Fasst hofft man, alles war ein großer Wahlbetrug und klärt sich bald auf. Aber wenn selbst die Demokraten den Sieg Bushs akzeptierten ...

Susanne Burger ist Deutsche und arbeitet seit einigen Jahren am Language Technologies Institute der Carnegie Mellon University in Pittsburgh.

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