Wahl:"Koalitions-Ausschließerei ist ein Fehler" - "Stimmt"

Älteste gegen jüngste Kandidatin: Die Grüne Irmgard Zecher, 89, und die Liberale Nina Rectenwald, 19, über Lafontaines Charisma und grün-gelbe Gemeinsamkeiten.

Oliver Das Gupta

Irmgard Zecher kam 1920 zur Welt. Seit 1979 fühlt sie sich den Grünen verbunden, 1984 trat sie der Partei bei. Seitdem arbeitete sie in mehreren Funktionen bei den Grünen mit. Die mehrfache Mutter, Großmutter und Urgroßmutter ist Alterspräsidentin ihrer Partei in Baden-Württemberg und betreibt im heimischen Metzingen einen Laden für alte Puppen und originelle Kleidung, die teilweise aus der Vorkriegszeit stammt. Zecher widmet sich hauptsächlich der Alterspolitik und dem Tierschutz. Sie wurde auf Platz 17 der Landesliste der Grünen für den Urnengang am Sonntag gewählt.

Nina Rectenwald, Jahrgang 1990, hat in diesem Jahr Abitur gemacht. Seit eineinhalb Jahren ist die Saarländerin Mitglied der FDP. Sie lebt in Saarbrücken und studiert Jura. Ihr Hauptinteresse gilt der Bildungs- und Familienpolitik. Auf der Landesliste ihrer Partei für die Wahl ist sie auf Platz 12.

sueddeutsche.de: Frau Zecher, Sie sind seit einem Vierteljahrhundert bei den Grünen und kamen 70 Jahre vor Frau Rectenwald zur Welt. Wie ist es für Sie, einer solch jungen Politikerin zu begegnen?

Irmgard Zecher: Ausgesprochen nett! Sie ist eine wundervolle junge Dame, so gescheit. Sie redet nicht wolkig daher, sondern hat gute Ideen.

Nina Rectenwald: Oh, danke!

Zecher: Wenn wir zwei im Bundestag wären, würden wir uns sicherlich auch dort gut verstehen.

Rectenwald: Das glaube ich auch.

sueddeutsche.de: So viel Lob! Frau Zecher, müssen sich Ihre grünen Parteifreunde nun sorgen, dass Sie mit 90 zur FDP wechseln?

Zecher: Nein, nein. Bevor es die Grünen gab, habe ich zwar mit der FDP geliebäugelt, wir hatten hier in Baden-Württemberg ja auch den großen Liberalen Theodor Heuß. Aber als dann die Grünen kamen, war klar, wo ich mich engagiere: Ich sehe meine politischen Wünsche weitestgehend erfüllt.

sueddeutsche.de: Frau Rectenwald, waren die Grünen auch eine Option für Sie?

Rectenwald: Nein. Ich habe mit 14, 15 Jahren begonnen, mich für Politik zu interessieren und wusste gleich, dass die FDP meine politische Heimat wird. Geprägt hat mich der liberale Europaabgeordnete Jorgo Chatzimarkakis. Er ist pragmatisch und offen, auch den Grünen gegenüber. Das halte ich ähnlich. Mir war früh klar, dass es - trotz mancher deutlicher Unterschiede - zahlreiche Punkte gibt, in denen sich Liberale und Grüne einig sind: Bildung, Bürgerrechte, effektiver Datenschutz und noch vieles mehr. Übrigens sind FDP wie auch Grüne für ein Grundeinkommen.

Zecher: Nina, ich gebe Ihnen recht: Auf vielen Feldern haben wir mehr gemeinsam als mit SPD und Union. Aber es gibt eben auch große Schwierigkeiten bei Themen wie Sozialpolitik, bei Afghanistan und der Atompolitik. Was übrigens eine weitere Gemeinsamkeit ist: Viele intelligente junge Leute engagieren sich in unseren Parteien - das finde ich sehr löblich.

sueddeutsche.de: Fakt ist aber: Bislang haben FDP und Grüne nur zweimal auf Landesebene regiert, gemeinsam mit der SPD. Warum ist das so schwierig bei so viel Gemeinsamkeiten?

Rectenwald: Vielleicht ändert sich das bald. In meiner Heimat, im Saarland, könnte es ja demnächst die erste "Jamaika"-Koalition geben - ich persönlich fände das sehr gut. Das einzige Problem ist: Je mehr Parteien koalieren, desto schwerer wird es, zu regieren.

sueddeutsche.de: Und die "Ampel" im Bund? Die FDP hat für diese Wahl diese Konstellation kategorisch ausgeschlossen.

Rectenwald: Das ist nun so beschlossen, ja.

sueddeutsche.de: Dabei hat eine sozialliberale Koalition zwischen 1969 und 1982 Deutschland regiert. Auf diese Ära ist man in der FDP ja durchaus stolz. Halten Sie die Sozialdemokraten heute für potentielle Polit-Partner, Frau Rectenwald?

Rectenwald: Generell halte ich auch eine Ampel für eine interessante Variante. An sich gefällt mir der sozialliberale Gedanke sogar sehr. Ich sage offen: Was bei der FDP einige Jahre gefehlt hat, war ein solcher Faden. Wir haben in der Sozialpolitik oft ein bisschen gestockt, da hatte noch ein bisschen was gefehlt. Aber derzeit weisen die Programme von FDP und SPD sehr deutliche Unterschiede auf. Gerade in dieser Zeit, in der Krise, wäre die Ampel nicht gut für Deutschland.

sueddeutsche.de: Unterschiede gibt es auch mit der Union, die Ihr Parteichef Guido Westerwelle gerne "sozialdemokratisiert" nennt.

Rectenwald: Mag sein. Aber es kommt noch etwas anderes dazu: Ich glaube, dass die FDP ihr Profil derzeit in einer rot-gelb-grünen Koalition schnell verlieren würde. Rot-Grün ist sich in vielem einig und deshalb bestünde die Gefahr, dass die FDP thematisch untergehen würde.

Zecher: Ich finde das sehr gut und mutig, was Nina sagt. Sozialpolitik ist wichtig, sonst gehen wir unter. Schön, das auch aus der FDP zu hören. Das macht mir Hoffnung.

sueddeutsche.de: An Hamburg sieht man: Schwarz-Grün kann auch regieren - ein Modell mit dem Sie sich anfreunden können, Frau Zecher?

Zecher: Offen gesagt: Nein. Bei "Jamaika" wäre das liberale Element durch Grüne und FDP stark vertreten. Aber alleine mit der Union - das finde ich etwas gruselig.

sueddeutsche.de: Immerhin wurde mit der Christdemokratin Angela Merkel erstmals eine Frau Kanzlerin.

Rectenwald: Sie musste sicherlich mehr kämpfen als ihre männlichen Kollegen aus allen anderen Parteien. Zwischenzeitlich hatte ihr ja halb Deutschland vermittelt, dass sie es nicht auf die Reihe kriegt.

Zecher: Vor allem ihre Parteifreunde! Ich habe ja auch keine Aversion gegen Frau Merkel, sondern gegen die Politik, die sie vertritt. Wissen Sie, ich wurde ein Jahr nach Einführung des deutschen Frauenwahlrechts geboren. Ich finde es wunderbar, dass Frauen in diesem Land inzwischen alles werden können - auch Kanzlerin. Aber Gleichberechtigung bedeutet ja auch, dass man als Politikerin nicht mehr geschont wird als ein Politiker. Bei Frau Merkel weiß man in der Tat nicht so recht, wofür sie steht. Und ihre persönliche Fixierung auf Guido Westerwelle ... ich mag ihn einfach nicht. Diese überhebliche Selbstsicherheit!

"Ich kriege Herzklopfen, wenn ich an die Wahl denke"

sueddeutsche.de: Frau Zecher, auf Frau Rectenwalds Facebook-Account ist zuallererst ein Foto von ihr und Westerwelle zu sehen.

Rectenwald: Stimmt! Ich finde auch, dass er richtig gut ist! (lacht)

Zecher: Das ist ja auch in Ordnung. Und ich weiß ja: In der Politik sollten persönliche Abneigungen keine Rolle spielen, sondern Inhalte.

Rectenwald: Ich stimme da Frau Zecher zu. Hinter einer Person - ob man sie nun mag oder nicht - steht ja immer eine Partei, die Inhalte vertritt. Ich glaube, dass Guido Westerwelle von vielen Bürgern nicht gemocht wird, was ich sehr schade finde. Wenn jemand sich inhaltlich in einer Partei wiederfindet, sollte das den Ausschlag beim Wählen geben - auch, wenn man den Spitzenkandidaten nicht mag.

Zecher: Persönlichkeit und Ausstrahlung spielten in der Politik allerdings eine große Rolle. Zum Beispiel bei Finanzminister Peer Steinbrück: Der macht zwar eine Menge Schulden und ist zwar nicht so schön wie der Guttenberg - aber gewitzt, schlagfertig und souverän. (lacht)

Rectenwald: Das kann man auch bei uns im Saarland sehen: Die Linke hätte niemals 21 Prozent bei der Landtagswahl erhalten, wenn Oskar Lafontaine nicht der Spitzenkandidat gewesen wäre. Ich lehne seine Politik zwar komplett ab - aber natürlich bestreite ich nicht, dass er über Intelligenz, Charisma und einen bemerkenswerten politischen Instinkt verfügt. In diesem Fall überstrahlen Lafontaines Fähigkeiten die dürftigen Inhalte der Linken. Allerdings vermittelt er persönliche Kühle. Wenn die Linke sympathischere Leute hätte, hätte ich kein Problem, mit denen ins Gespräch zu kommen.

sueddeutsche.de: Auf Initiative von Westerwelle schließt die FDP eine "Ampel" aus, die Grünen lehnen "Jamaika" kategorisch ab, die SPD will in keinem Fall mit der Linken koalieren. Die große Koalition wollen sowohl Union als auch SPD nicht mehr. Wie empfinden Sie beide den Umstand, dass sich die Parteien von vornherein kategorisch Koalitionen verweigern?

Zecher: Dadurch werden wir vermutlich eine ganz, ganz schwierige Situation bekommen am Sonntag.

Rectenwald: Ich finde es etwas schade. Durch diese Festlegungen könnte die Regierungsbildung in der Tat sehr kompliziert werden. Ich hoffe natürlich, dass es für Schwarz-Gelb reicht. Aber es wird knapp, keine Frage.

Zecher: Ich kriege jedes Mal Herzklopfen, wenn ich an den kommenden Sonntag denke. Wenn es nicht für Union und FDP reicht, dann muss eine der Parteien ihr Wahlversprechen brechen. Warum denken die Spitzenpolitiker nicht mal an Hessen? Da hat die Ypsilanti genau diesen Fehler auch gemacht - und stand dann zu Recht als Wortbrecherin da.

Rectenwald: Das ist wahr.

Zecher: Diese Ausschließerei ist ein Fehler. Nicht nur für die jeweilige Partei alleine, sondern für unser ganzes politisches System. Ich bin sehr enttäuscht.

Rectenwald: Was das Ausschließen angeht, sind wir einer Meinung. Ich finde es gefährlich, was die Parteien da machen. Es ist nicht richtig, sich strikt und manchmal auch ohne echte Begründung gegen alle möglichen Parteien auszusprechen. Man schränkt dadurch seinen Handlungsspielraum ein. Nach dieser Wahl wird nun mal eine Koalition regieren, da muss man ohnehin verhandeln und kann sein Programm nicht komplett durchbringen. Es ist richtig, wenn man sagt: Mit diesem geht es wirklich gar nicht. Aber die Möglichkeit für Gespräche mit den anderen muss man sich offenhalten. Das sind die Politiker den Wählern schuldig

sueddeutsche.de: Frau Zecher, als Sie zur Welt kamen, hatte der Kaiser gerade abgedankt, Sie erlebten das Scheitern der Weimarer Republik, Hitlers Diktatur, den Krieg, Zerstörung, Wiederaufbau, die Gründung der Bundesrepublik. Was können Sie Frau Rectenwald mit auf ihren politischen Weg geben?

Zecher: Einen simplen Satz - Nie wieder Krieg. Da steckt alles drin. Davon kann man den Rest ableiten: Freiheit, Bürgerrechte, materiellen Wohlstand, eine schützenswerte Natur, auch den sozialen Frieden. Und: Wir müssen dringend unsere Truppen aus Afghanistan zurückziehen. Die Erinnerungen an Krieg und Diktatur machen meine Generation wertvoll für junge Leute wie Nina - es ist schade, dass wir aussterben.

sueddeutsche.de: Frau Rectenwald, was kann Frau Zecher von Ihnen lernen?

Rectenwald: Das ist weniger etwas, was ich Frau Zecher erklären kann, sondern anderen älteren Menschen. Die Schuldenlast, die künftige Generationen aufgebürdet bekommen. Viele Senioren haben große Angst vor der Altersarmut, das ist völlig verständlich. Das Problem ist, dass es Parteien wie die Linke gibt, die älteren Menschen Dinge versprechen, die nur möglich sind, wenn wir jungen Leute sie finanzieren. Unglaublich viele Ältere machen sich überhaupt keine Gedanken darüber, dass eine drastisch erhöhte Rente riesige Schulden bedeuten würden - wir Jungen müssten sie abbezahlen.

Zecher: Man muss den Leuten klarmachen, dass man selber etwas tun muss und nicht alles auf den Staat abwälzt. Ich erhalte übrigens 450 Euro Rente im Monat und wohne im eigenen Haus. Und ich habe eine Rente in meinen fünf Kindern. Mein Mann und ich haben das 1947 beim Hausbau auch so gemacht: Wir haben unsere Eltern mit zu uns genommen. Und waren damit Vorbild für unsere Kinder.

Rectenwald: Das finde ich richtig und wichtig. Die nachkommende Generation soll lernen, solidarisch zu handeln, in der Familie. Im Alter werde ich auch meine Eltern finanziell unterstützen. Freiwilliges Handeln in der Familie statt hohe Schuldenberge durch staatliche Abgaben. Was natürlich auch klar ist: Wenn man jahrelang gearbeitet hat und in die Rentenkasse eingezahlt hat, darf es nicht sein, dass man nur noch verschwindend wenig davon erhält.

sueddeutsche.de: Familiärer Zusammenhalt - am Ende unseres Gesprächs klingen Sie beide richtig konservativ.

Zecher: Na, in manchen Sachen muss man eben wertekonservativ sein. (lacht) Nina, bleiben wir in Kontakt? Sie können mir ja mal eine E-Mail schreiben.

Rectenwald: Das mache ich gerne, Frau Zecher.

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