Wahl in Spanien:"Wann ich zurückkehre? Keine Ahnung, Tío!"

People enter a government-run employment office in Madrid

Spanische Bürger stehen vor einem Arbeitsamt in Madrid Schlange - viele Junge Menschen haben keine Jobs.

(Foto: REUTERS)

Spanien wählt ein neues Parlament. Um zu verstehen, was das Land umtreibt, kann man hinfahren - oder in eine Schwabinger Kneipe gehen. Fünf Auswanderer über ein Land, in das sie nicht zurückkönnen.

Von Benedikt Peters

Es ist einfach zu heiß hier. Juan Ramón löst den Hemdknopf. Dichtes Brusthaar kommt zum Vorschein, so dunkelbraun wie sein Backenbart. Seine Stirn ist gerötet, seine Stimme klingt ärgerlich. "Meine Leute fragen mich immer: Willst du zurückkehren?", ruft er. "Und ich sage: Natürlich, Tío! Aber wohin denn bitte?"

"Tío", so nennt man sich unter Kumpeln in Spanien. An diesem Abend sitzen fünf Tíos an einem hellen Holztisch in einer schummrigen Kneipe. Fünf Biergläser, vier Burger. Ferrán, der Katalane, isst lieber Pilzrisotto.

Vor ein paar Jahren noch haben sich die, die jetzt Kumpel sind, nicht gekannt. Sie arbeiteten als Wirtschaftsprüfer, Ingenieur, Informatiker und wohnten in Madrid, Barcelona oder Pamplona. Jetzt sitzen sie in München-Schwabing. Einer ist Elektriker, die anderen arbeiten in IT-Büros und anderen Unternehmen. Alles viel besser als in Spanien, sagen sie.

Er unterschreibt einen Arbeitsvertrag - dann stürzt Lehman Brothers

So wie die fünf Tíos aus Schwabing haben es inzwischen mehr als zwei Millionen Spanier gemacht. Seit 2010 verließen nach einer Analyse der Banco de España etwa 400 000 Einheimische das Land - pro Jahr. Oft sind es die jungen und gut ausgebildeten, die gehen. Daher hat man das Phänomen in Spanien irgendwann Fuga de Cerebros getauft: die Flucht der Gehirne.

Es ist eine Fluchtgeschichte, in der auch Deutschland eine Rolle spielt. Wegen der von Berlin vorangetriebenen europäischen Sparpolitik, die die spanische Wirtschaft lange nicht in Schwung kommen ließ. Das würden zumindest manche sagen. Aber auch, weil Deutschland ein Ziel für die flüchtenden Gehirne ist. Die Zahl der Spanier ist hierzulande in den letzten Jahren um 50 Prozent gestiegen. Offiziell sind es jetzt knapp 150 000, die hier leben. In München wohnen knapp 8000.

Die Kneipe ist voll, das Stimmengewirr dicht. Oben auf der Leinwand läuft das Pokalspiel Bayern gegen Darmstadt. "Noch eine Weißbier bitte", sagt einer der Tíos.

Zu gehen war nicht leicht

Juan Ramón war der zweite von ihnen, der Spanien verließ. Anfang September 2008 sah noch alles gut aus, er hatte gerade seinen ersten Arbeitsvertrag unterschrieben, in Madrid, bei einer renommierten Computerfirma. Zwei Wochen später meldete eine bis dato eher unbekannte US-Investmentbank Insolvenz an - Lehman Brothers. "Das", sagt Juan Ramón, der mittlerweile die Hemdsärmel hochgekrempelt hat, "hat mein Leben bis heute bestimmt."

Nach und nach, sagt er, blieben bei der großen Computerfirma die Aufträge aus. "Ich wurde nicht mehr rausgeschickt zu den Kunden, es gab nichts mehr zu tun. Irgendwann ließen sie mich dann Fotokopien machen." Juan Ramón lacht verächtlich. "Mich, einen Masterstudenten von einer renommierten Uni." Schließlich ging er - aus freien Stücken, da ist er stolz drauf - und landete nach einem Intermezzo in Prag in München.

Die Tíos nicken. Sie kennen die Geschichte alle, so oder so ähnlich. Sie sind Ende zwanzig, Anfang dreißig. Und sie sind in den letzten Jahren nach Deutschland gezogen, weil sie zu Hause keine Arbeit mehr fanden. Keinen guten Lohn, keine Karrierechancen. Luís, ein Madrilene im blütenweißen Hemd, kannte schon ein paar Spanier in Deutschland. "Du vergleichst dich mit dem, was die hier verdienen", sagt er. "Dann willst du das auch haben, und gehst. Auch wenn das natürlich nicht leicht ist."

Der Katalane ist gegen die Abspaltung

Am hellen Holztisch diskutieren die Tíos stundenlang über Politik. Das heißt, eigentlich geht es die ganze Zeit um Wirtschaft. Um die Fehler der Politiker der etablierten Parteien: Zu lange hätten sie nur auf die Tourismus- und Immobilienbranche gesetzt. Sie rufen laut durcheinander, einer haut mit der Faust auf den Tisch.

"Wir würden zurückgehen, auch für weniger Lohn"

Die wirtschaftliche Lage ist der Schlüssel für das Leben der Ausgewanderten, die große Unbekannte, wegen der sie nicht wissen, ob sie nach Spanien zurückkehren können oder nicht. Die spanische Wirtschaft wächst seit kurzem wieder, aber die Arbeitslosigkeit bei jungen Leuten liegt noch immer bei über 50 Prozent.

"Jeder von uns würde wieder nach Spanien gehen, wenn er eine vernünftige Stelle bekommen würde, eine, für die sich das Studium gelohnt hat", sagt Juan Ramón. Von mir aus auch für 20 Prozent weniger Lohn, das ist gar nicht so wichtig." Drei Tíos nicken, Luis aus Madrid überlegt noch. "Ich würde zumindest sehr ernsthaft darüber nachdenken", sagt er dann. In Sicht aber, da sind sie sich einig, ist so eine Stelle in Spanien nicht.

Nur einmal wird die Diskussion unterbrochen - als ein Tor fällt

Gleichzeitig entfernen sie sich von ihrem Heimatland. Seit vier, fünf Jahren sind sie nun in München, Luis und Daniel haben deutsche Freundinnen. Fast alle spielen im Fußballverein. Kurz vor Weihnachten dann fliegen sie nach Hause. Sie führen ein Leben zwischen beiden Ländern.

Nur ein einziges Mal wird die politische Diskussion unterbrochen: Als oben auf der Leinwand Xabi Alonso, Bayern-Profi und spanischer Ex-Nationalspieler, den Ball aus gefühlt 30 Metern in den Winkel nagelt. "Waaaaaaah", ruft Luís, der Madrilene. Ferrán sagt nichts, er ist Katalane.

Die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens sind neben der Wirtschaft das zweite große Thema bei der Wahl am Sonntag. Die Tíos sind sich einig, dass sie sie ablehnen, auch Ferrán. "Ich bin kein Independentista", sagt er. "Andererseits: Es wäre schon gut, wenn andere Regionen etwas mehr zur Wirtschaft beitragen würden, Andalusien zum Beispiel." Da runzelt Juan Ramón dann doch die Stirn. Er stammt aus der andalusischen Küstenstadt Huelva.

Die alten Parteien werden ihre Stimmen nicht bekommen

Am Sonntag, wenn Spanien wählt, werden die Tíos ihre Stimmen nicht den alten Parteien geben, die das Land seit Ende der Franco-Diktatur im Wechsel regiert haben - weder der konservativen PP noch der sozialdemokratischen PSOE. "Die sind doch verantwortlich für die Situation, in der wir jetzt sind", sagt Luis. Offen sind sie für die beiden neuen Parteien, die Linksalternativen von Podemos und für die liberalen Ciudadanos. "Mit denen geht es vielleicht wieder bergauf. Gerade auch für uns Spanier in Deutschland."

Zum Schluss, bevor die Rechnung kommt, noch eine Frage: Werden sie nach Spanien zurückkehren? Juan Ramón grinst müde. "Wir wollen es alle, Tío. Aber wann? Keine Ahnung."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: