Wahl in Spanien:Einschaltquoten wie bei Champions-League-Spielen

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Sie lassen die etablierten Parteien zittern: Albert Rivera (links) mit seinen Ciudadanos und Podemos-Spitzenkandidat Pablo Iglesias.

(Foto: dpa)

Zwei neue Parteien bringen Bewegung in die politische Landschaft Spaniens. Die Wirtschaftskrise hat die Bevölkerung stark politisiert - das zeigt sich schon am Interesse an den TV-Debatten.

Von Sebastian Schoepp

Eine Autostunde von Madrid entfernt liegt Chozas de Canales, eines dieser Dörfer in der fast baumlosen kastilischen Ebene, in denen früher niemand mehr wohnen wollte - bis zum Immobilienboom. Da wuchsen in den öden Weiten der spanischen Meseta plötzlich Wohntürme empor und Landhausviertel nach holländischem oder dänischem Vorbild - oder Reihenhaussiedlungen, die aussehen wie englische Arbeiterquartiere. Letztere gibt es vor allem in Chozas de Canales.

Wohnen will dort nach dem kurzen Boom aber wieder niemand mehr, die Häuser sind nur noch einen Bruchteil ihres Kaufpreises wert, es gibt hier keine Arbeit, keine Aussicht, die Bau-Zulieferer, die während der Immobilienblase florierten, sind dicht, und die Landwirtschaft ist größtenteils aufgegeben. 70 Prozent der Menschen hier sind arbeitslos, leben von Stütze. Ja, man findet nicht mal so leicht Wahlplakate in Chozas, obwohl am Sonntag in Spanien Parlamentswahlen sind.

Orte wie Chozas de Canales zeigen, dass die spanische Krise trotz gegenteiliger Beteuerungen der Regierung von Mariano Rajoy und der EU nicht vorbei ist. Die Zeitung El País hat Chozas de Canales kürzlich zum Symbolort all dessen erklärt, was in Spanien auch nach vier Jahren Reformpolitik und neuem zaghaftem Wachstum nicht funktioniert.

Ein Alternative für die einstige Monokultur Immobilien ist nicht in Sicht, abseits des Tourismus gibt es nur wenige Arbeitsplätze, und wenn, dann zu prekären Konditionen mit Kurzzeitverträgen und wenig Geld - ganz so, wie es das Reformprogramm von Regierungschef Mariano Rajoy für den Arbeitsmarkt vorsieht.

Vier statt zwei große Parteien

Grund genug also eigentlich, am Sonntag zur Wahl zu gehen, um etwas zu verändern - und wie es aussieht, werden die meisten Spanier diesseits von Chozas de Canales das auch tun. Die Hauptstadtjournalisten, die sich nach Parlamentsdebatten in der Bar "Casa Manolo" hinter dem Gebäude der Cortes im Herzen Madrids versammeln, sind sich jedenfalls ziemlich einig: Diese Wahl werde eine höhere Beteiligung haben als die letzte vor vier Jahren, Meinungsforscher rechnen mit bis zu 70 Prozent.

Spanien ist stark politisiert. Eine knappe Mehrheit wird wohl noch mal für die konservative Volkspartei Rajoys stimmen, doch muss diese trotzdem damit rechnen, dass ihre Stimmenzahl im Gegensatz zu 2011 annähernd halbiert wird. Es treten nämlich diesmal vier statt wie bisher zwei große Parteien an - eine Folge der Krise und der starken Selbstreflexion in ihrer Folge.

Seit dem Ende der Diktatur 1975 regierten abwechselnd Sozialisten oder Konservative. Nun gibt es neuerdings aber noch die linksalternative Bewegung Podemos und die liberalen Ciudadanos, die vor allem jüngere Wähler mobilisieren.

Neue Bewegung im spanischen Wahlkampf

Podemos ist beeinflusst vom südamerikanischen Linkspopulismus, ihr Chef ist der Fernsehmoderator Pablo Iglesias, der seine Popularität vor allem der Fähigkeit verdankt, die strukturellen Probleme Spaniens klar zu benennen. Er schiebt die Schuld dafür einer "Kaste" aus konservativen Politikern und korrupten Unternehmern zu, die nur an ihre eigenen Interessen dächten.

Die Ciudadanos des katalanischen Jungpolitikers Albert Rivera treten weniger sozialrevolutionär auf, fordern jedoch ebenfalls ein Ende der Korruption. Sie sind eher die Partei einer urbanen Mittelschicht, die noch Geld und Job hat, die mit der verkrusteten, ideenlosen konservativen Volkspartei jedoch wenig anfangen kann.

Die Sozialisten, die die Wahl 2011 krachend verloren, können wieder darauf hoffen, zweitstärkste Partei zu werden mit ihrem Kandidaten Pedro Sánchez, den zwar viele für einen konturlosen Schönling halten, der aber durchaus Kontur bewiesen hat mit der Ankündigung, er werde auf keinen Fall Rajoy in einer großen Koalition die Macht sichern - also nicht den spanischen Sigmar Gabriel geben.

Diese Konstellation hat eine Menge Bewegung in den spanischen Wahlkampf gebracht, TV-Debatten erreichen Einschaltquoten wie Champions-League-Spiele, man freut sich vor allem an den Kandidaten der jungen Parteien, die eine klare Sprache sprechen. Rivera etwa fordert, Spanien müsse von Parteien erneuert werden, die niemandem etwas schulden.

Europa darf gespannt sein

Der Wahlausgang ist völlig offen - auch wenn es zunehmend danach aussieht, als könnten die Ciudadanos zusammen mit der Volkspartei das Rennen machen. Der jetzige Regierungschef Rajoy selbst wird diese Wahl jedoch politisch kaum lange überleben. Ciudadanos-Anführer Rivera hat klargemacht, er werde auf keinen Fall mit dem verbrauchten Ministerpräsidenten koalieren - so dass also auch die Volkspartei sich nach der Wahl wird neu erfinden müssen.

Europa darf gespannt sein, wer der künftige Verhandlungspartner in Madrid ist. Nur eines dürfte als sicher gelten: So schwierig wie mit Griechenland wird es nicht werden. Europa ist im Wahlkampf praktisch kein Thema.

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