Wahl in Russland:Die Chancenlosen kämpfen gegen Putin

Wahl in Russland: Oppositionelle wie Xenia Sobtschak haben in Putins Russland wenig Spielraum.

Oppositionelle wie Xenia Sobtschak haben in Putins Russland wenig Spielraum.

(Foto: AFP)
  • Mehrere Gegenkandidaten fordern Wladimir Putin bei der russischen Präsidentenwahl am Sonntag heraus.
  • Doch der Amtsinhaber muss sich keine Sorgen machen, seine Gegenkandidaten kommen in Umfragen auf maximal zehn Prozent.
  • Weil der populärste Oppositionelle Alexej Nawalny nicht antreten darf, setzt Russlands Jugend auf die 36-jährige Xenia Sobtschak.

Von Frank Nienhuysen

Die Verzweiflung muss so groß gewesen sein, dass Russlands Kommunistische Partei neulich einen Mann aus dem Hut zauberte, der nicht einmal einen Mitgliedsausweis hat. Es gab ja mal eine Zeit - 1996 war das -, da versetzten die Kommunisten die Welt in Schrecken, weil ihr Kandidat es in die Stichwahl geschafft hatte - Demokratie oder Rückfall in die Steinzeit, hieß es damals plakativ. Aus beidem ist dann nichts geworden. Der Kommunist Gennadij Sjuganow verlor gegen Boris Jelzin und führte danach Russlands älteste Partei Wahl um Wahl nach unten. Nur, völlig abstürzen darf sie jetzt auch nicht, das will nicht einmal der Kreml, der frische Akzente braucht, damit das Wählerinteresse nicht ganz erschlafft. Also tritt nun Pawel Grudinin an. Einen wie ihn hat es in der Neuzeit-KP noch nicht gegeben. Jedenfalls nicht als sogenannten Spitzenkandidaten.

Grudinin ist Kapitalist und tritt zugleich als fürsorglicher Vertreter der immer ärmer werdenden russischen Arbeitnehmer an. Als Jugendlicher sammelte er Erdbeeren im Betrieb der Eltern, heute verkauft er das Obst erfolgreich wie kaum ein anderer. Der 57-Jährige gilt als Erdbeer-König, er leitet bei Moskau einen Großbetrieb namens "Lenin", was aber Etikettenschwindel ist, denn Grudinin führt das Unternehmen so marktwirtschaftlich, dass er damit locker Millionenumsätze macht. Kann der erfolgreiche Großbauer mit einem Sieg Wladimir Putin stürzen? Natürlich nicht.

Der Kreml schaut in der Regel sehr genau hin, welcher Kandidat seinen Interessen allzu gefährlich werden kann. Nach der Ablehnung von Alexej Nawalny stehen auf dem Wahlzettel für Sonntag außer Putin noch sieben weitere Namen. Grudinin ist der Kandidat, der bei den Umfragen noch am besten abschneidet. Aber auch das sind höchstens um die zehn Prozent der Stimmen. Der Kommunisten-Kandidat ist den meisten Russen nahezu unbekannt, überhaupt müssen sie sich fragen, warum sie den Bewerber einer Partei wählen sollen, die kaum etwas anderes vertritt als die Regierungspolitik.

Die Kommunisten wurden lange von Sowjetnostalgikern gewählt, doch die umwirbt Putin nun selbst

Die Kommunisten waren lange vor allem die Partei der älteren Sowjetnostalgiker; aber seitdem Putin diese Sehnsüchte selber bedient, Stalin wieder salonfähig ist und die Fundamentalkritik am Westen wieder auflebt, fehlt den Kommunisten zunehmend das Alleinstellungsmerkmal. Grudinin scheut denn auch wie die gesamte Partei direkte Kritik an Putin, zu dem er theoretisch ja eine Alternative sein soll. Dass der Kommunist nun in den staatlichen Medien mit Vorwürfen konfrontiert wurde, er bunkere Millionen auf Schweizer Konten, hebt seine Chancen natürlich auch nicht.

Wer in Russland eine andere Politik möchte, müsste von den zugelassenen Kandidaten wohl Grigorij Jawlinskij oder Xenia Sobtschak wählen. Aber auch da muss sich Putin keine Sorgen machen. Jawlinskij ist ein in Ehren ergrauter Liberaler, der in den Neunzigerjahren als politisches Großtalent galt, sehr klug, ein überzeugter Demokrat. Doch er ist dabei so stolz und auch so störrisch, dass jegliche Versuche gescheitert sind, alle liberalen Strömungen in Russland kraftvoll zu bündeln, zu deren Vertretern auch die Kremlkritiker Ilja Jaschin und Wladimir Milow zählen.

Sobtschak vertritt die Jugend Russlands

Jawlinskij ist am Sonntag so chancenlos wie die quirlige Xenia Sobtschak. Die 36-Jährige tritt an, weil Nawalny nicht antreten darf. In irgendjemandem muss sich die kritische russische Jugendgeneration ja wiederfinden, und dass es Sobtschak ist, gilt für viele Putin-Gegner in Russland als besonders raffiniert ausgetüftelte Personalie. Sobtschak, Journalistin, Moderatorin und viele Jahre Protagonistin der sehr leichten Fernsehunterhaltung (unter anderem für die russische Big-Brother-Version), ist Teil des Establishments, und sie musste im Wahlkampf viel Energie darauf verwenden, um Zweifel zu zerstreuen, sie sei in Wahrheit die klammheimliche Wunsch-Alibi-Kandidatin des Kremls.

Sobtschaks Vater Anatolij Sobtschak war in früheren Petersburger Zeiten als dortiger Bürgermeister Putins politischer Mentor. Xenia Sobtschak und Putin kennen sich tatsächlich lange, aber ihr Vater war ein liberaler Reformer, der Putin nicht ist.

Sie ist nicht so radikal aufrührerisch wie Nawalny. Auch sie greift Putins Kurs an, weniger den Präsidenten persönlich. Doch Sobtschak versucht, der Öffentlichkeit mutig Diskurse aufzuzwingen, die es ohne sie im Wahlkampf kaum gäbe: über die Umwandlung Russlands in eine parlamentarische Demokratie, gegen die Kriege in Syrien und der Ukraine. Dass sich Sobtschak nach Jahren der Verbannung im staatlichen Fernsehen äußern darf, ist kein Widerspruch. Der Kreml kann gut einschätzen, dass Sobtschak gegen ihr Image als versnobtes, privilegiertes, millionenreiches Ex-Partygirl kämpft, als politisch unerfahren gilt und auch noch Anhängerin ist von Toleranz, Freiheit und Demokratie - in Russland ist sie damit kaum mehrheitsfähig.

Da wird auch die Gründung einer neuen liberalen Partei kaum helfen, die sie am Donnerstagabend ankündigte,

Als Sobtschak vor der letzten Wahl bei den Massenprotesten gegen Putin auftrat, wurde sie sogar von den liberalen Demonstranten ausgepfiffen. Für den Wahlkampf hat sie sich nun Hilfe geholt von einem Berater, der schon für Barack Obama und Bernie Sanders gearbeitet hat. Aber dass ihr das am Ende nichts nutzen wird, hat sie selber eingeräumt. "In diesem System kann keiner gewinnen", sagte Sobtschak bei einer Wahlveranstaltung, "außer Putin."

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