Wahl in Österreich:Wählen mit Bauchweh

The Leopoldine Wing of Hofburg Palace hosting the presidential office is seen in Vienna

Hinter diesen Mauern hat der Präsident sein Büro: Der Leopoldinische Trakt der Wiener Hofburg.

(Foto: REUTERS)

Was FPÖ-Mann Hofer am letzten Tag vor der Entscheidung sagt, klingt nicht nach Wahlkampfabschluss, sondern nach Antrittsrede. Van der Bellen bemüht sich, sich sowohl nach rechts als auch nach links abzugrenzen.

Reportage von Paul Munzinger, Wien

"Erlauben Sie mir eine kleine Spitze", sagt Norbert Hofer, als er bei einem der letzten Wahlkampftermine zum ersten und einzigen Mal auf Alexander Van der Bellen zu sprechen kommt. Niemand lacht, dabei ist das schon komisch: Am Abend zuvor, vor mehr als 800 000 Fernsehzuschauern im letzten TV-Duell vor der Entscheidung am Sonntag, hat Hofer seinen Mitbewerber um das Amt des österreichischen Präsidenten handgezählte 24 Mal als Lügner beschimpft, als Kommunisten, als Spion für den Osten. Entschuldigt hat er sich nicht. Und nun, vor 400 geladenen Parteifreunden von der FPÖ, deren Anhänger Van der Bellen seit Monaten auf allen Kanälen beleidigen und diffamieren, bittet Hofer um Erlaubnis für eine kleine Spitze. Um sich dann, ziemlich harmlos, über die im Wahlkampf neu entdeckte Liebe seines Konkurrenten zur Tracht lustig zu machen.

Norbert Hofer hat in den vergangenen Monaten viele Gesichter gezeigt. Er hat den Scharfmacher gegeben, den Kümmerer, den Tierfreund, den Mann des Volkes. Jetzt, zum Abschluss des Wahlkampfs, ist der Staatsmann dran. "Man weiß nie, was echt ist und was Theater", sagt eine FPÖ-Anhängerin im Publikum, sie meint das als Anerkennung; ihren Namen will sie nicht verraten. Die FPÖ hat in den prunkvollen Festsaal der Alten Börse geladen, im feinen ersten Wiener Gemeindebezirk. Ein durchaus bemerkenswerter Ort, ging es doch in diesem Wahlkampf nicht zuletzt um die Frage, welcher der beiden Kandidaten denn zum Establishment gehört und welcher nicht. Für Hofer, der als Vertreter des kleinen Mannes gegen das "System" auftritt, ist das ein aufreizend imperiales Ambiente.

Aufreizend ist auch das Selbstbewusstsein, das die FPÖ zur Schau stellt. Als sei die Wahl am Sonntag längst entschieden, als lägen die Kandidaten nicht gleichauf in den Umfragen. Hofer hat sein Siegerlächeln angelegt, als er vors Mikrofon tritt, dazu einen Dreiteiler mit Einstecktuch, eine Applewatch am Handgelenk und eine dunkelrote Krawatte, die gut mit dem dunkelroten Teppich und den goldenen Kronleuchtern harmoniert. Eine Stunde spricht er, und was er sagt, klingt nicht nach Wahlkampfabschluss. Es klingt nach Antrittsrede.

Als Präsident wolle er zuhören und arbeiten, verspricht Hofer. Er wolle das Erbe der Eltern und Großeltern weitertragen, Türöffner für die österreichische Wirtschaft in der Welt sein, den ländlichen Raum stärken, den Bauern helfen. Er wolle keine Begnadigungen für Drogenhändler, Vergewaltiger und Kinderschänder aussprechen, sich für mehr direkte Demokratie einsetzen und für "sichere Zonen" in Nordafrika, wo über die Asylanträge von Flüchtlingen entschieden werden soll. Asyl, betont Hofer, bedeute Schutz auf Zeit, jeder Flüchtling koste den österreichischen Staat schließlich 277 000 Euro. Dass die Berechnung, die dieser Zahl zugrundeliegt, auf 45 Jahre angelegt ist, sagt Hofer nicht.

Seinen Kontrahenten erwähnt Hofer, von der "kleinen Spitze" abgesehen, mit keinem Wort. Wir haben das nicht nötig, ist die Botschaft, wir führen keinen Anti-Wahlkampf. Es interessiere ihn nicht besonders, was gegen den anderen Kandidaten spreche, sagt auch Hofers Vorredner, FPÖ-Parteichef Heinz-Christian Strache. Den Kandidaten, den er höchstselbst ausgewählt hat, lobt er als "Ausnahmepersönlichkeit". Hofer werde ein Präsident für alle sein und auch denen "reinen Herzens die Hand reichen", die ihn nicht gewählt haben. Am Sonntag - noch mehr Pathos - werde Geschichte geschrieben, wenn "das erste Mal eine honorige Persönlichkeit aus den Reihen unserer freiheitlichen Gesinnungsgemeinschaft zum Bundespräsidenten gewählt werden wird". So klingt eine Partei, die von ihrem Erfolg schon zutiefst gerührt ist, ehe dieser überhaupt feststeht.

T-Shirts zeigen Van der Bellen als "Öbama"

Zehn Kilometer weiter südlich beginnt am frühen Abend das Kontrastprogramm. In Wien-Favoriten, einem Arbeiterbezirk, wo die Mieten noch erschwinglich sind und der Ausländeranteil hoch ist, hat Alexander Van der Bellen für sein Wahlkampffinale eine Fabrikhalle gemietet. Stahlträger, viel Glas, moderne Architektur. Am Eingang liegen T-Shirts aus, die den früheren Grünen-Chef als "Öbama" zeigen. Die Besucher stehen, als wäre dies ein Konzert, sie jubeln, sie klatschen, sie halten Schilder hoch, auf denen "Mehr denn je" steht, Van der Bellens Wahlkampfmotto. Viele junge Leute in Turnschuhen sind gekommen, dazu viele Ältere, die sich über "die vielen jungen Leute" freuen. Es ist das Milieu, das den 72-Jährigen Wirtschaftsprofessor bei der später annullierten Wahl im Mai den Sieg beschert hat: die Gebildeten, die Urbanen, die Jungen, Frauen vor allem.

Die Hauptstadt ist für Van der Bellen ein Heimspiel, 63 Prozent hat er hier im Mai geholt. Der 72-jährige emeritierte Ökonomieprofessor weiß aber auch, dass die Wahl nicht in Wien entschieden wird, und auch nicht von den Jungen und Urbanen. Van der Bellens Schwäche liegt auf dem Land, deshalb ist er im Sommer im Trachtenjanker durch die Alpen gewandert und hat auf Kirtagen mit den Einheimischen posiert. Und deshalb hat er das Land an diesem Freitag nach Wien geholt. Die riesige Leinwand hinter der Bühne zeigt ein Alpenpanorama aus dem Kaunertal in Tirol, wo Van der Bellen aufgewachsen ist; den Bürgermeister seines Heimatdorfes haben sie auch eingeladen, außerdem eine Blaskapelle für die Begleitmusik. Er sehe es überhaupt nicht ein, dass er die Heimat den Nationalisten überlassen solle, hat Van der Bellen im Wahlkampf immer wieder gesagt.

Einen Bundespräsidenten, "für den wir uns nicht zu schämen brauchen"

Seine Rede ist kurz, 15 Minuten bloß, es ist ja auch alles gesagt nach diesem Wahlkampf, der fast ein Jahr lang dauerte. Van der Bellen spricht von Werten, von Vernunft, Empathie, Toleranz, von Freiheit, Gleichheit, Solidarität. "Lockeres Schmähführen ist seine Sache nicht", hat kürzlich der Kurier über Van der Bellen geschrieben, das zeigt sich an diesem Abend. Und klar wird auch: Van der Bellen wird sich jetzt, kurz vor der Wahl, nicht in die schmutzigen Niederungen einer persönlich geführten Auseinandersetzung hinabziehen lassen. So hat er es den gesamten Wahlkampf über gehalten, um den Preis, manchmal passiv, zögerlich, defensiv zu wirken. Als er einmal, das ist einige Wochen her, vor einem "Alpen-Mordor" warnte, da bezog er sich auf ein Zitat und machte dabei auch noch den Eindruck, als würde er sich gerne entschuldigen.

Für scharfe Worte gegen die FPÖ sind andere zuständig. Der Künstler André Heller, der sich wie viele andere Intellektuelle für Van der Bellen einsetzt, bezeichnet Hofer als "eine Art von menschgewordenem Hass-Posting". Beim TV-Duell am Vorabend habe der FPÖ-Kandidat endlich seine Maske fallen gelassen, sagt Heller, man spürt Genugtuung. Hofer habe das "fremdenfeindliche, das rassistische Gesicht" gezeigt, sagt auch Wiens SPÖ-Bürgermeister Michael Häupl. Österreich brauche einen Bundespräsidenten, "für den wir uns nicht zu schämen brauchen". Das Duell um die Präsidentschaft sei in Wahrheit ein Kampf um die Demokratie.

Spagat zwischen Kritik und Kontinuität

Dass Van der Bellen die letzte Bastion gegen die FPÖ bildet, dass nur er den ersten rechtspopulistischen Präsidenten in einem westeuropäischen Land verhindern kann, ist ja fast ein Zufall. Noch nie hat eine andere Partei als SPÖ oder ÖVP das Staatsoberhaupt gestellt, aber deren Kandidaten haben im Frühjahr nicht einmal die erste Runde überstanden. Nun muss also Van der Bellen, der langjährige Obmann der Grünen, versuchen, der Präsident der Mitte zu sein. Das bedeutet, sich nicht nur von ganz rechts, sondern auch von ganz links abzugrenzen.

Samstag Mittag, ein Tag vor der Wahl. Am Platz der Menschenrechte im Wiener Museumsviertel stecken die "Kein Nazi in der Hofburg"-Schilder und die Megafone noch in der Plastiktüte, Lautsprecher beschallen den Platz mit "Schrei nach Liebe" von den Ärzten. Gleich wollen die linken Demonstranten die Mariahilfer Straße hinunterlaufen. Das Motto: "F*ck Hofer". 300 Demonstranten sind angemeldet, es kommen etwa 200, wenn man die Veranstalter fragt, knapp 100 sagt die Polizei. Eine Gegendemo gibt es nicht, nur einen Aufkleber an einer Werbetafel: "Van der Bellen als Präsident", steht da auf Rot-Weiß-Rot, "hat die gleiche fatale Wirkung wie Merkels Willkommenskultur".

Es ist ein sonniger, aber bitterkalter Tag in Wien. David Albrich, einer der Organisatoren, hat sich eine Mütze aufgesetzt und eine neongelbe Warnweste angezogen. "Wir demonstrieren gegen die jahrzehntelange Verharmlosung des Faschismus in Österreich", sagt er. Es sei ungeheuerlich, dass die Hälfte der Österreicher am Sonntag einen Antidemokraten, einen deutschnationalen Burschenschafter wählen werde. Vielleicht könne man den einen oder anderen noch in letzter Minute davon abbringen.

Van der Bellen hat sich im Vorfeld deutlich von der Demonstration distanziert, (was Hofer nicht daran gehindert hat, sie seinem Konkurrenten zum Vorwurf zu machen). Die Demonstranten distanzieren sich ihrerseits von Van der Bellen. Er wähle ihn, sagt Albrich, aber "mit Bauchweh". Van der Bellen habe sich zum Kandidaten des Establishments entwickelt, ein Satz, der auch von Hofer stammen könnte. Van der Bellens Pro-EU-Haltung trage dazu bei, dass so viele Menschen für die FPÖ stimmen, glaubt Albrich. "Es braucht eine linke Antwort auf die neoliberale Union der Banken und Konzerne."

Tatsächlich ist es nicht ohne Risiko, dass Van der Bellen den Verbleib Österreichs in der EU in das Zentrum seines Wahlkampfs gerückt hat. Eine Mehrheit der Österreicher sieht die Globalisierung als Bedrohung, viele betrachten die EU kritisch, auch wenn die meisten vor einem Austritt dann doch zurückschrecken. Der Wunsch nach Veränderung ist groß, die Unzufriedenheit auch. Die FPÖ hält sich ein Referendum über einen Öxit explizit offen, sollte etwa die Türkei beitreten. Und Van der Bellen? Er versucht den Spagat zwischen Kritik und Kontinuität. "Wir wissen, dass es an allen Ecken und Enden zieht. Aber wir müssen das Haus nicht abreißen, weil ein paar Fenster kaputt sind." Er wolle "konstruktiv erneuern".

Am Ende von Van der Bellens Finale stimmt die Blaskapelle die österreichische Nationalhymne an, auf besonderen Wunsch des Kandidaten, wie die Moderatorin sagt. Das österreichische Parlament hat die Hymne vor einigen Jahren umgeschrieben. In den Text, der das Land bis dato als Heimat großer Söhne anpries, wurden die Töchter, also die Frauen aufgenommen. "Vergesst die Töchter nicht", ruft die Moderatorin deshalb, bevor es losgeht. Das ist natürlich völlig unnötig.

Norbert Hofer beschließt seinen letzten Auftritt vor der Wahl mit den Worten: "Es lebe unsere geliebte Heimat Österreich." Dann folgt, auch hier, die Hymne. Und so selbstverständlich, wie die Töchter bei Van der Bellen mitgesungen werden, lassen sie hier alle weg. Spricht man den Sitznachbarn, einen Wiener Hofer-Anhänger darauf an, antwortet der nicht ohne Stolz: "Das interessiert nur die politisch Korrekten."

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