Wahl in NRW:Wo Integration nur eine One-Man-Show ist

Die Integrationspolitik in Nordrhein-Westfalen gilt als vorbildlich. Trotzdem tritt ausgerechnet hier die erste deutsche Partei für Migranten zur Wahl an.

Gökalp Babayigit

Ob Christian Wulff seinem CDU-Parteikollegen Jürgen Rüttgers da einen Gefallen getan hat? Der niedersächsische Ministerpräsident ernannte mit viel Getöse die erste türkischstämmige Ministerin.

Integration Migranten Wahlen NRW Nordrhein-Westfalen dpa

Rund zwei Millionen Wähler mit Migrationshintergrund können das enge Rennen um den Wahlsieg in NRW mit entscheiden.

(Foto: Foto: dpa)

Von Signalwirkung für die Migranten in Deutschland war da die Rede, vom Beweis, dass es die CDU ernst meine mit Integration. Doch als Aygül Özkan Tage vor ihrem Amtseid plötzlich davon sprach, dass Kruzifixe und Kopftücher an Schulen nichts verloren hätten, brach ein Sturm der Entrüstung los - und zwar vor allem in der Union selbst.

Nachbarschaftshilfe sieht anders aus, mag der wahlkämpfende Ministerpräsident Rüttgers da gedacht haben. Denn die Signalwirkung für die rund zwei Millionen wahlberechtigen Migranten in seinem Bundesland ist dahin, wenn sie sich nicht sogar umgekehrt hat.

Serdar Somuncu, türkischstämmiger Künstler und Kabarettist, der sich viele Gedanken macht zum Zusammenleben von Türken und Deutschen, bringt die Gemütslage der türkischstämmigen Bevölkerungsgruppe zwischen Rhein und Ruhr wohl gut auf den Punkt:

"Wenn man sich eine türkischstämmige Ministerin leistet, hätte man sich auch die Aufgeschlossenheit leisten müssen, ihre Meinung zuzulassen." Die Partei habe Aygül Özkan für ihre Zwecke missbraucht. "Und kaum sagt sie mal für fünf Minuten, was sie wirklich denkt, wird sie dafür von der Partei bestraft."

Rund zwei Millionen Wähler mit Migrationshintergrund bei 13,2 Millionen Wahlberechtigten insgesamt - da geht die Bedeutung dieser Wählergruppe über das sprichwörtliche Zünglein an der Waage hinaus. Diese Wähler können, wie Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Armin Laschet (CDU) sagt, das enge Rennen um den Wahlsieg am kommenden Sonntag mit entscheiden.

"Es steht Spitz auf Knopf"

"Die Politiker und die Volksparteien merken, dass sie etwas machen müssen und dass sie nicht mehr wirklich an der Integrationspolitik vorbeikommen", sagt Birand Bingül, Redaktionsleiter des Integrationsmagazins Cosmo TV des WDR. "Migranten sind ein nicht mehr zu unterschätzender Faktor. Es steht Spitz auf Knopf, der kleinste Fehler kann entscheiden."

Er beobachtet, wie sich die Parteien im Wahlkampf verstärkt jener Bevölkerungsgruppe widmen, die lange niemand auf der Rechnung hatte, zu deren Lasten eher noch vor ein paar Jahren Wahlkampf betrieben wurde. Doch wie versuchen Parteien, für Migranten attraktiv zu werden? Durch eine Ministerin namens Aygül Özkan? Durch eine Tour durch Moscheen, wie sie SPD-Chef Sigmar Gabriel gemacht hat?

"Natürlich ist zum einen das Engagement in Sachen Integrationspolitik taktisch motiviert und Symbolpolitik; zum anderen ist es aber auch von Einsicht geschwängert", urteilt Bingül, der in seinem TV-Magazin ziemlich genau abbildet, was integrationspolitisch im Bundesland passiert. "Das würde ich den Politikern, die ich hier wahrnehme, schon zugestehen."

Tatsächlich gilt Nordrhein-Westfalen als Vorzeigebundesland in Sachen Integrationspolitik. Armin Laschet sitzt seit 2005 in Rüttgers' Kabinett und darf sich erster Integrationsminister Deutschlands nennen. Er ist ein CDU-Mann, und seine Arbeit wird von den meisten geachtet - sogar von politischen Gegnern. Er gilt als sensibler Politiker, der oftmals die richtigen Signale sendet, der "Goodwill zeigt", wie Journalist Bingül attestiert.

Doch dass durch Laschets Wirken die türkischstämmigen Migranten am Sonntag scharenweise bei der CDU ihr Kreuz machen, bleibt unwahrscheinlich. Das mag zum einen daran liegen, dass es traditionell die SPD ist, die mit Stimmen aus der türkischstämmigen Community rechnen darf. Das wird aber zum anderen vor allem daran liegen, dass die Skepsis bleibt, ob es die CDU wirklich ernst meint.

"Es ist leicht, Klischees zu bemühen"

"Integration ist eine One-Man-Show in Nordrhein-Westfalen", sagt Zülfiye Kaykin, die Antwort der Sozialdemokraten auf Armin Laschet. Kaykin wurde von der SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft in ihr "Zukunftsteam" geholt. "Herr Laschet hat zwar ein Herz für Migranten. Wenn Sie in Ihrer Parteibasis diese Denke aber nicht verankert haben, dann haben Sie ständig Probleme."

Wahl in NRW: Armin Laschet darf sich erster Integrationsminister Deutschlands nennen.

Armin Laschet darf sich erster Integrationsminister Deutschlands nennen.

(Foto: Foto: dpa)

Probleme wie beispielsweise ausbleibende, nicht nur nach Kaykins Ansicht dringend nötige Reformen im Schulwesen. Probleme wie frustrierte Migrantenverbände, die auf kommunaler Ebene mehr Mitspracherechte fordern, diese aber nicht erhalten. Probleme wie ein zu schwieriges Einbürgerungsverfahren: "Wir dürfen den Menschen auf der einen Seite nicht Integration abverlangen und auf der anderen Seite auf allen Ebenen Erschwernisse zumuten", sagt Kaykin.

"Sie wurden ignoriert"

Dass jedoch nicht nur die CDU im Musterland Nordrhein-Westfalen Probleme hat, bei den Migranten Vertrauen für ihre Integrationspolitik zu wecken und die "Denke" in der eigenen Basis zu verankern, zeigt nicht zuletzt Haluk Yildiz. Der 42-Jährige ist der Gründer des Bündnisses für Innovation und Gerechtigkeit (BIG), der ersten Partei für Menschen mit Migrationshintergrund.

"60 Prozent unserer Mitglieder kommen aus etablierten Parteien: von der SPD, von den Grünen und von den Linken. Sie hatten dort versucht, sich einzubringen. Doch sie wurden ignoriert oder sind nicht weit gekommen", sagt Yildiz. Immer noch würden die Belange der Menschen mit Migrationshintergrund auch innerhalb der Parteien als marginal abgetan, was angesichts des großen Wählerpotentials nicht mehr stimme. Diesen Leuten eine Stimme zu geben, dafür trete BIG bei der Landtagswahl an.

Aufgrund des niedrigen Bekanntheitsgrades seiner Partei ist auch Yildiz nur vorsichtig optimistisch, über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen. Dennoch werde BIG "rapide" weiterwachsen, ist sich Yildiz sicher. Selbst über einen bayerischen Landesverband werde nachgedacht.

Inwiefern eine Migrantenpartei aber die alltäglichen Probleme im Zusammenleben zwischen Zuwanderern und Deutschen anpacken kann, ist fraglich. Denn zur Integration werden immer zwei Seiten gehören, sagt Kabarettist Somuncu. Zwei Seiten, die ihr Miteinander nicht aus dem Gesetzbuch ableiten. "Es ist leicht, Klischees zu bemühen, um ein Zerrbild zu zeichnen. Aber es ist schwer, auf den anderen zuzugehen und den anderen Teil seiner selbst werden zu lassen."

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