Wahl in NRW:Das Bundesland, das nicht zu fassen ist

Zwischen Detmold und Köln liegen Welten: Die Menschen in NRW sind von höchst unterschiedlicher Wesensart und daher als Wähler unberechenbar.

H. Leyendecker

Der politische Betrieb hält fast jede Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen für eine kleine Bundestagswahl. Das ist richtig und falsch zugleich, wie so vieles, was über Milieus, Wähler, und Politik in NRW im Umlauf ist. Von den Zahlen her betrachtet fallen Wahlen an Rhein und Ruhr bundesweit schon ins Gewicht: Am Sonntag sind 13,5 Millionen Menschen stimmberechtigt, das ist ein Fünftel aller Wahlberechtigten in der Republik.

Landtagswahl, Nordrhein-Westfalen; Hannelore Kraft, Jürgen Rüttgers; dpa

Der Wähler ist in Nordrhein-Westfalen wichtig - wenn auch äußerst schwierig zu berechnen.

(Foto: Foto: dpa)

Mit 17,9 Millionen Einwohnern ist NRW das bevölkerungsreichste Bundesland und wäre als selbständiger Nationalstaat das achtgrößte Land der Europäischen Union; hinter Rumänien und vor den Niederlanden.

Trotz seiner Größe ist das in der Retorte entstandene Bundesland zwiegespalten geblieben. Darauf deutet schon der Bindestrich im Namen hin. Auch deshalb sind Rückschlüsse auf das Große und Ganze nicht immer so einfach zu ziehen. Es gibt den Niedersachsen, den Hessen, den Hamburger.

Ein großes Land

Den Nordrhein-Westfalen gibt es nicht. Die Bewohner des Lipperlandes beispielsweise, das erst 1947/48 zu NRW kam, fühlen sich nicht nur räumlich den Niedersachsen näher als den Rheinländern. Diese wiederum geben sich am liebsten südländisch und sind auch gern ein bisschen leichtfertig. Detmold und Köln trennen Welten. Die Sauerländer und Westfalen andererseits sind sich so unähnlich nicht.

Zu den gängigen Vorurteilen über NRW gehört, dass es sich um das Stammland der SPD handele, das CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers vor fünf Jahren den Sozialdemokraten nach 39 Jahren SPD-Regierung abgenommen habe. Richtig daran ist, dass die SPD von 1966 bis 2005 ununterbrochen an der Macht war. Allerdings regierte in all den Jahren zuvor die CDU in wechselnden Bündnissen oder als Alleinregierung.

Zu Erosionen bei den Christdemokraten führten Mitte der sechziger Jahre die Bergbaukrise sowie eine schwächelnde Konjunktur, während die früher nur auf Gewerkschaften und Malocher fixierte SPD offener für weitere gesellschaftliche Schichten wurde. Ende 1966 stellte die SPD erstmals den Ministerpräsidenten. Heinz Kühn, der eigentlich eine große Koalition angestrebt hatte, ging auf Drängen der SPD-Landtagsfraktion und auf Druck der Bonner Parteispitze ein Bündnis mit der FDP ein. Die sozialliberale Koalition in Nordrhein-Westfalen wurde zum Modellprojekt für den Bund. Eine Ära der Bundespolitik wurde in Düsseldorf eingeleitet.

Der Mythos NRW

Eigentlich kann sich der verbreitete Mythos von der SPD-Hochburg NRW nur auf die Jahre 1980 bis 1990 beziehen. Dreimal hintereinander gewann Johannes Rau die Mehrheit der Mandate. 1985 schaffte er das beste SPD-Ergebnis an Rhein und Ruhr mit 52,1 Prozent. Seit 1995 verlor die SPD kontinuierlich an Unterstützung und musste Koalitionen mit den Grünen eingehen, die Rau lange Zeit für Schmuddelkinder hielt.

Dabei gab der Predigersohn als vorgeblich überparteilicher Regierungschef gern den Präsidenten des Landes: "Bruder Johannes". In seiner Zeit bekämpften sich die westfälische und die rheinische CDU, die es damals noch gab, wie Feinde. Dieses Gen ist, wie die parteiinternen Unruhen um Rüttgers in den vergangenen Monaten zeigten, immer noch lebendig.

In den Rau-Wahlkämpfen klebten die Sozialdemokraten Plakate mit dem Spruch "Wir in Nordrhein-Westfalen und unser Ministerpräsident". Rau gelang es, die Identifikation der Bürger mit dem künstlich zustande gekommenen Land zu steigern. Im Landtagswahlkampf 2010 klebt die CDU Plakate mit dem Konterfei von Rüttgers und dem Slogan "Wir in Nordrhein-Westfalen". Manchmal findet sich auch der Zusatz: "Unser Ministerpräsident". Lediglich auf das "und" hat die CDU bei der Kopie verzichtet.

Ein schlechter Imitator

Rüttgers versuchte in den vergangenen Jahren, sich dem Vorbild immer mehr anzunähern, doch mit wenig Erfolg. Der junge Rau hatte sich einst den Gestus und den Ton von Willy Brandt zu eigen machen wollen und war als Stimmenimitator eine große Nummer. Aber er hat dann seine eigene Stimme bekommen.

Über all die Jahre und alle Kandidaten hinweg hat es bei den Wählern ein paar Konstanten gegeben. Traditionell ist die CDU in den ländlichen Regionen Ostwestfalens, in der Eifel, in Teilen des Sauerlandes und ländlichen Regionen am Niederrhein stark. Insbesondere im katholischen Milieu ist die Partei stark verwurzelt, aber der Einfluss der Kirche nimmt ab.

Das Ruhrgebiet mit seinen vielen Millionen Einwohnern war einst eine Domäne der Sozialdemokraten. Doch das hat sich geändert. Bei der Kommunalwahl im Jahr 1999 gewann die CDU Gelsenkirchen, was für die SPD ein Schock war. Inzwischen sind die Sozialdemokraten im Revier zwar wieder vorn, aber längst nicht auf dem alten Niveau von bis zu 70 Prozent.

Für beide großen Parteien gilt, dass sie immer dann stark sind, wenn sie ihre Stammwähler mobilisieren können. Das gelang der CDU 2005, während viele SPD-Wähler lieber zu Hause blieben. Eine große Koalition hat es in Nordrhein-Westfalen noch nicht gegeben.

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