Wahl in Niedersachsen:Wenn die Zuversicht schmilzt

Bundestag Merkel Steinbrück

Hier trennt sie die Kanzlerin: Kanzlerkandidat Steinbrück und FDP-Chef Philipp Rösler habe mehr gemeinsam als man denkt. Archiv-Aufnahme aus dem Bundestag von Anfang November.

(Foto: dpa)

Viele halten Niedersachsen für eine Schicksalswahl, sie kann die Karrieren wichtiger Politiker entscheiden. FDP-Chef Rösler und der SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück haben ein ganz besonderes Problem: Gewinnt der eine, kommt der andere in Schwierigkeiten - und umgekehrt.

Von Stefan Braun und Susanne Höll, Berlin

Am Sonntag wird in Niedersachsen nicht nur über die Landesregierung entschieden. Längst ist klar, dass auch den SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück und den FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler mit dieser Wahl viel verbindet. Steinbrück hoffte lange auf Rückenwind und muss nun einen Sturm fürchten. Rösler kann plötzlich mit guten Zahlen rechnen - was seine Gegner offenbar so nervös macht, dass sie schon vor dem Sonntag versuchen, einen Wechsel an der FDP-Spitze vorzubereiten. Es wird spannend, nicht nur in Hannover.

Dabei könnte der Sonntagabend für Rösler wenigstens kurz einen schönen Moment liefern. Wie es sich anfühlt, im politischen Morast festzustecken, das weiß er. Wie sich Erfolg anfühlt, hat er fast vergessen. Am Sonntag könnte die FDP plötzlich schaffen, was lange unmöglich zu sein schien: Sie könnte im Landtag, vielleicht sogar in der Regierung bleiben.

Der kann es nicht, der schafft es nicht, der soll es nicht mehr machen - das sind die Sätze, mit denen seine Gegner ihn seit Monaten bloßstellen. Deshalb dürfte er es sehr genossen haben, dass ihn am Freitag Hans-Dietrich Genscher mit einem Treffen beehrt hat. Lange hat Genscher vor allem Röslers Gegner mit solchen Gesten befördert. Umso überraschter sind Röslers Leute gewesen, als Genscher vor anderthalb Wochen die Frühstücks-Idee lancierte. Schmunzelnd registrierten sie, dass der Vorschlag kam, als die FDP in den Umfragen erstmals wieder fünf Prozent erreichte.

Nun lässt sich nicht ausschließen, dass Genscher neben freundlichen Gesten harte Botschaften im Gepäck hatte. Aber nach allem, was man hören konnte, haben beide mögliche Wahlergebnisse erörtert, ohne dass Genscher ein klares Es-geht-nicht-mehr überbracht hätte. Im Anschluss erklärte der Ehrenvorsitzende sogar, Rösler sei Niedersachsen, deshalb wäre ein Erfolg dort auch ein klarer Erfolg des Parteichefs.

Was wird aus Rösler

Wie groß die Bedeutung solcher Sätze ist, kann derzeit kaum jemand in der FDP sagen. In den vergangenen Wochen hat sich dort eher der Eindruck festgesetzt, dass in der derzeitigen Krise auch ihr Ehrenvorsitzender nicht mehr recht weiß, wie der Weg aus der Misere aussehen könnte. Zunächst hatte er Christian Lindner befördert, dann beim Dreikönigstreffen Fraktionschef Rainer Brüderle mit demonstrativer Nähe belobigt. Nun zeigt er sich unmittelbar vor der Wahl mit Rösler - so kann man die eigene Partei auch mächtig verwirren.

Genschers Verhalten kann als symptomatisch für die ganze Partei gelten. Bislang gibt es kein Machtzentrum, keine Autorität und keine Gruppe, die in der Lage wäre, das Chaos mit klaren Entscheidungen aufzulösen. Zu viele Verletzungen liegen zwischen den meisten, zu viel Misstrauen trennt sie, als dass sie sich aufeinander verlassen könnten. Die Gewissheiten, die es bisher gibt, sind deshalb relative.

Richtig ist, dass die meisten Rösler inzwischen für den Falschen halten. Und richtig ist, dass sich ihre Blicke jetzt auf den 67-jährigen Brüderle richten. Unter den Ränkespielern seiner Unterstützer stehen drei Szenarien im Zentrum. Erstens: Rösler verliert alle Ämter an Brüderle. Zweitens: Rösler bleibt zwar Parteichef, muss aber den Spitzenkandidaten Brüderle akzeptieren. Oder drittens: Rösler muss das Parteiamt aufgeben, darf aber Wirtschaftsminister bleiben. Dass ausgerechnet Brüderle schon vor dem Sonntag ein Vorziehen des Parteitags gefordert hat, lesen seine Anhänger als frohe Botschaft. Sie schließen daraus, dass er nun antritt.

Gemütlich wird Röslers Wochenende also nicht. Vielleicht wird er einige Zeitungsartikel studieren, die ihm Angela Merkel vor einiger Zeit geschickt hat. Ein Päckchen aus ihrer ersten Amtszeit als CDU-Chefin. Mut sollte das machen, prekäre Situationen auszuhalten. Zu Merkels Geschichte gehört indes auch ein Kapitel, das für Rösler eine andere Botschaft parat hält. Im Januar 2002, als Merkels Gegner sich zu ihrem Sturz organisiert hatten, verblüffte sie Freund und Feind, indem sie nicht kämpfte, sondern Verzicht übte. Als im Hotel Herrenkrug in Magdeburg ihre Feinde das Messer wetzten, erklärte sie, sie selbst habe Edmund Stoiber die Kanzlerkandidatur angetragen. Das sicherte ihr das politisches Überleben.

Auch Steinbrück hat Probleme

Mit personellen Veränderungen ist bei der SPD selbst im Fall einer Niederlage erst einmal nicht zu rechnen. Weder gedenkt Peer Steinbrück, die Kanzlerkandidatur hinzuwerfen, noch gibt es Bewerber für die Nachfolge. Weder der Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier noch der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel haben den geringsten Wunsch, acht Monate vor der Bundestagswahl als Zweitkandidat auf die Bühne zu treten. Auch in der Partei ist in der gegenwärtig unkomfortablen Lage kein Ruf nach einem Personalwechsel zu vernehmen. Die SPD ist erstaunlich ruhig, allerdings nicht gelassen. Den Sozialdemokraten ist im Bund wie im Land zutiefst bange.

Denn eigentlich sollte die Landtagswahl in Niedersachsen der Auftakt für einen erfolgreichen Bundestagswahlkampf sein. Und bis Weihnachten war man allseits zuversichtlich, dass das auch gelingen könnte, aller Widrigkeiten in Form von Kandidatendebatten in Berlin und Hannover zum Trotz. Doch mit Beginn des Jahres brachen die Umfragen ein, stark im Bund, leicht in Niedersachsen. Und seither schmilzt die Zuversicht.

Wenn es am Sonntag schiefgehen sollte, müsse sich niemand vor einer Explosion fürchten, sondern vor einer Implosion, was womöglich noch viel schlimmer wäre, heißt es bis hinauf in den Führungszirkel. Die Partei wäre dann bundesweit platt, resigniert und fassungslos, der Schwung für den Bundestagswahlkampf dahin. Dann werden Schuldige gesucht werden; in den Medien, aber wohl auch in der Partei. Steinbrück wird, das steht jetzt schon fest, als ein Verantwortlicher ausgemacht werden. Den Wahlausgang wollen bislang alle beteiligten Sozialdemokraten aber erklärtermaßen in Solidarität gemeinsam tragen, einen Misserfolg ebenso wie einen Triumph.

Und alle versuchen, den Triumph doch noch zu erreichen, auch am Samstag werden Bundespolitiker noch unterwegs sein und werben. Denn schon vor der Kandidaten-Debatte um Steinbrück war den Wahlkämpfern aus der Bundes-SPD klar, dass es zu Euphorie keinen Anlass gab. Zwar sah es für SPD und Grüne lange Zeit gut aus. Aber die Strategen im Willy-Brandt-Haus wussten, dass die Umfragen für die SPD in den letzten Jahren mit einer großen Ausnahme stets besser als die Wahlresultate waren, ob man in Europa, im Bund oder in den Ländern abstimmte.

Spitzenkandidaten der Landtagswahlen in Niedersachsen

Allein in Hamburg schnitt Olaf Scholz mit seiner Truppe vor zwei Jahren besser ab als prognostiziert. Er eroberte die absolute Mehrheit. Auf die Frage, worauf sich die öffentlich demonstrierte Zuversicht angesichts dieser Erfahrungen gründet, sagt Thomas Oppermann, der Parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion: "Stephan Weil hat große Ähnlichkeit mit Olaf Scholz." Auf Weils Schultern lastet also viel in diesen Tagen. Ein Schicksal, das ihn ein bisschen mit Gerhard Schröder verbindet. Der hatte 1998 erst in Niedersachsen gewonnen und war im gleichen Jahr Kanzler der ersten rot-grünen Bundesregierung geworden. Und was sagt der Altkanzler zur Lage? "Es wird werden."

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