Wahl in Indien:Die dunkle Seite

Hindu-Nationalist Narendra Modi

Favorit fürs Premierministeramt in Indien: Narendra Modi

(Foto: REUTERS)

Indien wählt. Fünf Wochen lang. Narendra Modi, Sohn eines Teeverkäufers und Wirtschaftsreformer, ist der Favorit für das Amt des Premiers in der größten Demokratie der Welt. Seine Gegner fragen: Welche Rolle spielte er beim Mord an Hunderten Muslimen?

Von Arne Perras, Ahmedabad

Schon als Sechsjähriger half Narendra Modi im Laden seines Vaters aus. Der Junge servierte den Kunden Tee. Das ist lange her, aber nicht vergessen. Alle Inder wissen um die bescheidene Herkunft dieses Mannes. Er hat sich hochgearbeitet. Dafür bewundern ihn viele. Und nun greift Narendra Modi, Sohn eines Teeverkäufers, nach dem Amt des indischen Premiers. Das hat es in diesem Land noch nicht gegeben.

815 Millionen Inder sind aufgerufen, ihr Parlament zu wählen, die Abstimmung beginnt an diesem Montag und wird mehr als vier Wochen lang dauern. Wenn Modis Partei der Hindu-Nationalisten, BJP, genügend Sitze bekommt, wird ihn das an die Regierung katapultieren. Er ist der Favorit. Die regierende Kongresspartei der Gandhi-Dynastie erscheint in Umfragen weit abgeschlagen. Sie wird es schwer haben, sich an der Macht zu halten.

Wer also ist dieser Herausforderer? Journalisten hält Modi auf Distanz, Interviews will er in diesen Wochen nicht geben. Dennoch hat der 63-Jährige fast unablässig geredet in den vergangenen Monaten, er ist kreuz und quer durch Indien gereist und hat überall zum Volk gesprochen. Und so haben sich alle ein Bild von diesem Mann gemacht. Was die Menschen allerdings in Modi sehen, klafft so weit auseinander, dass man den Eindruck haben könnte, es geht gar nicht um ein und dieselbe Person.

"Unserer Wirtschaft geht es gut, Modi kann ganz Indien voranbringen"

Für die einen ist Modi der Macher: Unternehmer setzen auf ihn und viele Inder der wachsenden Mittelklasse. Zu ihnen gehört Mahesh Yadav, ein junger Mann aus Ahmedabad, dem wirtschaftlichen Zentrum von Gujarat. Diesen Bundesstaat im Westen Indiens regiert Modi als Ministerpräsident - Chief Minister - nun schon seit mehr als zehn Jahren. Yadav ist froh darüber, denn er hat einen Job bei einem Busunternehmen gefunden, der Ministerpräsident schaffe Arbeit. "Modi hat Gujarat entwickelt. Sehen Sie sich um, was für gute Straßen wir hier haben." Yadav zeigt auf die neuen Überführungen, die überall in Ahmedabad gebaut werden. "Unserer Wirtschaft geht es gut. Modi kann ganz Indien voranbringen, wenn er Premier wird."

Wer in diesen Tagen durch Indien reist, hört ähnliche Stimmen überall. Viele sind überzeugt, dass Modi die nötige Entschlossenheit hat, die grassierende Korruption einzudämmen. Sie glauben daran, dass er nicht nur über Reformen redet, sondern sie auch durchziehen wird, wenn er regiert.

Aber dieser Aufsteiger, für den sich jetzt so viele begeistern, trägt auch eine schwere Last. Ein Diplomat nennt es seine "dunkle Seite". Um sie zu erkunden, muss man einige Jahre zurückblicken. Februar 2002 - dieser Monat ist in Indien nicht vergessen. Und schon gar nicht in der Naroda Patiya, einer engen Geschäftsgasse in der Stadt Ahmedabad.

Pogrome in Gujarat - welche Rolle spielte Modi?

Hier leben Muslime. Und fast alle haben damals Freunde und Verwandte verloren, so wie die Müllerin Fatima Bibi. Die 50-jährige Frau ist vom Kopf bis zu den Zehen mit Mehl eingepudert. Sie leert gerade einen Sack Getreide in den großen Trichter, die Mühle rattert. Erst will sie nicht sprechen, aber dann kann sie gar nicht mehr aufhören.

Begonnen hatte alles gar nicht hier, sondern in einem Ort namens Godhra. Dort ging am 27. Februar 2002 ein Zug mit Hindu-Pilgern in Flammen auf, 58 Insassen kamen ums Leben. Schnell fiel der Verdacht auf radikale Muslime als mutmaßliche Brandstifter, doch die Ursache des Feuers wurde nie aufgeklärt. In der Stadt Ahmedabad formierte sich unterdessen blitzschnell ein wütender Mob aufgebrachter Hindus, der nun Jagd auf Muslime machte. Es dauerte lange, bis der Staat in Gujarat die Täter stoppte. Mehr als 1000 Menschen kamen in den Unruhen von Gujarat ums Leben, die meisten waren Muslime.

Müllerin Bibi hat ihre Eltern verloren und ihre Kinder - bis auf zwei. "Sie haben acht aus meiner Familie getötet. Wie soll ich da für Modi stimmen?" Die barfüßige Frau redet sich schnell in Rage. "Nie ist er hierhergekommen und hat sich entschuldigt." Ja, sie habe eine Entschädigung bekommen. "Aber was ist Geld?", ruft sie und beginnt zu schluchzen. "Wenn Modi mir meine Familie zurückgibt, dann werde ich ihm vergeben."

Modi wird den Schatten des Jahres 2002 nicht mehr los

Als es losging mit dem Morden, rannte Müllerin Bibi zur Polizei: "Ich dachte, da sind wir sicher." Stattdessen habe der Polizist nur gesagt, er könne ihr nicht helfen, das sei ein Befehl seiner Chefs. Als sie weiter flehte, hörte sie einen Polizisten sagen: "Ihr habt doch die Leute im Zug in Godhra getötet."

Wo aber war Modi, der Ministerpräsident, in diesen finsteren Stunden? Wenn er so gut durchgreifen kann, warum hat er dann nicht gehandelt, um das Morden zu stoppen? Das fragen sich die Leute in der kleinen Gasse. Allein hier sollen 98 Menschen den Tod gefunden haben. Und manche gehen noch weiter: Sie machen Modi direkt für die Jagd auf Muslime verantwortlich.

Modi und der Massenmord - welche Rolle spielte der Premier? Diese Frage beschäftigte jahrelang die Justiz. Eine Schuld wurde ihm nie nachgewiesen. Dennoch wird Modi den Schatten des Jahres 2002 nicht mehr los. Sein Rivale, der junge Rahul Gandhi von der Kongresspartei, wird nicht müde, an die Gewalt in Gujarat zu erinnern und Modi dafür anzuprangern. Und es gilt als sicher, dass dies den Herausforderer Stimmen kosten wird. "Ich kann nicht erkennen, dass die Muslime für Modi stimmen werden", sagt der Schriftsteller Nilanjan Mukhopadhyay, der eine Biografie von Modi verfasst hat.

Er macht die Religion zum Werkzeug seiner Ambitionen

Etwa zwölf Prozent der indischen Bevölkerung sind islamischen Glaubens, und viele haben kein gutes Gefühl, wenn sie daran denken, dass einer wie Modi ihr Premier werden könnte. Nur eine kleine Minderheit unter den Muslimen, die zur Wirtschaftselite gehören, dürfte ihn in den Wahlen stützen, weil sie sich von ihm eine unternehmerfreundliche Politik erhofft.

Der BJP-Kandidat aber setzt auch nicht auf die Minderheiten. Er versucht, alle Hindus im Land hinter sich zu scharen, die in der großen Mehrheit sind. So hat er Varanasi als seinen Wahlkreis gewählt, an den Ufern des Ganges. Der Ort gilt als eine der heiligsten Stätten des Hinduismus. Modi setzt damit ein Zeichen, das alle verstehen: Er macht die Religion zum Werkzeug seiner Ambitionen.

Er ist kein säkularer Politiker, wie die Spitzen der dynastisch geführten Kongresspartei, die Indien jahrzehntelang dominierte und nun in einer Krise steckt. Modi versucht, seine Macht auf die hinduistische Religion und Kultur zu stützen, er will alle Hindus unter seinem Banner vereinen, reiche und arme.

Er hofft, dass er auch die unteren Schichten mobilisieren kann. Dabei könnte ihm helfen, dass er selbst aus armen Verhältnissen stammt. Manche mögen in ihm nun ein Vorbild erkennen, dem es nachzueifern gilt. Modi macht vor, was viele sich erträumen.

Modi soll aufräumen mit der korrupten Bürokratie

Religion für politische Zwecke zu nutzen - ist das nicht ein Spiel mit dem Feuer? Gerade in Indien, einem Land, wo immer wieder Gewalt zwischen Hindus und Muslimen aufflammt? Die Masse der wachsenden Mittelklasse scheint solche Sorgen kaum zu teilen. "Sie wollen einen starken Mann an der Spitze, weil sie glauben, dass nur er die Kraft hat, Indiens wirtschaftliche Missstände zu beseitigen", sagt Mukhopadhyay. Modi soll aufräumen mit der korrupten Bürokratie, die das Wachstum hemmt und er soll Hürden abbauen, die Unternehmer ausbremsen.

Die Mittelklasse also ersehnt Modi, den Macher. Und er versteht es bestens, diese Sehnsüchte rhetorisch zu bedienen. Im Englischen ist er nicht der Sicherste, aber in Hindi kann er die Massen mitreißen, und das zählt. Modi hat einen ausgeprägten Sinn für Sarkasmus, auch das kommt an. Außerdem pflegt er sorgsam das Image eines standfesten Siegertypen, der auch in schweren Zeiten durchgreifen kann.

Eiserne Disziplin ist ihm wichtig, er hat sie als junger Mann im RSS gelernt, dem nationalistischen Hindu-Freiwilligen-Corps, in dem er aufgestiegen ist. Der RSS zeigte einst große Verehrung für Hitler und die Nazis. Inzwischen tut er das nicht mehr, aber Kritiker sehen im RSS noch immer eine radikale rechte Organisation, die für die BJP und ihren Spitzenkandidaten nun an der Basis Wähler mobilisiert.

Auch Kandidat Modi wirft gerne mal einen Blick zurück in die deutsche Geschichte. Kürzlich hat er eine Biografie von Bismarck gelesen. Der Eiserne Kanzler soll ihn mächtig beeindruckt haben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: