Wahl in Großbritannien:Schwere Schlappen für Ukip und die schottischen Nationalisten

Wahl in Großbritannien: Parteivorsitz der UKIP: Paul Nuttall

Parteivorsitz der UKIP: Paul Nuttall

(Foto: AFP)

Die Konservativen hadern mit May, Labour findet Corbyn super und die proeuropäischen Liberaldemokraten kommen kaum vom Fleck. Und die EU-Feinde von Ukip? Die schaffen sich ab.

Kompakt-Analyse von Matthias Kolb

In Deutschland sind Koalitionen normal, in Großbritannien eher eine Seltenheit. Ziemlich überraschend kommt es im Vereinigten Königreich nun zu einem hung parliament, weil die Konservativen nur 318 von 650 Sitzen gewinnen (42 Prozent der Stimmen). Labour kommt mit Jeremy Corbyn auf 262 Sitze und einen relativ hohen Anteil von 40 Prozent der Stimmen.

Das britische Mehrheitswahlrecht benachteiligt die kleinen Parteien - die proeuropäischen Liberaldemokraten erhalten mit gut sieben Prozent nur 13 Sitze. Die EU-Gegner von Ukip geben nicht nur ihren einzigen Sitz ab, sondern verlieren etwa zehn Prozentpunkte im Vergleich zur Wahl 2015. Die Wahlbeteiligung war mit knapp 69 Prozent überraschend hoch.

Das Ergebnis der britischen Unterhauswahl in der Kompakt-Analyse.

Theresa May hat gepokert - und verloren. Die konservative Premierministerin wollte ein klares Mandat für die Verhandlungen über den Brexit und wollte ihre Mehrheit von 17 Sitzen ausbauen. Nun ist die Mehrheit im Parlament weg und es ist offen, ob die stark beschädigte May als Regierungschefin weitermachen kann - ein möglicher Partner wäre die probritische Democratic Unionist Party aus Nordirland (10 Sitze), mit der sie auf eine Mehrheit von 328 Mandaten käme.

Mays Wahlkampf war desaströs (mehr in diesem SZ-Stück): sie wirkte unnahbar, scheute den Kontakt zu den Wählern und musste mit der umstrittenen "Demenz-Steuer" ein Wahlversprechen noch vor dem Wahltag kassieren. Kurz: Die Partei war nicht von der Ex-Innenministerin begeistert - je näher die Wähler May kennenlernten, umso kritischer sahen sie sie.

Labour übertrifft die Erwartungen. Der Altlinke Jeremy Corbyn galt lange Zeit und nach Meinung nahezu aller Experten als "unwählbar". Doch der 68-Jährige schaffte es, dass sich diese Wahl nicht nur um den Brexit drehte, sondern auch um das Bildungssystem, die Gesundheitsversorgung und ganz allgemein um einen Kurswechsel und eine Abkehr von der Austeritätspolitik der Tories (Details hier).

Ihm halfen zwei Faktoren: Corbyn wird von vielen jungen Briten für seine Prinzipienfestigkeit bewundert und anders als beim Brexit gaben sie dieses Mal ihre Stimme ab. Auch wenn sie nicht kompromisslos gegenüber Brüssel sein wollen wie die Konservativen: Labour akzeptiert den Wunsch der Bevölkerung, die EU zu verlassen - und dies trug dazu bei, dass viele ehemalige Ukip-Wähler nun Labour gewählt haben und nicht die Konservativen.

Der Brexit ist unausweichlich. Auch im neuen Parlament in Westminster wird die Mehrheit der Abgeordneten den Austritt aus der Europäischen Union unterstützen. Die meisten Konservativen tun dies aus Überzeugung, die meisten Labour-Vertreter haben die Tatsache akzeptiert und hatten im Wahlkampf dafür geworben, den Bruch nicht zu drakonisch zu vollziehen, wie Theresa May das angekündigt hat.

Dass auch die meisten "Remain"-Wähler (immerhin 48 Prozent) das Ergebnis des Referendums akzeptiert haben, zeigt das Ergebnis der Liberaldemokraten. Obwohl sie als einzige echte Anti-Brexit-Partei antraten, erhielten sie nur sieben Prozent und 13 Mandate. Die Lib Dems fordern ein zweites Referendum über den Deal, den London bis Ende März 2019 mit Brüssel aushandeln muss. Aus Sicht der EU verkompliziert das Ergebnis alles: In Brüssel hatte man gehofft, dass aus dieser Wahl eine Regierung mit einer klaren Mehrheit hervorgeht, damit deren Chef oder Chefin in den Verhandlungen mehr Flexibilität hat und nicht durch Hardliner erpressbar ist.

Die EU-Feinde der Ukip haben sich abgeschafft. 2015 erhielt die United Kingdom Independence Party 13 Prozent aller Stimmen - wegen des Mehrheitswahlrechts schickte sie aber nur einen Abgeordneten ins Parlament. Der wachsende Erfolg der Anti-Europa-Partei hatte den damaligen Premier David Cameron bewogen, ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft anzusetzen. Dort votierte die Mehrheit bekanntermaßen für den Brexit - und die Partei von Nigel Farage hatte ihr Ziel erreicht und auch ihre Existenzberechtigung verspielt.

Dies ist ein Faktor, der das mickrige Ergebnis von weniger als zwei Prozent erklärt. Die anderen Gründe? Die Tories haben die wichtigsten Ukip-Themen in Gänze übernommen: Ein "hard Brexit" inklusive Ausstieg aus dem Binnenmarkt und der Zollunion der EU sowie eine rigide Haltung in Sachen Einwanderung. Theresa May verspricht weiter unbeirrt, die Netto-Einwanderung auf jährlich unter 100 000 zu senken (was seit Jahren nicht gelingt). Dass Paul Nuttall als Ukip-Chef längst nicht so charismatisch ist wie der langjährige Frontmann Nigel Farage, hat Ukip sicher auch nicht geholfen. Nuttall, der seinen Wahlkreis nicht gewinnen konnte, ist prompt am Freitagvormittag als Parteichef zurückgetreten. Aber Farage, der nun für Fox News arbeitet, wusste schon, warum er sich aus der Politik verabschiedet hat.

Schwere Schlappe für die schottischen Nationalisten. Es musste zu Verlusten kommen, denn das Ergebnis der Scottish National Party bei der Wahl 2015 war so unfassbar gut gewesen: 56 von 59 der schottischen Sitze hatte die SNP erobert - und Labour 40 Sitze verloren. Jeder zweite Wahlberechtigte wählte damals die Partei, die nach Einschätzung der Politik-Professorin Ailsa Henderson das Grundgefühl der Schotten ideal verkörpert: proeuropäisch, sozialdemokratischer und sozial gerechter als im Rest Großbritanniens.

Dass die SNP jetzt nur noch 35 Sitze erhält, liegt auch daran, dass die Partei seit zehn Jahren alleine regiert. Also wirken sich Schwächen in der Bildungs- und Gesundheitspolitik natürlich negativ auf die Popularität aus, analysierte Ewen Cameron von der University of Edinburgh. Dennoch ist der Zugewinn der schottischen Konservativen erstaunlich: Sie stellen nun zehn Abgeordnete. Deren Chefin Ruth Davidson kritisierte Nicola Sturgeon, die Erste Ministerin, permanent für deren "Besessenheit von einem zweiten Unabhängigkeitsreferendum" - und das Ergebnis zeigt, dass viele Schotten momentan kein zweites Mal über die Selbständigkeit abstimmen will. In Zeiten von Brexit und sonstigen Unsicherheiten scheint dieser Schritt offenbar vielen zu riskant.

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