Wahl in Großbritannien:Leichter Vorteil für den Herausforderer

Die britische Premierministerin May und Labour-Chef Corbyn liefern sich im TV ein Fernduell. Der Kampf um Stimmen wird härter - die Wahl kommende Woche könnte knapper werden als erwartet.

Von Christian Zaschke, London

Wochenlang hatte Premierministerin Theresa May unbeirrt auf nahezu jede Frage gesagt, Großbritannien brauche jetzt "starke und stabile" Führung. Sie wiederholte das so oft, dass es nach einer Weile wirkte, als sei ihr Wortschatz über Nacht auf diese beiden Wörter zusammengeschnurrt: stark und stabil. Am Montagabend stellte sie sich in einem Fernsehstudio den Fragen des Publikums und eines Moderators, nachdem Labour-Chef Jeremy Corbyn zuvor das Gleiche getan hatte. May nutzte ihre Lieblingsformel nicht ein einziges Mal.

Das ist nur ein Zeichen dafür, dass die Konservativen ihre Strategie gründlich überarbeitet haben. Zunächst war der Wahlkampf ganz auf May zugeschnitten. Dass sie für die Konservativen antritt, wurde kaum je erwähnt, die Rede war stets von "Theresa May und ihrem Team". Die Tories setzten darauf, mit diesem präsidialen Wahlkampf die Defizite des Labour-Kandidaten Jeremy Corbyn betonen zu können.

Durch die dauernde Wiederholung des Immergleichen wirkte May jedoch roboterhaft und inhaltsleer, während Corbyn ruhig zur Sache sprach, vor allem zu sozialen Themen. Die Folge: In den Umfragen holte Labour mehr und mehr auf. Plötzlich sah es so aus, als könnte es bei der Parlamentswahl am 8. Juni doch noch einmal knapp werden. An einem Sieg der Tories bestehen weiterhin wenig Zweifel. Doch May hatte die vorgezogenen Neuwahlen nur ausgerufen, weil sie glaubte, einen Erdrutsch-Sieg einfahren zu können. Das steht mittlerweile in Frage, und deshalb haben die Konservativen beschlossen, doch wieder als Partei aufzutreten.

Beide Parteien reklamieren den Sieg im indirekten Duell für sich

Dass Corbyn und May am Montag bei der gemeinsamen Veranstaltung der Sender Channel 4 und Sky News nacheinander und nicht gemeinsam auftraten, ist der Tatsache geschuldet, dass die Premierministerin die direkte Konfrontation abgelehnt hat. Das wiederum hat zwei Gründe. Zum einen hat der Herausforderer in direkten Duellen in der Regel mehr zu gewinnen, zum anderen mag May solche Duelle nicht, weil sie zu unvorhersehbar sind.

Beide Parteien reklamierten am Dienstag den Sieg im indirekten Duell für sich, doch die meisten Beobachter bewerteten es als Unentschieden, vielleicht mit leichten Vorteilen für Corbyn. Der Labour-Chef hatte sich besser präsentiert als erwartet, während May den Abend ohne größere Schrammen überstand. Gewinner des Abends war am ehesten das Studiopublikum, das mit präzisen Fragen ein genuines Interesse an den politischen Details der Wahlprogramme demonstrierte.

Corbyn antwortete schwammig, wirkte insgesamt dennoch kohärenter.

May geriet vor allem ins Schwimmen, wenn sie von Polizisten, Hebammen oder Lehrern nach den Kürzungen im Gesundheitswesen und im öffentlichen Dienst gefragt wurde. Bisweilen lachte das Publikum sogar über ihre ausweichenden Antworten. May reagierte darauf wie gewohnt mit einem eisigen Starren, doch dieser Todesblick hat in den vergangenen Wochen der Kampagne an Kraft eingebüßt. "Sie haben es verbockt", rief jemand im Publikum.

Corbyn gab schwammige Antworten, als er dazu befragt wurde, warum er in der Vergangenheit Sympathie für die Irisch-Republikanische Armee gezeigt und wieso er den Falkland-Krieg als Verschwörung der Tories bezeichnet habe. Insgesamt wirkte er jedoch kohärenter. Der 68 Jahre alte Labour-Chef ist, seitdem er 2015 den Vorsitz der Partei übernommen hat, deutlich souveräner in seinen öffentlichen Auftritten geworden.

Mays Auftritt wurde dadurch gerettet, dass der Moderator sie am Ende fragte, ob sie bereit sei, die EU ohne Abkommen zu verlassen. "Kein Deal ist besser als ein schlechter Deal", sagte sie, und da der Moderator seine Frage mehrmals wiederholte, sagte sie es fünfmal hintereinander. Das Gros des Publikums applaudierte - immerhin haben knapp 52 Prozent der Briten für den Austritt gestimmt, darunter viele Labour-Wähler. Daher wird Mays Wahlkampf sich in den kommenden eineinhalb Wochen vor allem auf eins konzentrieren: zu zeigen, dass sie, anders als Corbyn, die Brexit-Verhandlungen in aller Härte führen wird.

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