Wahl in Großbritannien:Das Beben

Nach dem Triumph des konservativen Premiers Cameron steht Europa vor einer ungewissen Zukunft. Doch auch dem Königreich drohen Verwerfungen.

Von Daniel Brössler, Brüssel

David Cameron hat einen Sieg mit womöglich historischen Konsequenzen für Europa errungen. Fast sicher läutet die überraschend eindeutige Wiederwahl des konservativen britischen Premierministers eine neue Phase der Ungewissheit in Europa ein. Für die Europäische Union geht es von nun an um den Fortbestand in ihrer jetzigen Gestalt. Denn Großbritannien wird das von Cameron im Fall eines Wahlsiegs bis 2017 versprochene Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU auch abhalten müssen, wie Cameron selber bestätigte.

Nach Auszählung aller 650 Wahlkreise kommt Camerons Konservative Partei auf 331 Mandate. Damit könnten die Konservativen wieder allein regieren. Die vergangenen fünf Jahre hatten sie sich die Macht mit den Liberaldemokraten teilen müssen, die von 57 auf acht Sitze einbrachen. Das Wahlergebnis hat Cameron mit frischem Selbstbewusstsein ausgestattet und zugleich erste Personalentscheidungen ermöglicht. Finanzminister George Osborne bleibt im Amt und wird zudem stellvertretender Regierungschef.

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Camerons Triumph steht ein Debakel der Labour-Partei gegenüber, die in Schottland der Schottischen Nationalpartei (SNP) das Feld überlassen musste. Deren Erfolg versieht nur Monate nach einem erfolglosen Referendum die Zugehörigkeit Schottlands zum Vereinigten Königreich erneut mit einem Fragezeichen.

Die Aussicht auf die Abstimmung über Großbritanniens Mitgliedschaft in der EU wird indessen Europas Politik prägen. Cameron fordert grundlegende Vertragsänderungen, hat dies aber bisher nicht konkretisiert. Gestartet hat er jedoch bereits einen Angriff gegen die Personenfreizügigkeit. Sie gehört mit dem freien Verkehr von Waren, Kapital und Dienstleistungen zu den vier Grundfreiheiten der EU und damit zu ihrem absoluten Kernbestand. Einschränkungen der Freizügigkeit für Arbeitnehmer in der EU kommen für Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wie auch für die meisten Staats- und Regierungschefs, unter ihnen Kanzlerin Angela Merkel, nicht infrage. Die Grundfreiheiten der EU seien nicht verhandelbar, sagte Junckers Sprecher am Freitag.

Dessen ungeachtet nahm die Diskussion über die Änderung der europäischen Verträge Fahrt auf. Der Fraktionschef der Christdemokraten und Christsozialen im Europäischen Parlament, Manfred Weber (CSU), forderte Überlegungen, "ob nicht die Zeit für eine größere Vertragsreform gekommen ist". Vertragsänderungen sind in der EU riskant und kompliziert. Für weitreichende Änderungen sieht der Vertrag von Lissabon die Einberufung eines Konvents vor, der sich aus Vertretern der nationalen Parlamente, der nationalen Regierungen, des Europäischen Parlaments und der Kommission zusammensetzt. Über dessen Empfehlungen entscheidet dann eine Regierungskonferenz.

Aufeinanderprallen dürften dort sehr gegensätzliche Visionen für die EU. Während in dem von der Euro-Zone gebildeten Kern der EU eine Vertiefung der politischen Union gewünscht wird, strebt Cameron eher an, Kompetenzen von Brüssel wesentlich zu beschneiden. Verhandlungen über Vertragsänderungen würden überdies unter dem Damoklesschwert des britischen Referendums stattfinden. Begonnen hat bereits ein intensives Werben um die Briten. "Ich bin zutiefst überzeugt, dass es kein besseres Leben außerhalb der Europäischen Union gibt, für kein Land", sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk.

Eine Ironie der britischen Wahl zeigt sich im Abschneiden der EU-feindlichen Partei Ukip, deren Erstarken in den vergangenen Jahren zum Konfrontationskurs Camerons in der EU beigetragen hatte. Die Ukip kam lediglich auf ein Mandat. Ihr Vorsitzender Nigel Farage trat zurück. Größter Wahlverlierer aber ist die Labour-Partei. Sie erreichte trotz eines vorhergesagten Kopf-an-Kopf-Rennens nur 232 Mandate. Parteichef Ed Miliband übernahm die "volle Verantwortung" und trat zurück. Die Labour-Partei verlor insbesondere in ihrer traditionellen Hochburg Schottland zahlreiche Wahlkreise an die SNP, die ihre Sitzzahl von sechs auf 56 der 59 in Schottland vergebenen Sitze ausbaute. Das könnte schottische Unabhängigkeitsbestrebungen wieder beflügeln - vor allem für den Fall, dass sich Großbritannien von der EU abwendet.

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