Wahl in Frankreich:Juppé gegen Fillon - eine vorgezogene Schicksalswahl

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Fillon gilt als konservativer, Juppé als moderater. Beide Kandidaten müssen sich vor allem vor einer fürchten: Front-National-Chefin Marine Le Pen. (Foto: AFP)
  • Am Sonntag küren die Republikaner per Vorwahl ("Primaire") ihren Spitzenkandidaten.
  • Umfragen zufolge könnte das François Fillon werden. Sein Herausforderer ist Alain Juppé. Der Sieger hat gute Chancen, französischer Präsident zu werden.
  • Fillon und Juppé wollen das Land marktorienter machen - Fillion per "Schock" mit Vorschlaghammer, Juppé eher mit dem Schraubenzieher.

Von Christian Wernicke, Paris

Offiziell wählen die Franzosen erst in fünf Monaten einen neuen Präsidenten. De facto jedoch dürfte sich bereits an diesem Wochenende entscheiden, wer im Mai in den Élysée-Palast einzieht: Am Sonntag küren die Republikaner, Frankreichs bürgerliche Oppositionspartei, per Vorwahl ("Primaire") ihren Spitzenkandidaten - und gemäß allen Prognosen hat der konservative Aspirant die besten Chancen, die Stichwahl am 7. Mai 2017 zu gewinnen.

Es steht viel auf dem Spiel, für die Nation wie für Europa. Denn diesmal haben die Franzosen nicht wie üblich die Qual der Wahl zwischen rechts und links - sie könnten auch für Marine Le Pen votieren, die Chefin des Front National. Triumphiert die Rechtspopulistin, zerbricht Europa: Le Pen wünscht Euro und EU den Tod.

Die "Primaire" von Frankreichs Republikanern wird so zur vorgezogenen Schicksalswahl. Umfragen prophezeien für Sonntag einen Sieg von François Fillon. Der 62 Jahre alte Ex-Premier galt lange als Außenseiter im Rennen um die Spitzenkandidatur. Im ersten Wahlgang am vorigen Sonntag errang er aber 44 Prozent und lag weit vor dem favorisierten Alain Juppé (28,6).

Ex-Präsident Sarkozy hat sich für den Außenseiter Fillon ausgesprochen

Die 4,2 Millionen Vorwähler zwangen Nicolas Sarkozy als Drittplatzierten zum endgültigen Rückzug aus der Politik. Die meisten von Sarkozys Anhängern dürften der Empfehlung des Ex-Präsidenten folgen und in der Stichwahl Fillon unterstützen. (siehe Grafik).

SZ-Grafik; Quelle: ifop-Fiducial (Foto: SZ-Grafik; Quelle: ifop-Fiducial)

Fillon präsentiert sich als konservativer Katholik - und er will "als französischer Thatcher" dem Land eine wirtschaftspolitische Rosskur verordnen: eine spätere Rente, ein Ende der 35-Stunden-Woche, 500 000 weniger Stellen im Staatsdienst. Fillon nennt sein Programm "radikal" und erklärt den Sozialstaat für gescheitert: "Das französische Sozialmodell existiert nicht mehr", sagte er am Donnerstagabend beim TV-Duell mit Alain Juppé, seinem moderateren Widersacher.

Auch Juppé strebt marktorientierte Veränderungen und "weniger Staat" an. Aber er möchte "keine Brüche", er will "den Sozialstaat konsolidieren". Beide Kandidaten präsentieren sich als Reformer - aber als Handwerker mit unterschiedlichen Werkzeugen: Fillon verspricht "einen Schock" und greift zum Vorschlaghammer, Juppé dagegen will das System modernisieren und per Schraubenzieher justieren.

Der 71-jährige Senior in Frankreichs Politik, der im Sommer sogar vor einem "Bürgerkrieg" warnte, hält Frankreichs Gesellschaft für "zu zerbrechlich", um auf einen harten Kurs zu setzen. Er ruft Wähler der Mitte und enttäuschte Sozialisten zur Teilnahme an der Vorwahl auf. Doch diese Taktik droht zu scheitern: Nach dem Ausscheiden des bei den Linken verhassten Sarkozy dürften viele gemäßigte Sozialisten daheim bleiben, und der harte Kern der republikanischen Anhänger favorisiert zu drei Vierteln Fillon.

Dass mehr als vier Millionen Franzosen sich vorige Woche zur Urwahl der Opposition aufmachten (und sogar zwei Euro Gebühr berappten), deuten Beobachter - zumal in Zeiten von Brexit und Trump - als Signal gegen Demokratie-Krise und Populismus: "Das zeigt zwei Dinge", schwärmt der Soziologe Michel Wieviorka, "die liberale Demokratie ist nicht zum Scheitern verurteilt - und die klassische Rechte lebt."

Wieviorka, ein bekennender Linker, hält es nun nicht mehr für ausgemacht, was bisher alle Demoskopen vorhersagen - dass Marine Le Pen im ersten Wahlgang am 23. April 2017 die meisten Stimmen erhält. "Es steht nirgendwo geschrieben, dass der FN in die Stichwahl der Präsidentschaftswahl kommt."

Fillon umwirbt die konservativen Wähler - um sie von Le Pen wegzuholen

Der Aufstieg der Marine Le Pen beherrscht alle politischen Köpfe Frankreichs - und auch die sehr unterschiedlichen Strategien von Fillon und Juppé. Indem Fillon vor einer zu starken Zuwanderung und vor zu vielen Muslimen im Land warnt, umwirbt er direkt FN-Wähler. Der stramm konservative Kurs soll Le Pen schwächen - und könnte die FN-Chefin schon im ersten Wahlgang scheitern lassen. Juppé hingegen denkt schon heute an die Stichwahl: Er rechnet mit dem Front als stärkster Partei im April - um dann Le Pen mit den Stimmen der Linken am 7. Mai zu schlagen.

Fillons Taktik würde bedeuten, dass im Frühjahr neben dem Republikaner (und statt Le Pen) ein Kandidat der Linken in die Stichwahl käme. An ein solches Szenario wollte zuletzt kaum noch ein Sozialist glauben. Frankreichs Linke ist völlig zerstritten - und geschwächt durch den extrem unpopulären Amtsinhaber François Hollande.

Der Staatspräsident, so raunt es aus dem Élysee-Palast, werde sich Anfang Dezember entscheiden, ob er wieder kandidiert. Unter Sozialisten mehren sich die Stimmen, die dem Präsidenten abraten. Dann würde Premierminister Manuel Valls ins Rennen ziehen. Laut aktuellen Umfragen hätte Valls zwar bessere Chancen als Hollande - aber doch kaum Aussichten, den Sieger vom Sonntag am Ende noch zu stoppen.

© SZ vom 26.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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