Wahl in Frankreich:Im Labor des Front National

Hénin-Beaumont ist die Vorzeigestadt des Front National im Norden von Frankreich. Viele Bewohner lieben Marine Le Pen - eine Stadträtin erzählt hingegen von Angst und Unterdrückung.

Von Leila Al-Serori, Hénin-Beaumont

Ein bisschen fühle man sich ja wie ein Tier im Zoo, sagt die ältere Frau mit den langen rotgefärbten Haaren. Immer wieder kommen Journalisten in ihre kleine Stadt und fragen, wie das so sei mit dem Front National im Rathaus. Aber sie spricht dann doch gerne. "Ich liebe Marine Le Pen." Auch Taxifahrer Antoine erzählt in lobenden Worten, dass alles viel sauberer sei, seit der Front National Hénin-Beaumont regiert. Der Bürgermeister grüße alle auf der Straße, das komme gut an. Gewählt hat Antoine gestern trotzdem den Kandidaten der Konservativen, François Fillon. Damit ist er in der klaren Minderheit, 46,5 Prozent entschieden sich hier für Marine Le Pen, die Chefin des Front National. Auf Platz zwei mit knapp 20 Prozent kam der Linke Jean-Luc Mélenchon.

Hénin-Beaumont ist nicht irgendein Ort für die Rechtspopulisten. Le Pen hat sich bewusst die Stadt im Norden Frankreichs für ihre Wahlparty nach dem ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen ausgesucht. Ihre Partei ist dort besonders stark, seit 2014 stellt sie mit Steeve Briois sogar den Bürgermeister, einen von elf in ganz Frankreich.

Hier leben "die vergessenen und abgehängten Franzosen", begründete Le Pen ihre Auswahl vor zwei Wochen. Um die wolle sie sich kümmern. Hénin-Beaumont wird gerne genannt von Le Pen, wenn sie zeigen möchte, wie regierungsfähig der Front ist und, dass ihre Partei nicht alles ins Chaos stürze. Die Stadt gilt als deren Labor und Schaufenster - am Sonntagabend wird sie für ein paar Stunden sogar ihre Hauptstadt, Hunderte Unterstützer aus ganz Frankreich reisen an.

Es ist ein trister Ort, viele der kleinen Backsteinbauten sind renovierungsbedürftig. Die einst stolze Bergbaustadt Hénin-Beaumont mit 27 000 Einwohnern kämpft mit einer hohen Arbeitslosigkeit. Sie liegt im sogenannten "Bassin Minier", dem Kohlerevier entlang der Grenze zu Belgien. In den 1980er Jahren machten die Bergwerke zu, davon hat sich die Region nicht mehr erholt. Die Zentralregierung versäumte es, in den Strukturwandel zu investieren, heute liegt die Arbeitslosigkeit bei etwa 18 Prozent, weit über dem nationalen Durchschnitt. Der Front National hat es hier leicht, die Abstiegsängste der Menschen zu instrumentalisieren.

Eine der ersten Taten des 44-jährigen Steeve Briois als Bürgermeister war es, am Rathaus die Europafahnen neben den französischen Flaggen abzuhängen. Er ist ein enger Vertrauter Le Pens, Mitglied im FN-Parteivorstand und Europaabgeordneter. Neben stärkerer Polizeipräsenz, Renovierungsarbeiten und der Auflösung eines Roma-Lagers machte Briois mit der Organisation zahlreicher Feste von sich reden. Als nächstes Projekt will er 100 Videokameras installieren. Mehr Sicherheit, das finden im Ort viele gut. "Ich weiß nicht, warum die Leute Angst vor dem Front National haben. Wir sollten eher Angst ohne ihn haben", sagt Rentner Jacques.

Wenig Freude mit dem FN-Bürgermeister hat Marine Tondelier. Die 30-jährige Politikerin von den Grünen sitzt für die Opposition im Stadtrat. Sie erzählt von den weiterhin dunklen Seiten der Partei. "Jeder, der sie kritisiert, wird isoliert. Einschüchterungen und Beleidigungen sind an der Tagesordnung ", sagt Tondelier. Im März brachte sie ein Buch heraus, in dem sie das Leben unter dem Front National schildert. Seither fühle sie sich oftmals verfolgt.

Weg aus Hénin-Beaumont möchte sie nicht, es ist ihre Heimatstadt, schon ihre Großmutter lebte hier. Man müsse gegen die Partei kämpfen, gegen den Bürgermeister, und nicht gegen seine Wähler. Er sei das freundliche Gesicht der Partei, ein bisschen wie "Dr. Jekyll und Mr. Hyde", erklärt Tondelier. "Die Menschen hier sind nicht alle Faschisten, sondern verzweifelt. Sie wählen den Front National, weil sie sauer sind", sagt sie und verweist auf die schlechte ökonomische Lage der Stadt, auf das Gefühl, nicht von Interesse für die Regierung in Paris zu sein. "Das verstehe ich, das bin ich schließlich auch."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: