Wahl in Baden-Württemberg:Heimat, grasgrün

Winfried Kretschmann ließ wenig Platz für seine Gegner. Jetzt aber braucht er erst mal einen starken Partner, um in Stuttgart weiter zu regieren.

Von Roman Deininger, Max Hägler, Josef Kelnberger

Als Winfried Kretschmann um kurz nach halb sieben bei der grünen Party ans Mikrofon tritt, kommt er erst einmal minutenlang nicht zu Wort. Das grüne Parteivolk klatscht und jubelt und will gar nicht mehr aufhören damit. Als der Lärm verebbt, sagt Kretschmann: "Der grüne Teppich ist gelandet in der Mitte unseres Landes." Er spielt damit an auf eine Bemerkung im Wahlkampf 2011, als er davon sprach, der grüne Teppich habe zu fliegen begonnen. Kretschmann wirkt beherrscht, gibt aber doch zu, er sei "ziemlich überwältigt" von diesem Ergebnis. "Die Bürger von Baden-Württemberg haben heute Geschichte geschrieben." Am Nachmittag noch hatte sich Kretschmann mit der Führung von Fraktion und Partei im Stuttgarter Abgeordnetenhaus getroffen, er war betont demütig gestimmt. Seine Grünen vor der CDU? Man solle nicht ständig davon reden, das sei größenwahnsinnig, das bringe nur Unglück, hat er in den Tagen vor der Wahl seine engsten Vertrauten immer wieder ermahnt. Auch nach fünf Jahren als Ministerpräsident hält er das im Prinzip immer noch für ausgeschlossen in einem Bundesland, wo so gut wie in jedem Dorf ein konservativer Bürgermeister sitzt. Am frühen Abend treffen dann die ersten Zahlen ein, Kretschmann hat inzwischen auch Gesellschaft von seiner Frau, seinem Sohn, seinem Enkel. Es tritt ein, was er nicht glauben will. Die Grünen vor den Schwarzen, laut ARD-Prognose mit 32 Prozent gegenüber 27,5 Prozent für die CDU. In der Neuen Staatsgalerie werfen die Besucher der grünen Wahlparty die Hände in die Höhe, begleitet von Urschreien. Landwirtschaftsminister Alexander Bonde steht im Trachtenjanker in der ersten Reihe, ein Bild, das den grünen Erfolg im schwarzen Land ein bisschen erklärt. Als die Prognose für den Koalitionspartner SPD nur 13 Prozent voraussagt, weicht die Euphorie für einen Moment aus dem Saal. Der Koalitionspartner ist perdu. Bonde beeilt sich, die Deutungshoheit über ein für allerlei Deutungen offenes Ergebnis zu gewinnen: "Das ist ein klarer Regierungsauftrag für Winfried Kretschmann." Und damit haben die Grünen wohl recht: Diese Landtagswahl wird als Kretschmann-Wahl in die Geschichte Baden-Württembergs eingehen. Ein Grüner, laut Umfragen der beliebteste Regierungschef Deutschlands, hat die Hegemonie der jahrzehntelangen Regierungspartei fast im Alleingang gebrochen. Schon 2011 hatten die Grünen ein Rekordergebnis geholt mit 24,2 Prozent. Und nun mehr als 30 Prozent, dank Kretschmann Superstar. Er muss sich nun allerdings einen neuen Partner suchen, die SPD ist abgestürzt. "Wir haben einen hohen Preis für diese Koalition bezahlt", sagt Parteichef Nils Schmid, der als Stellvertreter von Kretschmann fünf Jahre lang in dessen Schatten stand. Zu einer möglichen Koalition mit CDU und FDP will sich Schmid nicht äußern. Kretschmann habe den Auftrag zur Regierungsbildung. Falls sich nun doch eine Koalition gegen die Grünen formiert, falls Kretschmann sein Amt als Ministerpräsident verlieren sollte, wird er sich aus der Landespolitik verabschieden. Dann ginge ein Stück deutsche Geschichte zu Ende: die erste Amtszeit eines grünen Ministerpräsidenten. Falls er aber noch einmal eine Regierung bilden kann, vielleicht sogar mit der CDU, könnte er auch 2021 noch einmal antreten, mit 72 Jahren. Er lässt das offen. Er hat wieder Lust bekommen. Er gefiel sich in diesem Wahlkampf in seiner Rolle als Elder Statesman in der Flüchtlingskrise, als Prediger für Europa, eng angelehnt an die CDU-Kanzlerin Merkel. Mehr als hundert Mal hat Winfried Kretschmann in den vergangenen Wochen die Welt erklärt. Bei seinem letzten Auftritt, am Samstag in Ravensburg, widmete er sich am Ende auch kurz der Frage: Wer bin ich? Es gehe ja das Gerücht um, er sei "ein grün angemalter Schwarzer", sagte Kretschmann. Quatsch sei das, nur damit zu erklären, dass all die Untergangsszenarien der CDU nicht eingetroffen seien. Das Land floriere nach fünf grünen Jahren wie nie zuvor. CDU-Landesväter als Garanten eines wirtschaftsstarken Ländles - von der Vorstellung müsse man sich verabschieden. "Ich versichere Ihnen", sagte Kretschmann, "ich bin ein grasgrüner Ministerpräsident." Frenetischer Jubel im Publikum. Allerdings gab er zu erkennen, dass ihm seine Rolle im Wahlkampf manchmal auch zur Last wurde. "Es herrscht ja gerade ein Kretschmann-Kult", sagte Kretschmann. "Gott sei Dank ist der am Sonntag um 18 Uhr vorbei."

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