Wahl in Afghanistan:Das Kreuz mit der Tinte

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Der Verlauf der Wahl in Afghanistan ist alles andere als perfekt - das Nato-Hauptquartier wurde mit einer Rakete beschossen, bei weiteren Anschlägen starben zahlreiche Menschen. Die Meinung der Wähler ist gespalten.

Tobias Matern, Kabul

Ramazan Bashardost kommt aus einem Kabuler Wahllokal. Im vergangenen Jahr war er im Rennen um die afghanische Präsidentschaft chancenlos, jetzt tritt er als Kandidat für das Parlament an. Der frühere Minister versucht zu lächeln, aber das misslingt ihm.

Ein afghanischer Wähler zeigt seinen "Wahlfinger" - um die Tinte, mit der die Afghanen abstimmen, hatte er schon mehrfach Ärger gegeben. (Foto: dpa)

Eigentlich ist Bashardost wütend, daraus macht er nach ein paar Augenblicken auch keinen Hehl mehr. "So ist das keine Wahl, so ist es eine Comedy-Veranstaltung", sagt er im Gespräch mit sueddeutsche.de. Alle Verantwortlichen hätten vor der Wahl versprochen, dass es keine Probleme mit der Tinte geben werde. Die Afghanen machen keine Kreuze, sondern markieren mit dem Zeigefinger den Kandidaten, den sie ins Parlament schicken wollen."Schon der erste Anrufer, der sich heute Morgen bei mir meldete, hat mir erzählt, dass es kein Problem ist, die Tinte abzuwischen und an einer anderen Wahlstation erneut seine Stimme abzugeben", sagt Bashardost. Er habe das überprüft, in manchen Wahllokalen gebe es tatsächlich dieses Problem.

Der Vizechef der UN-Mission in Afghanistan, Martin Kobler, sieht das anders. Die Tinte sei bei der Wahl nicht das Problem gewesen. "Die Vorwürfe habe ich gehört. Der Kandidat, den ich getroffen habe, hat sich auch beschwert, aber als ich auf seinen Finger geschaut habe, war er tiefschwarz", sagt der Diplomat.

Zum zweiten Mal nach dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 haben die Afghanen an diesem Samstag ein Parlament gewählt. Die Hoffnungen auf einen fairen Ablauf waren schon vorher gering. Zu unsicher sind weite Teile des Landes, mehr als 1000 Wahllokale blieben geschlossen. Die Taliban hatten erklärt, jeder, der sich an der Abstimmung beteiligen werde, sei für sie ein potenzielles Ziel.

Am Samstag setzten sie, wie im vergangenen Jahr bei der Präsidentschaftswahl, auf ihre wirksame Strategie, bereits vor Öffnung der Wahllokale die Nachrichtenlage zu bestimmen. Um kurz vor 4 Uhr feuerten sie eine Rakete ab, die offenbar das Nato-Hauptquartier in Kabul treffen sollte. Das Geschoss landete bei einem benachbarten Fernsehsender. Verletzt wurde niemand, auch der Sachschaden war gering.

Während des Wahltags selbst kam es allerdings zu zahlreichen blutigen Übergriffen, bei denen nach Angaben afghanischer Medien mindestens 15 Menschen ums Leben gekommen sind, weitere 40 Menschen wurden demnach verletzt.

Mehr als 2500 Kandidaten waren angetreten, um einen der 249 Sitze in der Wolesi Jirga zu erringen, ein Viertel davon ist für Frauen reserviert. Die Wahlbeteiligung schien laut Berichten aus den verschiedenen Landesteilen je nach Sicherheitslage sehr unterschiedlich auszufallen. Unter den Menschen in Kabul war die Stimmung gemischt. "Ich gebe meine Stimme ab, weil ich finde, dass wir wählen müssen, um unser Land voranzubringen", sagt ein Mann, der sich als Haroun vorstellt und stolz die - in seinem Fall absolut nicht abwischbare - Tinte auf dem Zeigefinger zeigt. "Ich weiß zwar nicht, ob das Parlament für uns gute Arbeit leisten wird, aber nicht wählen zu gehen ist auch keine Lösung."

Ein Mann auf der anderen Straßenseite des Wahllokals sieht das anders, aus seiner Sicht macht die Abstimmung überhaupt keinen Sinn. Die Abgeordneten hätten es schon in der letzten Legislaturperiode vor allem darauf abgesehen, ihren eigenen Vorteil zu mehren. Deshalb habe er dieses Mal seine Stimme nicht abgegeben, sagt er: "Ich traue keinem der Kandidaten, die ins Parlament wollen."

Die internationale Gemeinschaft hatte vor der Wahl darauf verwiesen, dass es vermessen wäre, auf einen perfekten Verlauf zu hoffen. Zumindest sollte von der Abstimmung aber ein positiveres Signal ausgehen als im vergangenen Jahr: Die Präsidentschaftswahl war von Fälschungen überschattet, Hunderttausende Stimmen wurden nachträglich für ungültig erklärt.

Am Nachmittag, einige Minuten nachdem die Wahllokale offiziell schließen sollten, erzählt Bashardost von weiteren Problemen. Er habe Abstimmungsorte gesehen, an denen vorzeitig das Papier zum Wählen ausgegangen sei, auch hätten "viele Männer einfach zwei Stimmen abgegeben". Sein Eindruck: Die Parlamentswahl sei nicht besser gewesen als die Präsidentschaftswahl. "Das war keine ehrliche Abstimmung", sagt der Kandidat. UN-Diplomat Kobler ist da natürlich zurückhaltender. Für eine umfassende Bewertung, ob die Wahl erfolgreich verlaufen sei, sei es noch viel zu früh, sagt er.

Erste Ergebnisse sollen in einigen Tagen vorliegen, das abschließende Resultat erst Ende Oktober bekannt gegeben werden - um den Kandidaten genug Zeit einzuräumen, sich über Mängel oder mutmaßliche Betrügereien zu beschweren. Ramazan Bashardost kann also noch darauf hoffen, dass sich jemand seiner Klagen annimmt.

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