Wahl im Internet:Wahlkampf unterm Pixelbaum

Ins Weiße Haus kommt man nur übers Internet: Doch wer Web, Online-Communitys und Blogs für sich nutzt, muss auch damit rechen, dass sein Bild verzerrt wird.

Tobias Moorstedt

Die virtuelle Hillary Clinton hat viele Gesichter. Im Internet findet man zunächst ein farbenfrohes Video der Senatorin. Clinton sitzt im Wohnzimmer ihres Landhauses, neben einer teuren Vase, vor schweren Samtvorhängen, und lächelt breit genug für das 16:9-Format in die Kamera. Sie sagt: "Ich kandidiere für das Amt des Präsidenten - and I am in it to win it." Als erste Politikerin erklärte Hillary Clinton 2007 ihre Kandidatur für das höchste Amt der USA nicht auf einer Pressekonferenz, sondern im Internet.

Wahl im Internet: Wenn man das Netz für seine Zwecke benutzt, kann man auch schnell verunstaltet werden. Screenshot: YouTube

Wenn man das Netz für seine Zwecke benutzt, kann man auch schnell verunstaltet werden. Screenshot: YouTube

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Ein paar Monate später tauchte auf YouTube ein Clip mit dem Titel "Vote Different" auf. Das Video spielt in einer düsteren Science-Fiction-Atmosphäre und zeigt Clintons Gesicht auf übergroßen Bildschirmen als "Big Brother" aus Orwells "1984". Ein unbekannter Regisseur hatte den Clip nach dem Vorbild eines ikonischen Apple-Werbespots von Ridley Scott produziert, mit dem dieser im Jahr 1984 den Monopolisten Microsoft attackiert hatte, um Clinton als Meinungsmonopolist und Systemkandidaten zu porträtieren.

Über das Internet kann man zwar viele Leute erreichen, in dem Moment allerdings, in dem man sein Bild in das Netz einspeist, gibt man die Kontrolle über ebendieses Image auf - es wird vervielfältigt, verzerrt, verzehrt.

2004 war Howard Dean der einzige Kandidat, der sich der neuen Medien wie Blogs bediente und damit überraschend großen Erfolg hatte. Vier Jahre später ist klar, sagt Alan Rosenblatt, vom Center for American Progress, auf der Konferenz "Politics Online", die soeben in Washington zu Ende ging, dass "man ohne ordentliche Web-Strategie nicht mehr ins Weiße Haus kommt". Das Institut for Politics, Democracy and the Internet hatte Forscher, Wahlkampfstrategen, Aktivisten eingeladen, um die Auswirkungen neuer Technologien und sozialer Medien auf die Politik zu diskutieren. Alan Rosenblatt sagt: "Wir stehen am Beginn einer Revolution. Alles ist im Fluss."

Das Web hat den Fernseher abgelöst

Das Internet gilt als virtuelles Kaufhaus oder Bahnhofsviertel, manche Menschen aber sehen es als digitales Gemeindezentrum, als einen Pixel-Baum, unter dem die Menschen zusammenkommen und über die beste Politik diskutieren. Im Vergleich zum Jahr 2004 hat sich die Zahl derer, die sich im Internet über die Wahlen informieren, mehr als verdoppelt. Bei Amerikanern unter 30 Jahren hat das Web den Fernsehapparat als wichtigste Nachrichtenquelle abgelöst. "Das Netz verbindet Leute, die ähnliche Interessen haben, aber sich im prädigitalen Zeitalter nicht kennengelernt hätten. Daraus entsteht viel Energie", sagt Matt Bai, Reporter der New York Times, der ein Buch geschrieben hat, wie Blogger die demokratische Partei verändern.

Politische Utopien über "interaktive Demokratie" und die "E-ssembly" zirkulieren seit Beginn in den Servern und Fiberglasleitungen des Internets. Die allgemeine Zugänglichkeit, offenen Standards und flachen Hierarchien des Netzes gelten vielen als Inkarnation progressiver Werte. Im Jahr 2008 aber, da sind sich alle Konferenzteilnehmer einig, geht es nicht mehr um abstraktes Theoretisieren. Die Seminartitel wie "Techno-Powered Fundraising" und "24 Karat Data" wirken wie ein Live-Kommentar zum eskalierenden Vorwahlkampf zwischen Barack Obama und Hillary Clinton.

"Im Feld" und "an der Front" finden sich genug Beispiele für die Digitalisierung der Demokratie: John Edwards teilte seinen Anhängern mit der sozialen Software Twitter regelmäßig und auf 140 Zeichen per SMS mit, was er gerade so machte. Der Blogger Markos Zuniga gilt als einer der einflussreichsten linken Denker und duelliert sich mit Karl Rove im Time Magazine. Und wer sich bei My.BarackObama registriert hat, erlebt während der Konferenz die volle Wucht der digitalen Bewegung, bekommt mehr als 30 Mails pro Tag mit Betreffzeilen wie "Hillary klaut unsere Plakate" und "Machst du einen Anruf für mich?".

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Wahlkampf unterm Pixelbaum

Plötzlich 100.000 Freunde auf MySpace

Im Zentrum der Tagung stand die Frage: "Wie kann ich mich im Netz präsentieren, um die Leute anzuziehen". Justine Lam, die Leitern der eCampaign für den Republikaner Ron Paul, der Ende 2007 eine große Fanbasis im Netz angezogen hatte, hat darauf auch keine besonders gute Antwort: "Wir wurden selbst von der Aufmerksamkeit überrascht. Es gab viel Gerede im Netz. Und plötzlich hatten wir 100.000 Freunde auf MySpace." Das Netz sucht sich seine Kandidaten selbst. Oft sind es politische Newcomer, die mit starken Botschaften (Raus aus dem Irak! Krankenkasse für alle!) punkten. "Man muss Objekte auf der Webseite schaffen", sagt Lam, "die den Leute das Gefühl geben, dass ihr Beitrag einen Unterschied macht" - einen haptischen Feedback-Kanal. Lam und ihr Team programmierten eine Thermometer-Graphik, die den Spendenstand in verschiedenen Farben anzeigte. "Das war für viele eine Herausforderung. Sie aktivierten Freunde und starteten unabhängig von uns Aktionen", sagt Lam - der Wahlkampf als Flash-Game mit der Kreditkarte.

Die ersten politischen Websites waren, wie Colin Delany, Gründer der Seite epolictics.com, sagte, "lediglich brochure ware", digitale Versionen von Flugblättern und Plakaten. Diese passiven, eindimensionalen Webseiten sind Relikte aus der Steinzeit. Auf der Konferenz diskutierte man über "Web 2.0-Anwendungen in politischen Kampagnen". Amateure organisieren in diesem Wahlkampf selbständig Parteitreffen, programmieren Webseiten oder fabrizieren Videos, die große Popularität erreichen.

Solche Graswurzelarbeit bringt im hochsensiblen Umfeld der mediatisierten Politik jedoch gewisse Probleme mit sich. "Manchmal denken die Leute, sie können alles machen", sagt Lam. So hatten sich ihre Online-Aktivisten entschlossen, dass sie mit den Spendengeldern einen roten Zeppelin mit dem Ron-Paul-Logo kaufen wollen. "Wir waren nicht so begeistert", sagt Lam, ringt sich ein gequältes Lächeln ab und sagt: "Man muss versuchen, die Botschaft zu kontrollieren, ohne die Konversation mit den Wählern zu diktieren."

"Wer eine bestimmte Marke Scotch kauft, der wählt auch Bush"

Die Menschen können im Internet ihr TV-Programm zusammenstellen, sie haben sich daran gewöhnt, im Netz nicht nur Schuhe zu kaufen, sondern bei Nike-ID die Farbe und das Design zu bestimmen oder bei General Motors die Konfiguration des Autos festzulegen. "Das Netz generiert die Idee, dass individuelle Stimmen etwas bedeuten", sagt Matt Bai, "ein neues Bewusstsein entsteht, und die Menschen werden sich nicht mit einem 100 Jahre alten System abfinden."

Die großen Online-Communitys, die sich um Politiker und Themen bilden, haben auch Nachteile, betont Jonathan Taplin, Professor an der Universität von Südkalifornien. "Anders als TV-Nachrichten, die uns oft mit Fakten und Werten konfrontierten, die uns nicht gefallen, können wir jetzt zu Blogs und Webseiten surfen, die uns sagen: Du hast recht! Du gehörst zu den Guten." Auf die Ära der Massenmedien (Broadcasting), die versucht haben, die Menschen zu überreden, folgt die Ära der Mikromedien (Narrowcasting), die ihre Nutzer in deren Ansichten bestätigen. "Wir bleiben in unserer intellektuellen Komfortzone." Durch diese Zersplitterung der Medien müsse man sich nie mehr mit Informationen auseinandersetzen, die kognitive Dissonanzen erzeugen. "Ich glaube nicht, dass das gut ist für die Demokratie." Statt des herrschaftsfreien Diskurses kommt der reibungsfreie Diskurs.

Im Untergeschoss des Konferenzzentrums treffen sich normalerweise Versicherungsvertreter und der amerikanische Mittelstand mit den Lobbyisten vom Kapitol. Auch die Vorträge der Web-Experten klingen mit ihren Schlagworten - Dynamik, Interaktivität, Wachstum - manchmal wie der Businessplan eines Internet-Start-up. Die Konferenz "Politics Online" ist halb Podiumsdiskussion, halb Fachmesse. Im Programmheft verspricht Yahoo in einer Anzeige Politikern den Zugang zu "85 Prozent der registrierten Online-Nutzer: Wir helfen Ihnen, ihr Herz und Heim zu erobern". Dass die Digitalisierung der Demokratie nicht nur zur Förderung von Transparenz und Bürgerbeteiligung führen muss, wird auch während der Diskussion immer wieder deutlich:

Redner 1: "Es gibt Software, mit der ich die Web-Aktivität aller Homepage-Besucher analysieren kann und ihnen Inhalte zeige, die sie sehen wollen."

Redner 2: "Ich kann die Konsumdaten aller Anwesenden im Raum kaufen. Ich sage Ihnen, wer eine bestimmte Marke Scotch kauft, der wählt auch Bush."

Redner 3: "Wir hören zu!"

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