VW-Konzern:Ahnungslos, hilflos, mutlos

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Der Skandal frisst sich immer weiter in die Unternehmung hinein. Aussagen wie die des neuen Vorstands-Chefs, nur einige wenige seien beteiligt gewesen, helfen nicht weiter.

Von Marc Beise

Externe und interne Ermittler beim Volkswagen-Konzern tun ganze Arbeit. Sie befragen Mitarbeiter, lesen E-Mails, werten Dokumente aus. Der Kreis derjenigen also, die in den abenteuerlichen Abgasbetrug verwickelt sein könnten, dürfte im Verlauf der nächsten Wochen und Monate wachsen. So kennt man das aus vielen anderen Fällen dieser Art. Der Konzern dementiert zwar, dass bereits Dutzende Führungskräfte betroffen seien. Aber Kenner des Konzernwesens würden sich über eine Ausweitung der Affäre nicht wundern. Kontinuierlich dringen Fetzen der Untersuchung an die Öffentlichkeit, werden bestätigt oder dementiert, ergänzt oder korrigiert - beschädigen aber in jedem Fall VW weiter.

Wer glaubt, von äußeren Umständen auf Normalität schließen zu können, verkennt die Dynamik dieser Entwicklung. Natürlich prägen die Fahrzeuge der KonzernMarken weiter das Straßenbild. In den Fabriken rund um den Globus werden Autos gebaut, sie werden ausgeliefert und verkauft, gefahren, repariert, weiterverkauft. Das riesige VW-Reich steht nicht still, weil der Skandal es will. Aber der Skandal frisst sich immer tiefer in das Unternehmen, gnadenlos und folgenschwer.

Die Blaupause für solch eine Mega-Krise liefert der Fall Siemens. Bei dem von einer Schwarzgeldaffäre gebeutelten Konzern griff der Aufsichtsrat nach dem ersten Schrecken radikal durch, tauschte die oberste Spitze des Konzerns aus und ließ sich auch nicht von dem Argument beirren, dass Leute von außen die Organisation nicht kennen und hilflos seien; das wird jetzt auch im Fall VW gerne vorgebracht. Stimmt ja auch, aber dafür wären Externe mit Sicherheit nicht vorbelastet, weder in der Affäre selbst, noch was ihre Loyalitäten angeht. In dieser schweren Stunde geht es nicht um die Kenntnis verwinkelter Strukturen, sondern um den Willen zu härtester Aufklärung.

Die alten Fahrensmänner sollen es richten

Der frühere IG-Metall-Vorsitzende Berthold Huber erlebte aus nächster Nähe, wie Siemens durchs Fegefeuer ging und sich wieder erholte, und er brachte in seiner Eigenschaft als interimistischer Aufsichtsratschef bei VW einen ähnlichen Prozess in Gang. Nun aber wird Huber, wie lange geplant, in nächster Zeit ausscheiden und damit auch seine Siemens-Expertise verloren gehen. Stattdessen entschieden sich die privaten und staatlichen VW-Eigentümer für einen anderen Weg: Sie erklären das Problem zu einem Thema weniger Mitarbeiter, das eine neue Führung aufklären soll, die in Wirklichkeit gar nicht neu ist, sondern aus alten Fahrensmännern des Konzerns besteht. Die Herren mögen, das mussten sie schriftlich erklären, ehrenwert sein, aber sie haben doch immer zu befürchten, in die Nähe der Vorgänge gerückt zu werden. Das macht sie noch ohnmächtiger, als sie angesichts der andauernden Ermittlungen ohnehin sind.

Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch und Vorstandschef Matthias Müller haben nur eine Chance: schonungslose Offenheit. Sie dürfen keine Gnade zeigen und niemandem wirklich vertrauen. Sie müssen lieber einen Menschen mehr versetzen als einen zu wenig. Sie müssen sich also genau anders verhalten als die, die sie ins Amt gebracht haben; ziemlich paradox ist das.

Dass der damalige VW-Chef Martin Winterkorn in seinem letzten Durchhaltevideo das Problem eingrenzen wollten, indem er beklagte, dass durch "schlimme Fehler einiger weniger die ehrliche Arbeit von 600 000 Menschen unter Generalverdacht" gerate, konnte man verstehen, der Mann stand vor den Trümmern seines Lebenswerkes. Dass aber Nachfolger Müller die Melodie aufnimmt und noch am vergangenen Wochenende in einem Interview darauf beharrte, dass "wenige Entwickler in der Motorsteuerung" verantwortlich seien, hilft VW nicht aus der Krise.

© SZ vom 15.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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