Vorwürfe gegen Gerichtspräsident Meron:Freisprecher vom Kriegsverbrechertribunal

Richter Frederik Harhoff erhebt gegen seinen Kollegen  Theodor Meron am UN-Kriegsverbrechertribunal schwere Vorwürfe

Theodor Meron, 83, ist heute der Mächtigste unter den 18 Richtern des UN-Tribunals in Den Haag

(Foto: REUTERS)

Eine Verschwörung, wie sie die internationale Justiz noch nicht gesehen hat? Ein UN-Richter erhebt schwere Vorwürfe gegen den mächtigsten Richter des Jugoslawien-Tribunals. Gerichtspräsident Theodor Meron verhindere Urteile gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher wie den kroatischen General Ante Gotovina. Offizielle aus den USA und Israel hätten Druck ausgeübt.

Von Ronen Steinke

Theodor Meron ist ein kleiner, alter Mann, der viel lächelt und in seinem Büro im behüteten Innersten des Jugoslawientribunals gelegentlich in Pantoffeln anzutreffen ist, zumindest zu entspannteren Zeiten. Neben seinem Schreibtisch hängt ein vergilbtes Dokument aus einer vergangenen Zeit, ein grausiges Erinnerungsstück, gestempelt mit Reichsadler und Hakenkreuz. Meron war noch ein kleiner Junge, damals, als die Nazis in das polnische Kalisz einfielen. Als nur er und sein Vater das Konzentrationslager überlebten.

Theodor Meron, 83, ist heute der Mächtigste unter den 18 Richtern des UN-Tribunals in Den Haag - und sei insgeheim der Agent einer Verschwörung, wie sie die internationale Justiz noch nicht gesehen habe, behauptet sein dänischer Richterkollege Frederik Harhoff.

E-Mail an 56 Freunde

Der Däne hat am 6. Juni eine E-Mail an 56 Freunde, unter ihnen einige Anwälte, verschickt. Hinter der jüngsten Serie von überraschenden Freisprüchen für mutmaßliche Balkan-Kriegsverbrecher steckten mächtige politische Interessen, behauptet er darin. Und er nennt einen Namen: Gerichtspräsident Meron. Der hatte in der Richterschaft zuletzt eine juristische Kurskorrektur durchgesetzt, hin zu mehr Vorsicht im Umgang mit lückenhaften Beweisketten.

In der Folge wurde im vergangenen November zunächst der frühere kroatische General Ante Gotovina freigesprochen, der einst mit den Amerikanern im Bunde stand. Gerichtspräsident Meron ist US-Bürger. "Haben amerikanische oder israelische Beamte auf den Gerichtspräsidenten Druck ausgeübt?", fragte der dänische Richter, und er ließ dieser Unterstellung keinen Beleg, sondern nur den Nachsatz folgen: "Wir werden es vermutlich nie erfahren."

Intern glühen die Drähte

Offiziell äußert sich niemand am Tribunal. Nur intern glühen seit Tagen die Drähte. Von einem tiefen Riss in der Richterschaft ist zu hören, von Feindschaften, die offen ausbrechen - der strafrechtlich milde Meron auf der einen Seite, der harte Harhoff auf der anderen. Von einer ernsten Krise für die Reputation der UN-Justiz sprechen alle Beteiligten, zumal inzwischen auch der dänische Richter seinerseits heftig angegriffen wird.

In seiner E-Mail an die 56 Freunde hatte er beklagt, das Tribunal komme seiner Aufgabe, hochrangige Balkan-Kriegsverbrecher zu verurteilen, nicht mehr richtig nach. Dabei besteht die Aufgabe der Richter nicht im Verurteilen, sondern in ergebnisoffener Wahrheitssuche. Schon haben die ersten Verteidiger Befangenheitsanträge eingereicht.

Gerichtspräsident Meron pflegt Kontakte zur US-Regierung

Unabhängig von politischen Einflüssen war das UN-Jugoslawientribunal nie. Seit es 1993 durch einen Beschluss des UN-Sicherheitsrats gegründet wurde, hängt es am Tropf vor allem der USA, Großbritanniens und Deutschlands. Diese Finanziers können jederzeit ihre Zahlungen stoppen, der Sicherheitsrat kann jederzeit das Mandat des Tribunals beenden, das verschafft ihnen Einfluss. Der Argwohn derer, die das Tribunal nur als ein Instrument der Nato sehen, hat die Arbeit der Juristen in Den Haag deshalb von Beginn an begleitet.

Besonders in den Neunzigerjahren war dies so, als Politiker im Westen nach einer Bestrafung serbischer Politiker riefen und die Richter in Den Haag gleichzeitig juristisch einfallsreiche Wege dafür entwickelten. Auf konkrete Beweise für die Mitwisserschaft eines Angeklagten verzichteten sie unter Umständen, solange er nur Teil der großserbischen "verbrecherischen Unternehmung" gewesen sei.

Meron als vermeintlicher heimlicher Erfüllungsgehilfe

Die Urteile waren anfangs scharf. Das frisch eröffnete Tribunal - das Erste seiner Art seit den Nürnberger Prozessen - war damals vielleicht auch aus eigenem Antrieb bemüht zu demonstrieren, dass es kein "zahnloser Tiger" sei, wie es Stefan Kirsch, der deutsche Anwalt mit der meisten Den-Haag-Erfahrung, formuliert. Wenn es jetzt aber, nach mehr als zwanzig Jahren, ein wenig an Biss verliere, dann wirke das fast schon wie eine späte Korrektur. Hin zu einem normalen Strafgericht. Freisprüche gehörten dazu.

Militärs in westlichen Staaten, so lautet dagegen die Verschwörungsthese des dänischen Richters, befürchteten wohl, dass eine allzu scharfe Linie der Haager Juristen gegen frühere jugoslawische Befehlsgeber eines Tages auch sie selbst träfe. Deshalb drückten sie im Tribunal auf die Bremse - mit Gerichtspräsident Meron als heimlichem Erfüllungsgehilfen.

Meron habe empfohlen, Carla Del Ponte abzuservieren

Warum nach dieser Theorie sowohl die frühere juristische Schärfe wie nun das Abrücken davon gleichermaßen den Interessen der USA dienen solle, das löst der Däne allerdings nicht auf. Zumal jüngst nicht nur der US-freundliche kroatische General freigesprochen wurde, sondern gleichfalls drei Befehlshaber auf serbischer Seite.

Dass Gerichtspräsident Meron Kontakte zur amerikanischen Regierung pflegt, steht außer Frage - worauf der dänische Richter Harhoff jetzt pocht. In den von Wikileaks enthüllten US-Botschaftsdepeschen etwa findet sich ein Bericht über ein vertrauliches Gespräch, datiert auf den 27. Juli 2003. Richter Meron habe, so heißt es dort, unter der Hand Kritik an der damaligen UN-Chefanklägerin Carla Del Ponte geübt. Er habe empfohlen, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sie abserviere. So kam es dann auch.

Man sieht da einen Richter Meron, der mit seinen Meinungen gegenüber Diplomaten freigiebig ist, der seine Rolle als Richter auch überschreitet. Was man aber nicht sieht, ist ein Richter, der sich etwas sagen ließe von ihnen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: