Vergangenheit des Papstes:Bergoglio und Argentiniens dunkle Jahre

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Neuer Papst mit umstrittener Rolle während der Diktatur in Argentinien: Franziskus am Tag nach seiner Wahl.

(Foto: REUTERS)

Die argentinische Militärjunta verübte jahrelang Gräueltaten - und katholische Geistliche wussten davon. Zum Fall zweier Jesuiten, die 1976 monatelang gefoltert worden seien, sollte Bergoglio eine Erklärung vor Gericht abgeben. Er stand jener Gemeinde vor, der die beiden angehörten.

Von Karin Janker

Als im fernen Rom Tausende Menschen den neuen Papst bejubeln, geht es in einem Gericht in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires ernst zur Sache. Patricia Walsh sagt aus. Während der argentinischen Militärdiktatur (1976-1983) wurde ihr Vater entführt, seitdem gilt er als verschwunden. Sie vermute, dass Rodolfo Walsh damals auf dem Sportfeld der Esma verbrannt worden sei, sagt sie. Die Esma war ein berüchtigtes Folterlager auf dem Gelände einer Marineschule.

Während Patricia Walsh aussagt, beginnen die Anwälte der Verteidigung plötzlich zu lächeln, das irritiert sie. Doch bald weiß sie, was die Stimmung der Juristen hebt: Soeben hat die Nachricht, dass ihr Landsmann Erzbischof Jorge Mario Bergoglio zum Papst gewählt wurde, den Gerichtssaal erreicht.

Bergoglio hat selbst schon oft in diesem Prozess ausgesagt, aus dem die Journalistin Alejandra Dandan während der Papstwahl für Pagina 12 berichtet. Der neue Papst Franziskus war zur Zeit der Militärjunta Provinzial der argentinischen Jesuiten und sollte vor Gericht daher Erklärungen über zwei Priester aus seiner Gemeinde abgeben, die 1976 in der Esma gefangen und gefoltert wurden.

Es handelte sich um die beiden Jesuiten Orlando Yorio und Franz Jalics. Die Vorwürfe: Bergoglio habe ihnen den Schutz der Gemeinde Bajo Flores versagt und sie angewiesen, den Jesuitenorden zu verlassen. Kritiker werfen ihm vor, sie damit den Schergen des Regimes ausgeliefert zu haben, die sie daraufhin verschleppten. Die Opfer warfen ihm sogar später vor, sie denunziert zu haben. Der heutige Papst dementierte. Und auch andere nehmen den Kirchenmann in Schutz.

Friedensnobelpreisträger nimmt Papst in Schutz

Der argentinische Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel verteidigt Bergoglio einem BBC-Bericht zufolge entschieden: Der langjährige Bischof werde kritisiert, weil er nicht das Notwendige unternommen habe, um die beiden Priester aus dem Gefängnis zu befreien. "Aber ich weiß persönlich, dass viele Bischöfe die Junta um die Freilassung von Gefangenen und Priestern gebeten haben, und ihnen dies nicht gewährt wurde", sagte Esquivel. "Es gab Bischöfe, die Komplizen der Diktatur waren, aber Bergoglio nicht", so der 81-jährige Menschenrechtsaktivist. Die Rolle, die Bergoglio während und nach der Militärdiktatur in Argentinien eingenommen hat, ist dennoch umstritten.

Während die Militärs das Land beherrschten und Tausende tatsächliche und mutmaßliche Oppositionelle ermorden ließen, leitete Bergoglio die jesuitische Ordensprovinz San Miguel bei Buenos Aires. 1980 stieg er zum Rektor der Theologischen Fakultät von San Miguel auf.

Der argentinische Investigativ-Journalist Horacio Verbitsky schrieb bereits 2005 über Bergoglios Rolle während Argentiniens dunkler Jahre. Schon damals hatte Bergoglio Aussichten, Papst zu werden. Doch im Konklave unterlag er dem Deutschen Joseph Ratzinger. Verbitsky warf damals dem Kardinal vor, mit Hilfe der Kirche seine Vergangenheit zu verschleiern. Bergoglio würde das ganze Gewicht des Vatikans gegen eine Aufarbeitung der Verbrechen der Junta einsetzen, behauptete der Journalist. Je nach der Quelle, die man befrage, sei der Erzbischof von Buenos Aires entweder der intelligenteste und großzügigste Mensch, der jemals eine Messe gehalten hat, oder aber ein Schwerverbrecher, der seine Brüder verraten und aus unersättlicher Machtgier der Folter ausgeliefert habe.

Priester als Beichtväter für Massenmörder

Die Person Bergoglio steht für viele Argentinier für eine Strategie, die Gräueltaten der Diktatur zu verdrängen und zu schönen. Unter dem Slogan "Memoria Completa - Vollständige Erinnerung" forderte er zusammen mit dem früheren Staatspräsidenten Eduardo Duhalde, die Terrorakte der linken Montoneros vor und während der Diktatur ähnlich zu behandeln wie den organisierten Massenmord der Junta. Bergoglio warb wiederholt für "nationale Versöhnung" - eine Provokation für die Angehörigen der mehr als 30.000 zum Teil spurlos Verschwundenen, die während der Diktatur ermordet wurden und deren Schicksale oft bis heute noch nicht aufgeklärt sind. Noch immer laufen in Buenos Aires die Prozesse gegen ehemalige Handlanger der Junta.

Diese standen auch während der Diktatur in engem Kontakt mit der katholischen Kirche Argentiniens. Emilio Massera, einem der Junta-Chefs und dem Verantwortlichen für die Morde in der Esma, soll Bergoglio 1977 feierlich die Würde einer Ehrenprofessur an der Universidad del Salvador in Buenos Aires verliehen haben. Allerdings hat er angeblich einen Stellvertreter zur Zeremonie geschickt und sich selbst im Hintergrund gehalten. Sein damaliger Chauffeur bestätigte inzwischen den direkten Kontakt zwischen Junta-Mann und Bischof.

Keinen Hehl machte der neugewählte Papst während seiner Zeit in Argentinien aus seinen Sympathien für die konservativ-peronistische Gruppierung "Eiserne Garde" (Guardia de Hierro), benannt nach einer antisemitisch-faschistischen Bewegung in Rumänien. Die Nähe zum Peronismus sprach auch aus seinen kritischen Kommentaren zur Korruption im eigenen Land: Bergoglio inszenierte sich selbst so, als stehe er auf der Seite der Armen und der Arbeiter.

Journalist Verbitsky interpretiert diese Selbstinszenierung auch als eine geschickte Flucht vor den Fragen, die spätestens 1995 in der Öffentlichkeit laut wurden. Damals wurde bekannt, wie die Schergen der Junta mit ihren Gefangenen oft verfahren waren. Nach der Folter wurden die Opfer betäubt und aus Flugzeugen über dem Meer abgeworfen.

In einem öffentlichen Geständnis hob der ehemalige Korvettenkapitän Adolfo Scilingo damals diese mörderische Praxis ins kollektive Bewusstsein der argentinischen Nation. Scilingo berichtete noch ein weiteres Detail, das für den Klerus äußert brisant ist. Demnach habe er argentinischen Geistlichen die Mord-Flüge gebeichtet, die ihm Absolution erteilt haben sollen. Katholische Priester als milde Beichtväter der Massenmörder? Diesen Vorwürfen muss sich die Kirche nun, da sie einen Argentinier zu ihrem Oberhaupt gemacht hat, stellen.

Yorio und Jalics, die beiden angeblich von Bergoglio verratenen Jesuiten, wurden von ihren Peinigern nach fünf Monaten freigelassen - halbnackt und betäubt. Yorio starb im Jahre 2000, er soll Bergoglio nie verziehen haben.

Meditation als Hilfe in der Folterzeit

Der gebürtige Ungar Jalics wanderte nach Deutschland aus, wo er in Franken ein Zentrum für kontemplative Exerzitien gründete, Bücher schrieb und sich in der Ökumene engagierte. Anders als die vielen Opfer der argentinischen Diktatur zog der Jesuit aus der Zeit im Folterlager einen positiven Aspekt. Die Monate, in denen er oft gefesselt und mit verbundenen Augen zubringen musste, überstand er durch Meditation, erklärte er später, durch die andauernde Anrufung Jesu Christi.

Ob er seine Vorwürfe gegen Bergoglio noch aufrechterhält, ist am Tag nach der Papst-Wahl nicht zu erfahren. Jalics sei noch monatelang nicht erreichbar, erklären die Jesuiten in Franken und München auf Anfrage von Süddeutsche.de.

Möglicherweise hat Jalics dem neuen Pontifex auch vergeben. Auf dem Profil seines Exerzitien-Hauses fehlt der Hinweis auf die Folterzeit. Mit der Namenswahl von Papst Franziskus dürfte er zumindest zufrieden sein: Denn Jalics heißt Franz.

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