Kongress-Vorwahlen der Republikaner:Erdbeben fürs konservative Establishment

Eric Cantor

Bisher war Eric Cantor der zweitmächtigste Republikaner im Repräsentantenhaus. Nun hat er in Virginia gegen einen Tea-Party-Herausforderer verloren.

(Foto: AFP)

Triumph für die Tea Party: Eric Cantor, Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, verliert krachend gegen einen unbekannten Kandidaten. Cantor wird Opfer der eigenen Arroganz. Seine Pleite beendet die Hoffnung auf einen pragmatischen Kurs der Republikaner.

Von Matthias Kolb

Eric Cantor ist fassungslos. Kurz vor der Vorwahl in seinem Stimmbezirk in Virginia haben ihm seine Berater einen Sieg mit 34 Prozentpunkten Vorsprung prophezeit. Es kommt ganz anders: Am Wahlabend erhält Tea-Party-Kandidat Dave Brat 55 Prozent der Stimmen und stürzt die Republikaner in eine tiefe Krise. Cantor galt nicht nur als möglicher Nachfolger von John Boehner als Sprecher des Repräsentantenhauses - er warb zuletzt für eine Einwanderungsreform. Das Votum in Virginia hat also Folgen für ganz Amerika.

Dabei schien Dave Brat zunächst keine Chance gegen den 51-jährigen Cantor zu haben. Das Budget des von der radikalen Tea-Party-Bewegung unterstützten Ökonomie-Professors Brat lag bei 200.000 Dollar, Cantor hatte 5,4 Millionen Dollar eingesammelt. Der Mehrheitsführer der Republikaner (eine Art Fraktionschef) vertrat den konservativ geprägten Stimmkreis rund um Virginias Hauptstadt Richmond seit mehr als 13 Jahren und ist in US-Medien omnipräsent. Für einen engagierten Wahlkampf mit Klinkenputzen und viel Bürgerkontakt war sich Cantor dann auch zu fein: Er war kaum auf Richmonds Straßen zu sehen und der New York Times zufolge gab sein Team stolze 168 637 Dollar für Steakhaus-Besuche aus.

Neben der Kritik am "abgehobenen" Cantor fand Brat auch ein Thema, das die republikanischen Anhänger bewegte: Er schimpfte in Interviews und in Tweets ständig gegen eine von Cantor und anderen moderaten Republikanern geforderte Reform, die Einwanderern die Möglichkeit geben soll, US-Bürger zu werden.

Unterstützt wurde Dave Brat (hier ein Porträt von Politico) dabei vor allem von konservativen Talkradio-Moderatoren wie Laura Ingraham. Für diese Hardliner käme eine solche Reform einer "Amnestie" gleich: Es würden Menschen belohnt, die Gesetze gebrochen hätten und auf illegale Weise in die USA gekommen seien.

In den US-Medien wird die Niederlage von Eric Cantor als "historisches Erdbeben" bezeichnet. In der amerikanischen Geschichte war noch nie ein amtierender Mehrheitsführer im House in einer parteiinternen Vorwahl gescheitert. Der 51-Jährige war die Nummer zwei unter den Republikanern im Repräsentantenhaus und galt vielen als potenzieller Speaker. Nun ist völlig offen, wer künftig den Kurs unter Amerikas Konservativen vorgeben wird. Wegen der Zuschnitte der Wahlkreise gilt es als sicher, dass die Republikaner bis mindestens 2020 die Mehrheit im House behalten werden.

Der Tea Party geht es weiterhin prächtig

Noch entscheidender sind die langfristigen Implikationen. In ihren Blitzanalysen nennen sowohl die Washington Post als auch das Insider-Magazin Politico als wichtigsten Punkt: "Die Einwanderungsreform ist tot."

Zudem muss nun damit gerechnet werden, dass bis zu den Kongresswahlen am 4. November kaum mehr ernsthaft über Gesetzesvorschläge debattiert werden wird. Zu groß scheint die Sorge, sich durch mögliche Kompromisse mit den Demokraten von Barack Obama angreifbar zu machen. Und künftig werden die Abgeordneten und Kandidaten der Republikaner noch weiter nach rechts rücken.

Einige Analysten erklären den Konflikt zwischen den prominenten Republikanern im House und der ultrakonservativen Basis mit den Hintergründen in der Heimat: Eric Cantor und John Boehner vertreten die umkämpften swing states Virginia und Ohio und müssen deswegen moderater auftreten als Abgeordnete aus Staaten wie Texas oder Oklahoma.

Dem Machtkalkül der Demokraten - und ihrer Favoritin Hillary Clinton - könnte Cantors Niederlage helfen: Ohne Unterstützung der zahlenmäßig wachsenden hispanischen Minderheit wird niemand mehr US-Präsident. Und die Republikaner haben gerade wieder bewiesen, dass sie in dieser Causa nicht zu Kompromissen bereit sind - und lieber "eine dumme Partei" bleiben wollen.

Für die Ideologen der Tea Party, die möglichst niedrige Schulden, die Abschaffung von Obamacare und möglichst wenig staatlichen Einfluss auf den Alltag der Bürger fordern (Hintergründe in diesem US-Blog), ist der Erfolg von Dave Brat von enormer symbolischer Bedeutung. Bisher hatte das konservative Establishment in der diesjährigen Vorwahl-Saison die Tea-Party-Widersacher stets besiegen können (Details hier). Doch nun steht fest: Zumindest den Ideen und Überzeugungen der Tea Party geht es so gut wie eh und je - sie werden den Diskurs in Washington weiter prägen.

Linktipps: Das Washingtoner Insider-Magazin Politico präsentiert "fünf Lehren des Cantor-Schocks". Wie Eric Cantor versuchte, die Republikaner ein wenig moderner und pragmatischer zu machen, schildert dieser US-Blog vom Februar 2013.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: