Vorstellung des Kohl-Buches:Tiefer Hass, bis in alle Ewigkeit

Buchvorstellung 'Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle'

Heribert Schwan bei der Vorstellung seines Buches "Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle" in Berlin.

(Foto: dpa)

Angela Merkel könne nicht richtig mit Messer und Gabel essen, Christian Wulff sei eine "Null". Vieles, was Altkanzler Kohl dem Journalisten Heribert Schwan vor mehr als zehn Jahren anvertraut hat, steht jetzt zwischen zwei Buchdeckeln. Nicht alle finden das fair.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Allein das Namensregister. Sechs Seiten lang, vom einfachen Abgeordneten Manfred Abelein bis zum Innenminister Friedrich Zimmermann. Und dazwischen Angela Merkel, Christian Wulff, Norbert Blüm, Wolfgang Schäuble.

Sie kommen alle nicht gut weg in dem Buch, das die Journalisten Heribert Schwan und Tilman Jens an diesem Vormittag im Berliner Nobelhotel Westin Grand vorstellen. Als "Enzyklopädie der süßen Rache" beschreibt Schwan, was Kohl ihm ins Aufnahmegerät gesprochen hat. Tag um Tag, Stunde um Stunde. In der CDU dürfte es jetzt manchen geben, der sich in diesem Namensregister lieber nicht wiederfinden würde. Aber Nichterwähnung kann ja auch eine Form der Rache sein.

Es ist vor allem das Buch von Heribert Schwan, der lange Jahre beim Deutschlandfunk und später im WDR verantwortlich für Kulturfeatures war. Schwan war es, der zu Beginn des Jahrtausends Tag um Tag in Kohls Keller saß. Mehr als 600 Stunden Tonbandaufnahmen sind dabei zustande gekommen. Kohls Vermächtnis. Und so heißt das Buch auch: "Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle".

Die Bänder musste Schwan nach einem Streit mit dem Altkanzler wieder zurückgeben. Aber vorher hat er Abschriften und eine Kopie der Bänder anfertigen lassen - und daraus zusammen mit seinem Kollegen Jens dieses 256-Seiten-Werk destilliert. Die Protokolle waren nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Sie sollten Grundlage sein für die Fortsetzung seiner Erinnerungen, die Schwan ihm als sein Ghostwriter aufschreiben sollte. Das war in etwa der Deal. Bis es zum Bruch zwischen dem Altkanzler und dem Journalisten kam.

Kohl will sich angeblich juristisch gegen das Buch wehren. Der Heyne-Verlag erklärte am Montag, dass bisher keine einstweilige Verfügung vorliege, das Buch also wie geplant in den Handel komme. Es dürfte ein Bestseller werden. Startauflage: 100 000.

Merkel brach öffentlich mit dem Altkanzler

Denn so offen hat der Altkanzler bisher nicht vom Leder gezogen. Tiefer Hass scheint ihn zu treiben. Aufgenommen hat Schwan die Gespräche auf dem Höhepunkt der CDU-Spendenaffäre. Kohls schwarze Konten waren aufgeflogen, er verlor den Ehrenvorsitz der CDU. Angela Merkel, damals noch Generalsekretärin brach in einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung öffentlich mit ihrem einstigen Förderer. Von Parteichef Wolfgang Schäuble trennte er sich im Streit. Schäuble wollte Kohl überzeugen, doch noch die Spendernamen zu nennen. Was der bis heute verweigert. Er werde die Namen mit ins Grab nehmen, das hat er auch Schwan gesagt.

Es ist also der Helmut Kohl der Jahre 2001 und 2002, der dem Leser in diesem Buch begegnet. Doch wenig spricht dafür, dass Kohl die Dinge heute wesentlich anders sieht. Autor Schwan erklärt, wie Kohl tickt: "Wer einmal Feind ist, bleibt Feind. Wen er einmal hasst, den hasst er bis in alle Ewigkeit, bis ins Grab. Wen er nicht mag, da ist nichts zu holen." Kohl werde auch Merkel "niemals verzeihen, dass sie diese Abrechnung in der FAZ geschrieben hat".

Zu Kanzlerin Angela Merkel formulierte er gegenüber Schwan eine klare Haltung. Sie habe "nicht richtig mit Messer und Gabel essen" können, als er sie in sein Kabinett geholt habe. Er sagt das 16 Tage nach dem Freitod seiner Frau Hannelore im Juli 2001. Merkel "lungerte sich bei den Staatsessen rum, so dass ich sie mehrfach zur Ordnung rufen musste". Sie gehöre neben dem damaligen Fraktionschef Friedrich Merz zu den Leuten, die es nicht könnten. "Die Merkel hat keine Ahnung, und der Fraktionsvorsitzende ist ein politisches Kleinkind."

Der spätere Bundespräsident? Eine "Null"

Kohl ist unerbittlich in seinen Urteilen. Über Norbert Blüm, seinen Weggefährten über Jahrzehnte, müsse in seinen Erinnerungen stehen, dass der ein "Verräter" sei, meinte Kohl Schwan zufolge. Ein Kondolenzschreiben Blüms zum Tod von Hannelore kommentierte Kohl mit unverhohlener Verachtung: "Was interessiert mich, ob der traurig ist".

Oder Christian Wulff, der spätere Bundespräsident? Eine "Null".

Egal, wo man das Buch aufschlägt, in diesem Ton geht es weiter. Zu Jürgen Rüttgers: "Dem sein Horizont ist Pulheim", Rüttgers Heimatgemeinde. Zu Bernhard Jagoda, lange Chef der Bundesanstalt für Arbeit: "Ein trottelhaft katholisches Subjekt". Zu Freiherr Constantin Heereman von Zuydtwyck, vielen als langjähriger und streitbarer Präsident des Bauernverbandes bekannt: "Die größte Niete, total ungeeignet - außer für Aachener Karneval." Matthias Wissmann, sechs Jahre Minister unter Kohl: "Er war kein Großer." Und: "Typologisch ein alter Mann." Wissmann sollte mit seinem jungenhaften Gesicht das Kabinett eigentlich verjüngen.

Und immer wieder Merkel: "Diese Dame ist ja wenig vom Charakter heimgesucht." Da könne "man sich nur bekreuzigen".

Ist es fair, diese Äußerungen zu veröffentlichen?

Das Buch soll aber mehr bieten als einen Blick in die Abgründe Kohl'schen Denkens. Es soll, sagt Schwan, "einen differenzierten Blick" auf Kohl ermöglichen. Etwa sein Blick auf die Bürgerrechtsbewegung der DDR, die er in öffentlichen Reden staatsmännisch lobte. Schwan aber sagte er, es sei irrig zu glauben, der "Heilige Geist sei über die Plätze in Leipzig gekommen und habe die Welt verändert". Am Ende habe der Gorbatschow kein "Bimbes" mehr gehabt. Bimbes gleich Bares. So einfach kann Weltgeschichte sein.

Nicht so einfach hat es Schwan bei der Präsentation seines Buchs. Er muss sich rechtfertigen, dass es das Buch gibt. Ist das fair, es gegen Kohls Willen zu veröffentlichen?

Seine Antwort lautet wie die seines Kollegen Jens: Ja. Es sei auch Schwans Lebenswerk, das in dem Buch stecke. Kohl, dieses Monument der Zeitgeschichte, sei eine Person des öffentlichen Interesses. Er, Schwan, habe nie einen Grund gehabt daran zu zweifeln, dass Kohl selbstverständlich davon ausgehe, dass alles, was er ihm erzählt, einmal veröffentlicht werde. Ob das von Gerichten auch so gesehen wird, muss sich noch erweisen. Falls Kohl klagt - oder seine neue Frau Maike in Kohls Namen. Kohl nämlich, der würde Schwan auf die Schulter klopfen für das Buch. So sieht zumindest der Journalist Schwan das. Möglich wäre es.

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