Vorratsdatenspeicherung:Schwarz-gelber Osterkrimi

Die Vorratsdatenspeicherung ist das Horten von Daten in riesigem Umfang. Die EU will Deutschland jetzt zur Umsetzung einer Richtlinie zwingen. Drei Gründe, wieso beim Thema Vorratsdatenspeicherung nicht weggehört werden darf.

Heribert Prantl

Das Wort "Vorratsdatenspeicherung" ist zu einem politischen Kampfbegriff geworden, wie einst der "große Lauschangriff" einer war. Die Befürworter sehen darin den Inbegriff einer effektiven Kriminalitätsbekämpfung, für die Gegner handelt es sich um den Inbegriff der Gefahren, die den Bürgerrechten drohen.

Vorratsdatenspeicherung: Bei der Vorratsdatenspeicherung stehen sich CDU/CSU und FDP unversöhnlich gegenüber: Die liberale Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist vehement gegen die verdachtsunabhängige Speicherung von Telefon- und Internetdaten, der christsoziale Innenminister Hans-Peter Friedrich genauso vehement dafür. Die EU arbeitet derzeit an einer neuen Richtlinie, die der Speicherung enge Grenzen setzen soll.

Bei der Vorratsdatenspeicherung stehen sich CDU/CSU und FDP unversöhnlich gegenüber: Die liberale Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist vehement gegen die verdachtsunabhängige Speicherung von Telefon- und Internetdaten, der christsoziale Innenminister Hans-Peter Friedrich genauso vehement dafür. Die EU arbeitet derzeit an einer neuen Richtlinie, die der Speicherung enge Grenzen setzen soll.

(Foto: AP)

Es wäre gut, wenn es der Vorratsdatenspeicherung alsbald so erginge wie dem Lauschangriff: Er spielt keine Rolle mehr, seitdem ihn das Bundesverfassungsgericht vor sieben Jahren gestutzt hat. Polizei und Staatsanwalt kommen in der Praxis weitgehend ohne das große Abhören aus.

Die Vorratsdatenspeicherung beschäftigt die Politik wie ein elendes Wetter den Urlauber - und man ist versucht wegzuhören, sobald das Thema in den Nachrichten auftaucht. Das wäre ein Fehler, aus drei Gründen.

Erstens: Hinter der Vorratsdatenspeicherung verbirgt sich der Osterkrimi der schwarz-gelben Koalition. CDU/CSU und FDP stehen sich unversöhnlich gegenüber; der Bundesinnenminister von der CSU fordert energisch die Vorratsdatenspeicherung, die Bundesjustizministerin von der FDP lehnt sie ebenso energisch ab - es geht ihr um die Verteidigung der Restglaubwürdigkeit der FDP.

Zweitens: Anders als beim großen Lauschangriff, der in Deutschland geboren und begraben wurde, ist die Vorratsdatenspeicherung ein Projekt der EU-Kommission. Es geraten deutsches und europäisches Recht aneinander.

Drittens: Der soeben bekannt gewordene Bericht der EU-Kommission über die bisherigen Erfahrungen mit der Vorratsdatenspeicherung in Europa ist so miserabel, dass er als Begründung für ein Gesetz untauglich ist. Gleichwohl will die EU die Bundesrepublik per Vertragsverletzungsverfahren zur schleunigen Umsetzung ihrer schludrigen EU-Richtlinie zwingen. Das ist so, als würde der TÜV schwere Mängel an einem Fahrzeug feststellen und den Fahrer trotzdem zwingen, damit weiterzufahren.

Eine Zeichenmenge von 38 Millionen Romanen

Vorratsdatenspeicherung ist das Horten von Daten in unvorstellbarem Umfang: Wer hat mit wem wie lange telefoniert? Wer hat an wen eine SMS oder eine E-Mail verschickt? Wer hat Kopien davon bekommen? Wer hat wann und wie oft welche Seiten im Internet aufgerufen? Das alles soll der inneren Sicherheit dienen. Vorratsdatenspeicherung erfasst alles im Netz: die Daten des harmlosen Geplauders, die Daten des Telefonats zwischen Anwalt und Mandant, den E-Mail-Verkehr eines verzweifelten Menschen mit der Telefonseelsorge.

Es handelt sich um einen Grundrechtseingriff mit bisher unbekannter Streubreite. Dagegen war der Lauschangriff eine Petitesse. Das Bundesverfassungsgericht hat das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung vor gut einem Jahr verworfen. Alle bis dahin gespeicherten Daten mussten gelöscht werden - allein bei der Deutschen Telekom war das ein Datenvolumen, das der Zeichenmenge von 38 Millionen Romanen entsprach.

Die Verfechter der Großspeicherei weinen diesen Daten nach, als sei der Nibelungenschatz erneut im Rhein untergegangen. CDU/CSU und Europäische Kommission drängen darauf, das Gesetz schnellstens neu aufzulegen - mit ein paar Änderungen. Jedes Mitgliedsland, so hat es die EU in ihrer Richtlinie vorgeschrieben, soll so einen Großdatenspeicher anlegen. Alle Firmen, die Telefon- und Internetdienstleistungen anbieten, müssen anfallende Daten mindestens sechs Monate lang speichern und für Abfragen zur Verfügung halten.

Gegen Schweden, das sich der Speicherei von vornherein verweigerte, hat die EU-Kommission zwei Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. 350.000 Kronen soll das Land für jeden Tag zahlen, an dem es die Richtlinie noch nicht umgesetzt hat. Die Schweden halten wacker dagegen und betrachten diese finanzielle Drohung als "Preis der Freiheit".

Man darf von ihnen lernen: Brüssel ist nicht der Berg Sinai. Die Richtlinien, die dort ausgearbeitet werden, sind nicht die Zehn Gebote. Und die EU-Mitgliedsstaaten müssen sich nicht verhalten wie Moses - sie müssen die Richtlinien also nicht gebeugt, in Ehrfurcht und als göttlichen Ratschluss entgegennehmen. Es gibt eine EU-Grundrechtecharta - und das Verlangen ist nicht unbillig, dass sich auch die Organe der EU daran halten.

Brüssel als Grundrechtsverdünnungsanlage

Die Europäische Union preist sich als Raum des Rechts, der Sicherheit und der Freiheit. Gemeint ist die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger. Nicht gemeint ist die Freiheit der Sicherheitsbehörden, auf bisher geschützte Rechte keine Rücksicht mehr nehmen zu müssen. Brüssel darf keine Grundrechtsverdünnungsanlage sein.

Die Koalition sollte ihren Streit über ein neues Vorratsdatenspeicher-Gesetz sofort einstellen. Ein neues Gesetz auf der Basis der alten EU-Richtlinie ist Unsinn. Erst sollte diese Richtlinie, wie von der Kommission angekündigt, neu gefasst werden; auf die Neufassung muss die Bundesregierung Einfluss nehmen. Mit ihrem Streit blockiert sie sich selbst. Das Bundesverfassungsgericht hat ihr die Marschroute vorgeschrieben: Danach ist Vorratsdatenspeicherung "nur ausnahmsweise zulässig". Noch besser wäre, man verzichtet ganz. Europa soll bei seinen Bürgern nicht "ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtet-Seins hervorrufen", sagt Karlsruhe.

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