Vorratsdatenspeicherung:Leutheusser vs. Schnarrenberger

Zwei Seelen wohnen, ach, in ihrer Brust: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger tritt in Karlsruhe gegen sich selbst an - als Bürgerrechtlerin und als Justizministerin.

Heribert Prantl

Dass in des Menschen Brust, ach, zwei Seelen wohnen, ist seit Faust, Teil 1, Osterspaziergang, weithin bekannt. Den Satz zitiert man gern, wenn man hin und her gerissen ist zwischen Wollen und Können, Pflicht und Kür, Lust und Last.

Reuters Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesverfassungsgericht, Vorratsdatenspeicherung, FDP

Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP)

(Foto: Foto: Reuters)

Eher selten kommt es vor, dass Menschen diese Zerrissenheit öffentlich demonstrieren. Und ganz einmalig ist es, dass sie dies vor dem Bundesverfassungsgericht tun, auf höchstrichterlicher Bühne. Genau das geschieht kommende Woche bei der Verhandlung über die umstrittene Vorratsdatenspeicherung. Ein Mitglied der Bundesregierung, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), will dort ihre zwei Seelen auspacken und sie leibhaftig vor dem Gericht auftreten lassen.

Die eine Seele ist die der Bürgerrechtlerin Leutheusser-Schnarrenberger; die andere die der Bundesjustizministerin. Die Bürgerrechtlerin Leutheusser gehört zu den Beschwerdeführern gegen das Gesetz. Zur Rolle der Justizministerin Schnarrenberger gehört es, das Gesetz zu verteidigen; sie vertritt als Ministerin der schwarz-gelben Bundesregierung deren Antrag, die Verfassungsbeschwerden gegen das Gesetz als unzulässig und unbegründet abzuweisen. Das Gesetz stammt zwar aus den Zeiten der großen Koalition, auch die Stellungnahme der Bundesregierung wurde schon damals formuliert, die neue Bundesregierung hat sie aber so aufrechterhalten. Zum Aufruf kommt also quasi eine Klage Leutheusser gegen Schnarrenberger.

Die bevorstehende Verhandlung ist ohnehin ein Spektakel: So viel Klage war nie. Das Gesetz, das Provider verpflichtet, alle Spuren jeder Telekommunikation sechs Monate lang für den Zugriff der Sicherheitsbehörden zu speichern, hat einen Sturm ausgelöst. Karlsruhe muss über Zehntausende Verfassungsbeschwerden entscheiden: 34.939 Beschwerdeführer werden vom Berliner Rechtsanwalt Meinhard Starostik vertreten. Auch 43 grüne Bundestagsabgeordnete klagen.

Weitere Beschwerdeführer, unter ihnen Ex-Innenminister Gerhart Baum (FDP) und eben Leutheusser-Schnarrenberger, werden vom früheren Bundestagsvizepräsidenten Burkhard Hirsch (FDP) vertreten. Das Gespann Hirsch/Baum/Leutheusser-Schnarrenberger hat einst in Karlsruhe schon den Großen Lauschangriff zu Fall gebracht; dessentwegen war Leutheusser-Schnarrenberger 1996 als Justizministerin im Kabinett Kohl zurückgetreten.

Jeanne d'Arc der Bürgerrechte

Jetzt ist sie wieder in diesem Amt - und betrachtet ihre Verfassungsbeschwerde als Privatsache und Herzensangelegenheit. Sie könnte, wegen der zwei Seelen in der Brust und ihres Amts als Ministerin, ihre Beschwerde zurückziehen: Es sind ja genügend weitere Beschwerdeführer da. Aber das will sie nicht, das wäre in ihren Augen Verrat an sich selbst. In den Koalitionsverhandlungen mit der Union ist es ihr nicht gelungen, die Vorratsdatenspeicherung zu eliminieren. Als Klägerin in Karlsruhe, so glaubt sie, wird es ihr gelingen.

Die Chancen stehen nicht schlecht: Das Gericht hat in zwei Eil-Anordnungen Missbehagen erkennen lassen. Leutheusser-Schnarrenberger will mit einem persönlichen Auftritt in Karlsruhe die Fahne als Jeanne d'Arc der Bürgerrechte hochhalten. Das historische Vorbild hat für die Franzosen gegen die Engländer gekämpft. Die neue Jeanne kämpft, wenn man im Bild bleiben will, zugleich auf Seite der Engländer.

Das Verfassungsgericht wird damit gewisse Probleme haben: Wenn die Ministerin kommt, muss man sie als Ministerin hören, weil die Rolle der Bürgerrechtlerin nicht von der Ministerin zu trennen ist. Der Fall ist noch verzinkter als der von 1993, als die FDP-Fraktion gegen den Awacs-Einsatz von deutschen Soldaten in Bosnien klagte und FDP-Außenminister Kinkel die Position der Bundesregierung zu vertreten hatte. Aber Kinkel fuhr nicht selbst nach Karlsruhe, ging stattdessen auf Asien-Dienstreise und ließ sich vertreten. Wie Leutheusser-Schnarrenberger das Problem löst? Vielleicht nimmt sie zwei Hüte mit. Oder einen Wendemantel.

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