Vor G-8-Gipfel in Heiligendamm:Recht gegen Recht

Tränengasfeste Kosmetik und Kommunikation unter Stress, Gedankenwelt und Blockadetraining: Ein Ausflug zu den Globalisierungsgegnern.

Jens Bisky

Schreckliches wird Anfang Juni im schönen Heiligendamm geschehen? Das freiheitsfeindliche Demonstrationsverbot scheint jede Befürchtung zu bestätigen: Acht entscheiden über das Schicksal von Milliarden, und sie wollen sich dabei nicht stören lassen. In den Worten eines Protestaktivisten klingt es, als träfen sich an der Ostsee schmierige Händler in schmutziger Absicht: "Es wird dort geschachert. Es werden Deals ausgehandelt, die nicht legitim sind."

Razzien, Verbote und Schutzhaftphantasien, die durch nichts gerechtfertigt sind, haben das Selbstbild der linksradikalen Globalisierungskritiker polizeilich sanktioniert: Sie scheinen gefährlich zu sein, und wer in Sachen Bürgerrechte kompromisslos denkt, muss mit ihnen sympathisieren. Vor der Frage nach Legitimität - des Protestes wie der Polizeimaßnahmen - weicht die politische Analyse. Was ist rechtens?

Wilhelm Tells Enkel

Schaut man sich den "Mobilisierungs-clip" (www.attac.de/heiligendamm07) an, so erfährt man zwar nicht, warum die Gruppe der acht des Teufels ist, aber man stolpert über den Satz einer jungen Frau: "Deshalb wollen wir dem legalen Recht unser eigenes Recht entgegenstellen." Der Gestus der Ermächtigung mag Ordnungsfanatiker und gesetzestreue Bürger schrecken.

Aber die junge Frau, die zwischen Gesetz und eigenem Recht unterscheidet, beruft sich auf eine ehrwürdige Tradition, ohne die es das Grundgesetz, so wie es ist und gilt, nicht gäbe. Ihr Satz erinnert an das klassische Naturrecht, dessen Grundzug, so Ernst Bloch, "mannhaft" ist. Die heute gängige Unterscheidung zwischen friedlichem Demonstrieren und gewaltsamem Protest ist für einen, der sich auf das Naturrecht beruft, nicht die entscheidende.

Der Nationalkonvent, der im Juni 1793 eine neue "Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte" verabschiedete, deklarierte im Artikel XXXIII, das Recht zum Widerstand gegen Unterdrückung folge aus den anderen Menschenrechten.

Der Lieblingsdichter des deutschen Bürgertums hat den Gedanken in Verse gefasst, die 1804 vielen Ohren unerträglich rebellisch klangen und während des Nationalsozialismus verboten wurden. In seinem Revolutionsstück "Wilhelm Tell" ließ Friedrich Schiller einen Landmann aus Schwyz den gewaltsamen Widerstand rechtfertigen: "Nein, ein Grenze hat Tyrannenmacht, / Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden, / Wenn unerträglich wird die Last - greift er / Hinauf getrosten Mutes in den Himmel / Und holt herunter seine ewgen Rechte, / Die droben hangen unveräußerlich / Und unzerbrechlich wie die Sterne selbst - Der alte Urstand der Natur kehrt wieder, / Wo Mensch dem Menschen gegenübersteht - / Zum letzten Mittel, wenn kein andres mehr / Verfangen will, ist ihm das Schwert gegeben".

Wilhelm Tell und Michael Kohlhaas

Die rousseauistische Idee vom "Urstand der Natur" heißt heute "globale Gerechtigkeit". Allerdings hat Schiller kein Gefühls- und Ideendrama geschrieben, sondern ein politisches. Liest man es und hält daneben Heinrich von Kleists Erzählung über Tells Bruder im Geiste, Michael Kohlhaas, erkennt man ein Schema, das bis heute hilfreich ist.

Durch eine Rechtsverletzung, die die Helden persönlich erleiden, wird der Gesellschaftsvertrag gebrochen. Da alle friedlichen Mittel versagen, bleibt nur der Ausweg gewaltsamen Widerstands. Dieser ist legitim und gefährlich, könnte er doch zur Anarchie, dem Krieg aller gegen alle führen. Schiller domestiziert die Gefahr durch den neuen Bund der Schweizer, eine republikanische Wiedergeburt.

Der preußische Junker Kleist führt seinen musterhaften Staatsbürger Kohlhaas durch Luther und einen gerechten Landesherren in die Welt des Rechts zurück. Beide rechtfertigen den Widerstand und schließen dennoch den Gewalttäter aus der neuen, gerechten Ordnung aus. Tell verhüllt wie der Schuldige im antiken Drama sein Haupt. Kohlhaas bekommt sein Recht, Genugtuung wie Rache, und wird hingerichtet.

Ein Vergleich zwischen den Heroen der Naturrechtsdichtung und den Radikalen von heute zeigt entscheidende Unterschiede. Der Protest bleibt gleichwohl legitim, aber politisch ändert sich nahezu alles. Die Demonstranten fordern nicht, dass ihnen persönlich Recht werde, sie sprechen im Namen universeller, abstrakter Gerechtigkeit. Sie schreiten nicht zum Äußersten, nachdem alle anderen Mittel versagten. Die Domestizierung, die Rückkehr aus dem Reich des Naturrechts in die bürgerliche Ordnung, ist nicht vorgesehen. So abstrakt die Vision, so ewig der Kampf. An die Stelle der Sterne tritt das Ich mit "eignem Recht"

Tränengasfeste Kosmetik

Die Mehrzahl der linken Globalisierungskritiker will und wird nicht zum Schwert greifen. Das Äußerste heißt heute etwas niedlich "ziviler Ungehorsam". Er wird in diesen Tagen geprobt. Am vergangenen Samstag trafen sich in Berlin Kreuzberg überwiegend junge Menschen zum Blockadetraining.

Da war viel Nützliches zu lernen: Wie verständigt man sich unter Stress? Welche Kosmetik ist tränengastauglich? Wie lässt man sich wegtragen? Macht man es den Polizisten schwer und nimmt dafür ein hohes Verletzungsrisiko in Kauf? Oder erleichtert man, um die eigene Gesundheit zu schonen, der Staatsmacht ihre Arbeit?

Vor sehr ähnlichen Fragen stand Rosa Parks, als sie sich 1955 in Montgomery, Alabama weigerte, von einem für Weiße reservierten Sitzplatz aufzustehen. Derselben Logik gehorchte einer der schönsten Augenblicke des 20. Jahrhunderts, als 1960 vier schwarze Studenten in die Cafeteria eines Kaufhauses in Greensboro, North Carolina gingen, in der sie nach perversen Apartheid-Regeln nicht sein durften. Mut, Selbstermächtigung, symbolische Aktion und realer Freiheitsgewinn trafen zusammen.

Verglichen damit sind die geplanten Blockaden in Heiligendamm Theater. Alternativgipfel und Diskussionen, so wurde in Kreuzberg erklärt, genügen nicht. Man wolle den eigenen Körper unmittelbar einsetzen. Es geht um Zeichen, Ideen, Visionen, Utopien. "Wir sind nicht nur Konsumenten", "Holt euch euer Leben zurück", hört man immer wieder.

Auch die Gruppe der acht erscheint in erster Linie als "Verkörperung des globalen Kapitalismus". Das Gipfeltreffen nennt Bernadette La Hengst "eigentlich nur ein Kasperletheater für die Medien". Das Protesttheater soll die Inszenierungen der Macht als solche entlarven. Alles in allem wirkt das recht unpolitisch und diskursfeindlich. Schon umarmt Bundesinnenminister Schäuble die Rebellen: Sie helfen, Aufmerksamkeit für Afrika und den Klimaschutz zu organisieren. Das würde auch die G 8 wollen.

Zwischen der Kultur radikaler Protestbewegungen und den Erfordernissen des Fortschritts gab es immer eine Korrespondenz: Lenin studierte den Taylorismus und bewunderte Ford. Der durch Konvention und Tradition nicht mehr gebundene Achtundsechziger entsprach den Wünschen der Manager nach dem Ende der großen Industrien. Der Individualismus schuf neue Märkte.

"Eine andere Welt ist möglich"? Gewiss: Mit Schuhen von Nike oder als Ich-AG des Protests. In den Blockadetrainings lernt man Tugenden, die ein unternehmerischer Einzelner heute gut brauchen kann. Zum Fabrikarbeiter gehört der Funktionär, zur Dienstleistungsgesellschaft eine "postmaterialistische Werteelite", zur globalisierten Welt eine Lebensgefühlslinke. Wir wollen sie nicht missen.

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