Vor G-20-Gipfel in Australien:Merkel zerstreut sich in Neuseeland

Auf dem G-20-Gipfel in Brisbane warten auf Kanzlerin Merkel die Themen der Weltpolitik, allen voran die Krise in der Ukraine. Ihr Abstecher nach Neuseeland wirkt deshalb wie der Besuch in einem Idyll - erschrecken kann sie nur eine frisch geschlüpfte Vertreterin des neuseeländischen Nationaltiers.

Von Nico Fried, Auckland

Es ist früher Vormittag in Auckland, und der Toa und seine Leute knöpfen sich gerade einige Eindringlinge vor. Mit Gemurmel und Muskelzucken hat sich der Maori-Krieger schon in Stimmung gebracht. Jetzt tanzt er mit seiner Truppe brüllend und grimassierend auf die deutsche Bundeskanzlerin und ihre Delegation zu. Grimmig schauen die Maori Angela Merkel an, werfen sich in Kampfposen. Einige strecken die Zunge raus.

17 784 Flugkilometer hat Merkel nach Neuseeland zurückgelegt. Und hier, am anderen Ende der Welt, erlebt sie zum Auftakt ihres Besuches, was zu Hause in der Innenpolitik so selten geworden ist, ein Wero, zu deutsch: eine Herausforderung.

Ein Powhiri ist das Ritual der neuseeländischen Ureinwohner. Und die Maori gebärden sich dabei im Garten des Generalgouverneurs, wie es die braven Koalitionsabgeordneten von Union und SPD in Berlin nie wagen würden. Einer legt der Kanzlerin eine Pfeilspitze vor die Füße. Merkel lässt sie von ihrem Regierungssprecher Steffen Seibert aufheben, was logisch erscheint: Seibert ist ja auch daheim dafür zuständig, bestimmte Angriffe abzuwehren. Konzentriert schaut er dem Toa in die Augen, wie es das Zeremoniell vorschreibt. Gleichwohl sieht es so aus, als wolle Seibert sich auch versichern, dass ihm der Krieger nicht plötzlich seinen Speer durch den Kopf rammt.

Doch die Maori sind nach dem Austausch einiger kehliger Rufe, die entfernt an Jodelgeräusche erinnern, inzwischen friedlich gesinnt. Der Powhiri symbolisiert als Begrüßungsritual die Bergung eines gestrandeten Kanus. Und nachdem geklärt ist, dass auch die Frau aus dem Kanu keine üblen Absichten hegt, wird sie von den Maori freundlich aufgenommen. Der Toa-Krieger begrüßt die Kanzlerin mit einem Hongi: Händeschütteln und leichtes Aufeinanderdrücken der Nasen. Am Ende ist es auch hier wie so oft in Deutschland - viel Lärm um nichts, und Angela Merkel kommt ungeschoren davon.

Die Kanzlerin ist auf dem Weg zum G-20-Gipfel nach Australien. Und da sie sich schon mal in der Gegend befindet, stattet sie auch Neuseeland einen Besuch ab. Vor 17 Jahren war letztmals ein Bundeskanzler hier, Helmut Kohl. Merkel war damals noch Umweltministerin.

Im australischen Brisbane wartet am Wochenende wieder die ganz große Weltpolitik. Obama, Putin, der Chinese Xi Jinping und andere mehr. Gegründet wurde die Gruppe der 20 einst als Reaktion auf die Finanzkrise. Mit deren Spätfolgen wird sich der Gipfel auch diesmal wieder beschäftigen, die Regulierung der Finanzmärkte ist noch nicht abgeschlossen. Längst ist G 20 aber auch ein Format für andere internationale Themen, zum Beispiel Freihandel und Steuerwettbewerb, aber auch alle anderen Krisen wie die Verwerfungen rund um die Ukraine. Deshalb wird es wohl auch wieder zu einer Begegnung Merkels mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin kommen.

Der Abstecher nach Neuseeland wirkt deshalb wie der Besuch in einem Idyll mit überschaubaren Problemen. So besucht Merkel die Insel Motutapu, ein Naturschutzgebiet, auf dem Kiwis leben. Der Vogel ist das Nationaltier Neuseelands, aber stark dezimiert, seit die Europäer Hunde und Ratten auf die Inseln gebracht haben.

Auf Motutapu leben 18 Kiwis einer besonders bedrohten Art. Eine Natürschützerin hat nun Nummer 19 auf dem Arm, ein Weibchen namens Whauwhau, sechs Wochen alt, 500 Gramm schwer und etwas irritiert von dieser Frau im blauen Blazer, die ihr übers Köpfchen streichelt. Gelegentlich schnappt Whauwhau mit dem für Kiwis typischen langen Schnabel in Richtung Merkel, woraufhin die Kanzlerin ihre Hand leicht verschreckt zurückzieht.

Doch die internationalen Krisen sind nicht so weit weg wie es scheint. Vier Kriegsschiffe hat Wladimir Putins Regierung in den vergangenen Tagen im Pazifik kreuzen lassen, eine Art Machtdemonstration vor den Ufern des Gipfels. Merkel will dem Manöver keine zu große Bedeutung geben. Es handele sich nur um die übliche Präsenz der Russen. Vor allem aber will sie nicht, dass die Schiffe von den Grenzverletzungen und Waffenlieferungen im russisch-ukrainischen Grenzgebiet ablenken, mit denen das Minsker Abkommen zur Beilegung des Konfliktes längst ad absurdum geführt wird.

Am Vormittag hat Merkel einen Kranz am Denkmal für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Neuseeländer niedergelegt. Die Geschichte Tausender Soldaten aus dem Commonwealth-Staat, die sich vor 100 Jahren den Briten anschlossen und von denen viele nicht zurückkehrten, zeigt auch, dass Neuseelands exponierte geografische Lage das Land nicht vom Weltgeschehen abschneidet. So bedankt sich Merkel bei Premierminister John Key ausdrücklich dafür, dass sich seine Regierung den Sanktionen gegen Russland angeschlossen hat. Auch im Irak engagiert sich das Land mit einer Ausbildungsmission.

Die deutsch-neuseeländischen Beziehungen sind sehr harmonisch. Das Handelsvolumen zwischen beiden Ländern ist höher als zwischen Neuseeland und Großbritannien, dessen Königin hier immerhin noch Staatsoberhaupt ist. Besonders eng ist der Austausch in der Wissenschaft. Als Merkel an der Universität von Auckland eine Rede hält, weist sie darauf hin, dass Neuseeland in den vergangenen Jahren in Forschungsprojekte mit Deutschland mehr investiert hat als mit jedem anderen Land. Und aus Deutschland wiederum kommen viele Auslandsstudenten nach Neuseeland.

So bleibt denn nur noch eine Frage, die Merkel auf der Pressekonferenz gestellt wird: Wie fühlt es sich denn nun an, so ein Kiwi? "Sehr weich, sehr angenehm", so beschreibt die Kanzlerin den Flaum des Vogels, dessen Federkleid eher an ein Fell erinnert. Außerdem habe sie inzwischen erfahren, dass der Kiwi mit dem Schnabel nur klappere, aber nicht zubeiße. So kommt Merkel auch hier wieder davon.

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