Vor Fischers Solidaritäts-Reise:Streit über EU-Beitritt der Türkei eskaliert

In der nach den Terroranschlägen in der Türkei aufgekommenen Debatte über den EU-Beitritt des Landes hat Schröder die Union scharf kritisiert. Schröder nannte die Haltung der Union als "charakterlos". Der CSU-Politiker Glos sagte, der Kanzler verhalte sich "infantil".

Von Christiane Schlötzer

Bundesaußenminister Joschka Fischer wird am heutigen Montag zu einem Besuch in der türkischen Hauptstadt Ankara erwartet. Fischer entschloss sich kurzfristig zu der Reise, nachdem sich die Debatte über einen EU-Beitritt der Türkei nach den vier Selbstmordanschlägen in Istanbul zugespitzt hatte.

Der Besuch sei als "Geste der Verbundenheit und Solidarität zu verstehen", sagte der Sprecher des Außenministeriums, Walter Lindner, in Berlin. Fischer wird mit seinem Kollegen Abdullah Gül zusammentreffen.

Der Streit zwischen der Bundesregierung und der Union über die Türkei ging unterdessen weiter. Als "charakterlos" bezeichnete Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) Warnungen von Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU), wonach mit einer schnellen Aufnahme der Türkei das Terrorproblem in die EU importiert werde. CSU-Landesgruppenchef Michael Glos nannte die Aussage Schröders "infantil".

Predigten gegen den Terror

Nach dem bisherigen Fahrplan will die EU Ende 2004 entscheiden, ob und wann offizielle Beitrittsgespräche mit der Türkei aufgenommen werden sollen. Von einer Mitgliedschaft gehen sowohl Ankara wie Brüssel erst für das nächste Jahrzehnt aus.

EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen will an diesem Fahrplan, wie er betonte, festhalten. Cüneyd Zapsu, der außenpolitische Berater des türkischen Regierungschefs Tayyip Erdogan, sagte der Süddeutschen Zeitung, Europa dürfe sich jetzt nicht zurückziehen. "Die gefährlichsten Gegner von al-Qaida sind doch wir, wir sind gefährlicher für diese Terroristen als Israel und die USA, weil wir das andere Gesicht des Islam sind", sagte Zapsu.

Am Dienstag werden die Imame in allen türkischen Moscheen zum Ende des Ramadan eine Predigt verlesen, die von der Religionsbehörde in Ankara verfasst wurde. Darin heißt es: "Terror, Gewalt und Anarchie haben keinerlei Verbindung mit dem Islam." Weiter wird in der verbindlichen Ansprache betont, die Türkei sollte zeigen, "dass wir als Nation in Frieden leben". "Lasst uns gemeinsam gegen den Terrorismus stehen."

Den Tätern auf der Spur

Istanbuls Polizeichef Celalettin Cerrah erhob schwere Vorwürfe gegen die türkischen Medien. Mit der Bekanntgabe von Ermittlungsdetails seien sie indirekt mitverantwortlich für die zweite Anschlagswelle. "Wenn es diese Verantwortungslosigkeit nicht gegeben hätte, würden diese Opfer hier nicht liegen", sagte Cerrah bei einer Trauerfeier.

Man sei den Tätern auf der Spur gewesen. Große Zeitungen dagegen berichteten über ein Versagen des türkischen Geheimdienstes MIT. "Informationen verschiedener Stellen flossen nicht zusammen", schrieb die Zeitung Radikal. Das Massenblatt Hürriyet berichtete unterdessen von 18 Festnahmen im Zusammenhang mit den vier Attentaten, die 55 Tote und 750 Verletzte gefordert hatten.

Zur Unterstützung der Polizei entsandte auch Scotland Yard ein Team in die Türkei. Vor den diplomatischen Vertretungen in Istanbul und Ankara wurden die Sicherheitsmaßnahmen verschärft.

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