Vor EU-Russland-Gipfel:Drohen, aber nur ein bisschen

Proteste in der Ukraine

Wütende Demonstranten auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew

(Foto: AFP)

Die EU sitzt in der Zwickmühle: Brüssel kann nicht zusehen, wie die Ukraine ins Chaos abdriftet. Aber völlig verprellen will man Präsident Janukowitsch auch nicht. Weil Russlands Präsident Putin auf seinen Mann in Kiew nicht mehr verzichten will, hat der EU-Russland-Gipfel eine gewisse Brisanz.

Von Daniel Brössler

Eigentlich hätten sie sich schon im Dezember treffen sollen. Aus Termingründen war der turnusmäßige EU-Russland-Gipfel aber auf den späten Januar verschoben worden. Dann wurde auch noch, nicht mehr nur aus Termingründen, das Programm zusammengestrichen. Ein sonst übliches Abendessen fällt aus. Wenn Russlands Präsident Wladimir Putin am Dienstag in Brüssel eintrifft, erwarten ihn dort keine netten Gespräche, sondern, wie EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso es formuliert, eine "offene Diskussion" - natürlich auch über die Ukraine.

Man werde über gemeinsame Interessen reden, aber auch über Meinungsverschiedenheiten und wie sie überwunden werden können, kündigte Barroso an. Im Falle der Ukraine geht es freilich um mehr. Putin hatte sich durch das praktisch fertige Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine herausgefordert gefühlt. Seit Viktor Janukowitsch es auf seinen Druck hin auf Eis gelegt hat, kann Putin in dem Präsidenten wieder fast uneingeschränkt seinen Mann in Kiew sehen. Auf der anderen Seite stehen die Demonstranten des Euro-Maidan - die EU kann gar nicht anders, als sich für sie mitverantwortlich zu fühlen.

So hat die EU einiges an diplomatischer Aktivität entfaltet. Am Freitag ist der für Nachbarschaftspolitik verantwortliche EU-Kommissar Štefan Füle nach Kiew gereist. Der Tscheche gehört zu denen, die den Herbst damit verbracht haben, das Assoziierungsabkommen doch noch retten zu wollen. Nun aber ging es bei seinen Treffen mit Janukowitsch sowie den Oppositionsführern nur noch darum, das Schlimmste zu verhindern. Die EU wolle bei der Suche nach einer "friedlichen Verhandlungslösung" helfen, sagte er.

EU schreckt vor schärferer Gangart zurück

Die EU ist in der Zwickmühle. Sie will nicht untätig zusehen, wie das Nachbarland in Chaos oder Diktatur oder beides abdriftet. Andererseits fürchtet sie um ihre Gesprächskanäle zur Führung in Kiew. Und so herrscht in der EU bislang größte Zurückhaltung, was Sanktionen angeht, etwa Reisebeschränkungen oder Kontosperrungen wie sie gegen den weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko und sein Regime in Kraft sind. Barroso hatte zwar eine Überprüfung der Beziehungen angedroht, doch vor einer schärferen Gangart schrecken sowohl EU-Diplomaten als auch die meisten EU-Länder zurück.

"Unsere Tür bleibt offen", lockte EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy am Wochenende während eines Besuches in Warschau. Die EU sei immer noch bereit, das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine zu unterzeichnen, vorausgesetzt es handele sich um eine "freie, vereinte, demokratische Ukraine". Ein "echter Dialog mit der Bürgergesellschaft und der politischen Opposition" sei die einzige Lösung.

Eine weitere Radikalisierung der Stimmung und ein eskalierender Konflikt lägen weder im Interesse der Ukraine selbst, Europas oder Polens, dem wichtigsten europäischen Nachbarn der Ukraine, sagte der Ministerpräsident. Im Interesse Russlands dürfte die Radikalisierung auch nicht sein. Allerdings will der Kreml auf Janukowitschs neue Moskautreue keinesfalls verzichten. Und so wäre überaus überraschend, käme es am Dienstag in Brüssel doch noch zu einer Annäherung im Kiew-Konflikt.

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