Vor der Regierungsbildung in Italien:Der Weise vom Hügel muss es richten

Giorgio Napolitano

Auch im kalten Berlin darf der Hut nicht fehlen: Italiens Präsident Giorgio Napolitano beim Staatsbesuch in Deutschland

(Foto: AP/dpa)

Nach einer chaotischen Wahl setzen die Italiener ihre Hoffnungen auf einen Mann: den 87-jährigen Staaatspräsidenten Giorgio Napolitano. Ihm stehen kurz vor Ende seiner Amtszeit noch schwierige Wochen bevor. Er muss dafür sorgen, dass Italien eine funktionsfähige Regierung bekommt - einfach wird das nicht.

Von Andrea Bachstein, Rom

Es war Giorgio Napolitano ein besonderes Anliegen, dass sein letzter Staatsbesuch Deutschland gilt. Die Freude hat SPD-Chef Peer Steinbrück dem italienischen Präsidenten mit seinem Gerede von Clowns und anderen Politikern ein bisschen getrübt.

Doch was Napolitano nach den Parlamentswahlen zu Hause in Rom erwartet, wird erst recht kein Vergnügen. Schon weil die Tonart der Polit-Protagonisten da gelegentlich noch deutlich rauer ist als in Berlin: Als "sprechenden Toten" hat der mit seiner Protestbewegung "5 Stelle" so erfolgreiche Beppe Grillo den Chef der Sozialdemokraten, Pier Luigi Bersani, gerade bezeichnet. Das macht nicht wirklich Hoffnung, dass zwischen den beiden bald eine freundliche Einigung bevorsteht, die es ermöglichen würde, eine stabile Regierung im krisengeschüttelten Italien zu bilden.

Die Situation ist so komplex, weil die Partito Democratico (PD) Bersanis und ihre Verbündeten zwar die Mehrheit im Abgeordnetenhaus haben, aber nicht im Senat, der anderen Parlamentskammer in Rom. Eine stabile Mehrheit bekommt im Senat nur, wer zuverlässig die "Fünf-Sterne"-Senatoren auf seiner Seite hat, oder aber es bildet sich eine große Koalition aus Mitte-links und dem von Ex-Premier Silvio Berlusconi geführten Mitte-rechts-Bündnis. Beides ist drei Tage nach der Wahl nicht in Sicht.

Alle warten auf den weisen Mann

Alle warten nun auf die Rückkehr des weisen, alten Mannes, der oben im Quirinalspalast Auswege weisen soll. So, wie Napolitano im Herbst 2011 der entschlossene, kluge Regisseur war des Stabwechsels vom in Italien mehrheits- und in Europa vertrauenslos gewordenen Silvio Berlusconi zu dem technischen Premier Mario Monti.

Eigentlich hoffte Napolitano, dass er mit seinen bald 88 Jahren schon im Ruhestand sein würde bei der nächsten Regierungsbildung. Am 15. Mai endet Napolitanos Amtszeit, und es wäre eleganter, wenn die neue Regierung nicht ein scheidender Präsident in seinen letzten Tagen im Amt aus der Taufe hebt.

Aber es ist nun mal der Staatspräsident, der nach Beratungen mit den Parteien und Politikern aus dem Parlament entscheidet, wen er mit der Regierungsbildung beauftragt - normalerweise denjenigen, der die meisten Aussichten hat, die Vertrauensabstimmungen im Parlament auch zu überstehen. Man kann sicher sein, dass Napolitano gleich nach seiner Rückkehr aus Berlin informell seine vielen Sondierungsgespräche aufnehmen wird - und keinen ruhigen Tag mehr hat, bis sein Mandat endet.

Es läuft auf Bersani hinaus

Was er zunächst leisten kann, ist aber nur Vermittlungs- und Überzeugungsarbeit. Denn erst wenn sich am 15. März das Parlament konstituiert und die Präsidenten seiner beiden Kammern wählt, und Fraktionschefs bestimmt werden, beginnen auch die offiziellen Konsultationen zwischen Staatspräsident und Parlamentariern.

Leonardo Morlino, Professor für Politik an der römischen Universität Luiss, erklärt der Süddeutschen Zeitung, er glaube, dass Napolitano am wahrscheinlichsten Pier Luigi Bersani mit der Regierungsbildung beauftragen werde. Der hätte dann zwei Monate Zeit, bis zum Rücktritt des Präsidenten, sich eine Mehrheit zu organisieren. Und zwar, indem er gemeinsame Kernpunkte mit den "5 Stelle" sucht - die es im Übrigen gibt, etwa die Wahlrechtsreform oder Kürzungen bei den Staatsausgaben.

Bersani hat allen Beleidigungen von Grillo zum Trotz auch schon Gesprächsangebote an ihn gesandt. Um Bersani eine Minderheitsregierung zu ermöglichen, könnten die Senatoren der "5 Stelle", so der Politologe, bei der Vertrauensabstimmung auch fernbleiben: Dann sinkt im Senat die für die Mehrheit nötige Stimmenzahl, und Bersani könnte tatsächlich gewählt werden.

Eine große Koalition scheint ausgeschlossen

Was Morlino ausschließt, ist die Möglichkeit einer großen Koalition, sprich, dass das Mitte-links-Bündnis sich mit Silvio Berlusconis Mannen einigt, und so die "5 Stelle" - die im Abgeordnetenhaus die stärkste Partei sind - aushebelt. Das sei politisch nicht denkbar, sagt der Luiss-Professor, weil die Programme und Personen einfach völlig unvereinbar seien.

Auch bei der PD von Bersani scheinen im Moment die Stimmen zu überwiegen, die eine Koalition mit dem Erzfeind Berlusconi völlig ablehnen, denn das wäre ein völliger Gesichts- und Glaubwürdigkeitsverlust vor den Wählern. Auch weiß man, dass Bersani zutiefst misstrauisch ist gegenüber Berlusconi und der PDL, weil er schon wiederholt mit deren Wortbrüchigkeit schlechte Erfahrungen gemacht hat. Morlino ist sich jedenfalls ziemlich sicher, dass Bersani eine Einigung mit Grillo suchen wird.

Neuwahlen? Erst unter einem neuen Staatspräsidenten

Sollte das nicht gelingen, muss der PD-Chef wieder "auf den Hügel" steigen, also beim Präsidenten vorsprechen. Der müsste dann entscheiden, wer weiter die Regierungsgeschäfte führen soll - als Verwalter, bis eine Regierung mit einer tragfähigen Mehrheit gefunden ist. Damit könnte er dann entweder Bersani beauftragen oder den derzeit und bis zum Entstehen einer neuen Regierung noch amtierenden Premier Mario Monti.

Das Parlament auflösen und Neuwahlen ansetzen kann Giorgio Napolitano indes nicht. Er ist längst im "weißen Semester", dem halben Jahr vor Ende seines Mandats, in dem ein Staatspräsident nur in ganz extremen Ausnahmesituationen noch das Parlament auflösen könnte. Neuwahlen könnte erst Napolitanos Nachfolger bestimmen. Den wird das Parlament vom 15. April an wählen - was auch ohne neue Regierung möglich ist, wie Morlino bestätigt.

Von Neuwahlen profitiert nur einer

Das ist alles ziemlich kompliziert, und jede Seite hat in dieser unübersichtlichen Situation ihre eigene Interessenlage. Berlusconi und andere in seiner Partei PDL propagieren nun die große Koalition, und scheinen dafür jede Kröte schlucken zu wollen. Eventuell auch, dass diese große Koalition einen technischen Premier tragen würde, so wie es im vergangenen Jahr bei Monti passiert ist. Denn die Berlusconi-Partei möchte auf keinen Fall bald wieder vor Neuwahlen stehen.

Im Übrigen möchte das auch die Konkurrenz von der PD nicht. Beide müssen nämlich fürchten, so wie die Stimmung in Italien derzeit ist, dass bei einem Votum in den nächsten sechs Monaten die etablierten Parteien noch mehr abgestraft werden würden von erzürnten Wählern.

Grillo würde von Neuwahlen profitieren

Bersani hat schon klar gemacht, dass er diesen Gefallen Beppe Grillo nicht tun will. Für Grillo wiederum wäre es eine verlockende Möglichkeit, auf das Scheitern einer großen Koalition der etablierten Parteien zu warten und bei der dann am Ende doch fälligen Wahl um weitere zehn oder 20 Prozent zuzulegen. Keine Koalition mit niemandem hat er als Devise für seine neuen Parlamentarier ausgegeben und Zustimmung nur von Abstimmung zu Abstimmung.

Dafür hat er gleich heftig Widerspruch im Internet bekommen - von seinen Gefolgsleuten. Da melden sich Grillini, die ihren Leitwolf mahnen, doch eine Mitte-links-Regierung zu ermöglichen und zu dulden, und diese Chance zum Wandel in Italien nicht zu verpassen. Nur Protestbewegung zu sein reiche jetzt nicht mehr, bloggen sie an Grillo gewandt.

Andere erinnern daran, dass ja nicht alle Politiker bei der PD schlecht seien. Eine junge Frau namens Viola hat auf einer anderen Internetplattform angefangen, Appelle an Grillos Kompromissbereitschaft zu sammeln - 50.000 Leute haben sich in kaum zwei Tagen angeschlossen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: