Vor der Rede zur Lage der Nation:Obamas letzter Frühling

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Barack Obama - gelingt der Neustart?

(Foto: AFP)

NSA-Skandal, Ringen um ein Eingreifen in Syrien, verkorkste Gesundheitsreform - 2013 war für Barack Obama politisch eher ein furchtbares Jahr. Jetzt geht er in die Offensive: Er möchte künftig präsidentieller auftreten und sich nicht mehr vom Kongress treiben lassen. Die Rede zur Lage der Nation heute Nacht ist seine letzte Chance für einen Neustart.

Von Nicolas Richter, Washington

Das Weiße Haus schürt die Erwartungen wie nie: Vor Tagen bereits hat es Fotos verschickt, sie zeigten den Chefredenschreiber Cody Keenan dabei, wie er an der wichtigsten Ansprache des Jahres feilte. Es war ein Schreibtisch zu sehen, darauf ein Stapel Papier und ein Pappbecher mit Kaffee. Sogar erste Redeentwürfe mit den Randnotizen des Präsidenten wurden enthüllt, allerdings so unscharf, dass man nichts lesen konnte. Es steht offenbar Großes bevor. Barack Obama hält an diesem Dienstagabend seine Rede zur Lage der Nation im Kapitol. Es ist seine sechste, aber sie soll ganz besonders werden.

Zustimmungswerte stürzen ab

Für Obama war 2013 ein furchtbares Jahr. Es fing an mit dem Fest seiner zweiten Vereidigung und mit einer ehrgeizigen, gar überfrachteten linken Agenda. Dann aber scheiterten seine Wunschreformen zu Waffenrecht und Einwanderung im Parlament, es folgten die Krisen um NSA-Spionage und Syrien. Wegen der Inkompetenz in seiner Regierung missglückte auch noch der Start des neuen Gesundheitssystems. Die Zustimmungsrate für den Präsidenten stürzte von 57 auf 42 Prozent.

Jetzt nimmt Obama einen neuen Anlauf. Nach seinem Weihnachtsurlaub auf Hawaii soll er ausgeruht sein und neuen Mut gefasst haben. Es ist die letzte Chance auf einen Neuanfang: Im Herbst wird der politische Betrieb mit der Parlamentswahl beschäftigt sein, und von da an mit der Präsidentschaftswahl 2016. Obama weiß, dass der politische Frühling, wenn er ihm denn gelingen sollte, sein letzter wäre.

Seine Hintersassen verbreiten, dass Obama jetzt weniger seine Ziele ändere als seinen Regierungsstil. Der inhaltliche Schwerpunkt der "State of the Union"-Rede dürfte im Kampf gegen die Ungleichheit liegen. Vor allem aber möchte Obama in Zukunft präsidentieller auftreten. Sein Berater Daniel Pfeiffer ist nach den jüngsten Niederlagen zu dem Ergebnis gelangt, dass der Präsident jüngst zu sehr wie ein Premierminister agiert habe, der abhängig sei vom Parlament. Weil das mehrheitlich republikanische Abgeordnetenhaus Obamas Agenda ablehne, sei ihm nichts gelungen, und dies habe ihn definiert. Künftig soll der Präsident seine Befugnisse als Chef der Exekutive nutzen, wo immer dies rechtlich möglich ist, mit anderen Worten: das Parlament umgehen. Das Weiße Haus hat den neuen Ansatz "Stift und Telefon" getauft. Mit dem Stift unterzeichnet der Präsident Anordnungen, am Telefon schließt er Bündnisse mit gesellschaftlichen Gruppen und Unternehmen.

Die Konservativen sind schon einmal empört

Die Konservativen sind empört, noch bevor der Präsident seine Rede überhaupt gehalten hat. "Es klingt vage nach einer Drohung", sagt der republikanische Senator Rand Paul. "Es ist arrogant, denn die Gewaltenteilung ist eines der fundamentalen Prinzipien dieses Landes. Wer ein Gesetz durchsetzen möchte, muss überzeugen."

Allzu folgenschwer aber wird Obamas angedrohter Durchmarsch ohnehin nicht ausfallen. Er kann mit seinen Vollmachten zwar einige Regeln ändern, zum Beispiel bei Umweltschutz, Förderung der Mittelklasse oder frühkindlicher Bildung. Große Würfe in der Innenpolitik aber gelingen nur mit Gesetzen, und dafür braucht der Präsident den Kongress, und der ist mehrheitlich nicht auf seiner Seite. Es gilt als unwahrscheinlich, dass die Demokraten bei der Wahl im Herbst das Abgeordnetenhaus zurückerobern, sie können schon froh sein, wenn sie ihre Mehrheit im Senat behalten. Gegen den Kongress aber kann Obama weder höhere Steuern für die Reichen durchsetzen, noch Schusswaffenverbote, verbindliche Emissionsgrenzen für Kohlendioxid oder die Schließung des Gefangenenlagers Guantanamo.

Entrückt und unwillig

Das miserable Verhältnis Obamas zum Parlament ist eines der kennzeichnenden Merkmale seiner Präsidentschaft. Freunde wie Gegner werfen ihm vor, entrückt zu sein, unwillig, seine Widersacher zu umschmeicheln oder wenigstens seine Parteifreunde auf Linie zu zwingen. Obama weist diese Vorwürfe zurück. Im gegenwärtigen politischen Klima, sagen seine Vertrauten, könnte er mehr Kooperation auch dann nicht erzwingen, wenn er sich mit dem republikanischen Speaker John Boehner bis in alle Ewigkeit zum Golfspielen verabredete.

Auf einen Erfolg immerhin kann der Präsident noch hoffen: Unter den Republikanern wächst offenbar die Bereitschaft, die Einwanderungsgesetze zu reformieren. Nicht deshalb, weil es ein Wunsch Obamas ist, sondern weil sie einsehen, dass sie die wachsende Gruppe der Latino-Wähler im Land allenfalls dann zurückgewinnen, wenn sie Millionen illegalen Einwanderern wenigstens ein bisschen helfen. Aus welchen Gründen die Republikaner am Ende auch zustimmen, wenn sie überhaupt zustimmen - es wäre in Obamas Zeit als Präsident wohl der letzte Gesetzgebungserfolg von einer Tragweite, die ein politisches Erbe definiert.

Obama hat auch Erfolge erzielt

Obama kann insofern zufrieden sein, als er schon etliche dieser Großerfolge erzielt hat: Er hat zwei Kriege beendet, die Wirtschaftskrise überwunden, eine Gesundheitsreform durchgesetzt, die Al-Qaida-Spitze geschwächt, den Nobelpreis gewonnen. Weniger zufrieden dürfte er damit sein, dass in den kommenden drei Jahren womöglich nicht mehr allzu viele Großerfolge dazukommen werden.

Der Präsident also wird sich mit kleineren Initiativen begnügen müssen, die vielleicht nicht die Wucht großer Gesetze entfalten, aber doch immerhin Symbolik. In seinem Umfeld heißt es, er werde wieder öfter das Weiße Haus verlassen und reisen, er werde Unternehmer dazu überreden, Langzeitarbeitslose einzustellen, mit Universitäten beraten, wie sie ihre Studenten besser auf das Berufsleben vorbereiten können. Mit alledem kann Obama Aufmerksamkeit erregen und das Parlament unter Druck setzen. Viel mehr aber auch nicht. Erfolge, die später einmal in den Geschichtsbüchern stehen, wird er dann wohl im Ausland erreichen müssen - einen dauerhaften Ausgleich mit Iran etwa, ein Ende der Kämpfe in Syrien oder bleibenden Fortschritt im nahöstlichen Friedensprozess.

In mancher Hinsicht ist 2014 geeignet für einen letzten Frühling: Obama hat einige Lasten aus dem vergangenen Jahr abgeworfen. Seine Pläne zur Eindämmung der NSA hat er vorgestellt, der ewige Budgetstreit mit den Republikanern hat sich beruhigt, und die schlimmsten Pannen im Gesundheitssystem sind offenbar erst einmal beseitigt. Andererseits wird Obama allmählich bewusst, dass seine Macht endlich ist, ebenso seine Zeit im Weißen Haus. Dem Magazin New Yorker sagte er jüngst: "Wir sind bloß Teil einer langen Erzählung. Wir versuchen nur, unseren Abschnitt in der Geschichte richtig hinzukriegen." Das klingt so, als breche so langsam der Herbst an in der Amtszeit des 44. US-Präsidenten Barack Obama.

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