Vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt:Idylle im Billiglohnland

Einst galt Sachsen-Anhalt als Sinnbild für Misswirtschaft. Heute hat das Land den industriellen Zusammenbruch überwunden: Im Wahlkampf streiten CDU und SPD, wer für den Erfolg verantwortlich ist.

Christiane Kohl

Einst war hier nur ein riesengroßes Erdloch, übriggeblieben vom Braunkohletagebau. Fegte der Wind über das Gebiet des großen Goitzschesees, wirbelten Staub und Aschereste durch die Luft, das heruntergekommene Gebäude, das am Rande eines Erdkraters stand, war dann kaum zu erkennen im Nebelstaub. Auch roch es zuweilen nach den süßlich-bitteren Ausdünstungen der Chemiebetriebe im nahegelegenen Bitterfeld; die ätzenden Gase hatten schon mächtig an der alten Fassade des Hauses genagt.

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Einst zerpflügten Braunkohle-Bagger das Land, nun haben sich in Sachsen-Anhalt neue Industrien angesiedelt: von Solar- bis hin zu Biodiesel-Betrieben.

(Foto: dpa)

Heute thront die Villa mit ihren Türmchen und Giebeln hingegen wie ein kleines Schloss am Seeufer, sanfte blaue Wellen umspielen den Prachtbau aus der Gründerzeit. "Villa am Bernsteinsee" heißt sie nun. Weil die Goitzsche jetzt auch Bernsteinsee heißt.

Weiße Hochzeitskleider statt schwarzem Aschestaub

Das Areal ist ein Beispiel für eine gelungene Transformation, in wirtschaftlicher wie in menschlicher Hinsicht: Wo einst die Schaufelräder des Braunkohletagebaus die Landschaft zerpflügten, hat sich ein Hotel etabliert, das als gefragte Hochzeitsdestination gilt. Statt schwarzem Aschestaub sieht man jetzt weiße Hochzeitskleider auf der Uferpromenade.

Die Villa am Bernsteinsee ist eines jener Vorzeigeobjekte, an dem sich mit einem Blick die Entwicklung einer ganzen Region erkennen lässt: Früher ein Sinnbild für Umweltverschmutzung und Misswirtschaft, hat sich der Raum Bitterfeld zu einem kleinen Zentrum zukunftsträchtiger Industrien entwickelt - vom Solarbetrieb bis zur Biodieselproduktion.

Es gab einige Bitterfelds in Sachsen-Anhalt: Wie kaum ein anderes ostdeutsches Bundesland hatte die Region nach dem Ende der DDR einen schwierigen Umwandlungsprozess vor sich. Große Industrie-Kombinate hatten einst die sozialistische Wirtschaft geprägt, nach der Wende fielen sie wie Kartenhäuser zusammen. Entsprechend groß waren plötzlich Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit der Menschen.

So taten sich Herkulesaufgaben für die jeweilige Landesregierung auf, deren Zusammensetzung in Sachsen-Anhalt besonders oft wechselte: von schwarz-gelb über rot-grün bis zur schwarz-roten Koalition, die derzeit die Regierung stellt.

Die schwierige Umstrukturierung von Wirtschaft und Gesellschaft gilt heute als weitgehend gelungen, mit 13 Prozent ist die Arbeitslosenquote derzeit auf dem niedrigsten Stand seit der Wende.

Arbeit und Einkommen aber zählen noch immer zu den wichtigsten Themen im Land. So ist es kein Wunder, dass sich die Parteien vor der Landtagswahl am 20. März vor allem über die Lohnpolitik streiten: Da beklagen Politiker der Linken, Sachsen-Anhalt sei ein "Billiglohnland". Um den Menschen Perspektiven zu geben, müssten Mindestlöhne her, fordern Linke und SPD.

Dagegen hält die CDU, dass Sachsen-Anhalt in den vergangenen zehn Jahren den höchsten Lohnzuwachs aller Bundesländer verzeichnete: Während die Löhne im Westen zwischen 2000 und 2009 um 14,4 Prozent angestiegen waren und die Gehälter in Ostdeutschland und Berlin sich um 23,4 Prozent erhöhten, wuchsen sie in Sachsen-Anhalt um fast 26 Prozent. Auch beim Lohnniveau hält sich das Land mit einem Durchschnittsverdienst von 16,50 Euro laut Wirtschaftsminister Reiner Haseloff (CDU) im Mittelfeld - jedenfalls sei die Behauptung, die Regierung "würde mit Niedriglöhnen werben, um Unternehmen ins Land zu locken, völlig falsch".

Haseloff führt den Wahlkampf der CDU als Kandidat für das Ministerpräsidentenamt an - der 75-jährige Wolfgang Böhmer tritt nicht mehr an. In Konkurrenz zu Haseloff steht Jens Bullerjahn (SPD), der zurzeit Finanzminister ist.

Konkurrenz ohne Kontroversen

Mit harten Kontroversen gegeneinander tun sich beide aber schwer: Schließlich sitzen sie zusammen in einer Regierungskoalition, die auf ihre gemeinsamen Erfolge pochen will. Diese liegen ebenfalls mehr auf wirtschaftlichem Gebiet: Haseloff weist darauf hin, dass sich in den vergangenen fünf Jahren mehr als 250 neue Betriebe in Sachsen-Anhalt ansiedelten, für 100 weitere Firmengründungen lägen Förderanträge vor. Das Land kann diese Zuzüge gut gebrauchen, denn bedingt durch die großindustrielle Struktur der Vergangenheit ist die Selbständigen-Quote dort besonders niedrig.

Unterdessen hat sich Bullerjahn in den vergangenen Jahren durch eiserne Haushaltspolitik einen Namen gemacht. Mehrfach gelang es ihm, einen Haushalt ohne Neuverschuldung vorzulegen. Überdies trieb er die Verabschiedung einer gesetzlich verankerten Schuldenbremse voran, wonach es Regierenden von 2012 an nicht mehr erlaubt ist, neue Schulden zu machen. Fast jeder Zweite in Sachsen-Anhalt ist mit der Arbeit der schwarz-roten Koalition zufrieden, auch die Spitzenkandidaten von CDU und SPD würden sie wohl gerne fortführen.

Auch die Rechten wollen mitmischen

Neben den Fragen von Arbeit und Einkommen spielt im Wahlkampf vor allem Bildungspolitik eine Rolle. Parallel zu einer Gebietsreform, bei der unter heftigen Konflikten Kreise und Gemeinden zusammengelegt wurden, mussten viele Schulen schließen. Zugleich wurde ein Bildungskonvent eingesetzt, da sich SPD und CDU nicht auf eine gemeinsame Schulpolitik einigen konnten: Die CDU will möglichst nicht am dreigliedrigen Schulsystem rühren, die SPD hingegen verlangt ein längeres gemeinsames Lernen. Sie wird dabei von der linken Opposition gestützt, die von Wulf Gallert angeführt wird, dem Chef der Linkspartei, die kaum irgendwo sonst so stark ist wie in Sachsen-Anhalt.

Zuletzt verlor die Linke jedoch viel Zuspruch: Von 32 Prozent Zustimmung ging ihr Umfragewert bei der jüngsten Erhebung auf 26 Prozent zurück. Damit liegt sie nur noch knapp vor der SPD, deren Umfragewerte sacht angestiegen waren auf 23 Prozent.

Insgesamt stellen sich 13 Parteien zur Wahl, darunter auch die NPD, die den Umfragen zufolge auf mindestens vier Prozent der Stimmen kommen könnte. Ende der 1990er Jahre war die rechtsextreme DVU schon einmal mit 12,9 Prozent in den Landtag eingezogen. Die Hochburg der NPD, die sich mittlerweile mit der DVU verschmolzen hat, liegt im Burgenlandkreis, dem südlichsten Zipfel von Sachsen-Anhalt.

In der Region zwischen Saale und Unstrut war es den Rechtsradikalen gelungen, einige Kandidaten für sich zu gewinnen, die auch bei normalen Bürgern ankommen könnten: etwa einen Schornsteinfeger, der auch als Fußballtrainer wirkte, oder den Ortsbürgermeister von Krauschwitz, einem Dorf bei Weißenfels, der vor einiger Zeit von der SPD zur NPD übergetreten war.

Die Rechtsradikalen versuchen vor allem, mit Ausländerhass Stimmen zu gewinnen. Die Rechnung könnte in manchen Regionen aufgehen.

In den vergangenen Jahren hatte Sachsen-Anhalt immer wieder Schlagzeilen gemacht durch Übergriffe zumeist jüngerer Männer auf ausländische Bürger. Auch gab es Vorwürfe, dass sich manche Beamte bei der Verfolgung rechtsextremer Taten weniger ins Zeug legten. Für Aufsehen sorgte der Tod eines Afrikaners im Polizeigefängnis von Dessau, dessen Umstände schon zum zweiten Mal von einem Gericht zu klären versucht werden. Ministerpräsident Böhmer war rechtsradikalen Übergriffen stets entschieden entgegengetreten.

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