Vor der Duma-Wahl in Russland:"Nicht frei und fair"

Der Grünen-Politiker Volker Beck über die Veränderungen, die das Land unter Putin erlebt hat, den Umgang mit der Opposition und die Motive, die den russischen Präsidenten antreiben.

Birgit Kruse

Am 2. Dezember wird in Russland ein neues Parlament gewählt. Im Vorfeld der Wahlen wurden Demonstrationen der Opposition von den Polizeikräften immer wieder brutal niedergeschlagen, Oppositionelle verhaftet.

Vor der Duma-Wahl in Russland: Volker Beck: "Damit die Zivilgesellschaft hier nicht auf die Idee einer demokratischen Intervention kommt, muss alles niedergeschlagen werden, was sich an Kritik artikuliert."

Volker Beck: "Damit die Zivilgesellschaft hier nicht auf die Idee einer demokratischen Intervention kommt, muss alles niedergeschlagen werden, was sich an Kritik artikuliert."

(Foto: Foto: Stefan Kaminski)

Volker Beck, Grünen-Politiker im Bundestag, ist Menschenrechtler und Russlandkenner. Sein letzter Russlandbesuch war Ende Oktober. Dabei handelte es sich um eine Bundestagsdienstreise, bei der er sich über das NGO-Gesetz, den russischen Strafvollzug und die demokratische Opposition informiert hat. Es kam zu Treffen mit Abgeordnete der Duma und des Föderationsrates, zahlreichen Nicht-Regierungs-Organisationen und Oppositionspolitikern.

sueddeutsche.de: Herr Beck, Sie reisen öfter nach Russland und nehmen dort an Demonstrationen teil. Welche Stimmung herrscht dort?

Volker Beck: Seit dem Machtantritt Putins wurden die Freiheiten in allen möglichen Bereichen zurückgedreht. Eine unabhängige Justiz existiert praktisch nicht. Die Duma-Wahlen sind nicht frei und fair. Kreml-kritische Kräfte wurden von den Wahlen ausgeschlossen, die Heraufsetzung der Hürde auf 7 Prozent sollte demokratische Kräfte und ihre Anhänger entmutigen, die Massenmedien fokussieren ihre Berichterstattung auf Putin und die neue Staatspartei Einiges Russland. In den letzten Tagen vor den Wahlen am 2. Dezember werden Kräfte, die diesen undemokratischen Wahlvorgang kritisieren, öffentlich als ausländisch gesteuert diffamiert und verhaftet. Allen voran Kasparow, der die letzten Tage vor der Wahl im Arrest verbrachte.

sueddeutsche.de: Was sind die gravierendsten Veränderungen, die Sie in den Jahren unter Putin feststellen könnten?

Beck: Das Vereinsrecht, Wahl- und Parteiengesetz wurde in den letzten Jahren durch die Duma dramatisch eingeschränkt, die Pressefreiheit wurde durch die Übernahme nahezu aller Presseorgane durch kremlnahe Oligarchen ausgehöhlt, die Versammlungsfreiheit, die Pressefreiheit des kleinen Mannes, wird von Versammlungsbehörden, FSB, und den Sicherheitskräften für alle kremlkritischen oder auch nur kremlunabhängigen Kräfte systematisch außer Kraft gesetzt.

sueddeutsche.de: Welche Motivation treibt Putin an?

Beck: Putin glaubt, dass er mit autoritären Methoden die Staatlichkeit wiederhergestellt hat, und träumt von neuer russischer Größe. Putin organisiert tatsächlich ein Interessensausgleich zwischen den Kräften in der Wirtschaft und dem Staatsapparat, die von den gegenwärtigen Machtkonstellationen profitieren. Dieses Interessenskartell, das auch die Ausplünderung der Ressourcen des Landes organisiert, wird von Putin repräsentiert, der ein Teil seines innenpolitischen Ansehens aus einer nationalistischen Außenpolitik und einer repressiven russischen Unterdrückungspolitik in Tschetschenien zieht.

sueddeutsche.de: Sie haben schon öfter in Russland an Demonstrationen teilgenommen. Wie gefährlich ist das?

Beck: Es gibt ein schwer zu durchschauendes Zusammenspiel von Polizei und rechter Gewalt. Meiner niederländischen Kollegin Sophie in t' Veld rannte unter den Augen der Polizei im Mai 2007 ein Demonstrant mit einem gezogenen Messer hinterher. Das Risiko ist nicht wirklich kalkulierbar. Internationale Beteiligung und eine Beobachtung von Ereignissen durch internationale Medien führen zu einer gewissen Mäßigung bei den staatlichen Organen.

sueddeutsche.de: Welche Erfahrungen haben Sie ganz persönlich mit der russischen Polizei gemacht?

Beck: Sie verhaftet die Opfer von Gewalt und lässt die rechten Gewalttäter springen. Sie erfindet Beschuldigungen, die man mit Fotos als Beweismittel widerlegen kann. Die Gerichte verwerfen Beweismittel, die den Lügen der Polizisten widersprechen.

sueddeutsche.de: Warum gehen die Sicherheitskräfte mit so eiserner Härte gegen Demonstranten vor?

Beck: Die Macht ist gegenwärtig in einer echten Krise. Da Putin nach der russischen Verfassung nicht der nächste Präsident sein kann, ist die Perspektive unklar. Auguren trauen Putin gegenwärtig alles zu: vom Bruch der Verfassung bis zur Inthronisierung eines Pappkameraden im Kreml. Viele meinen, dass Putin selbst noch nicht entschieden hat, was er vorhat. Damit die Zivilgesellschaft hier nicht auf die Idee einer demokratischen Intervention kommt, muss alles niedergeschlagen werden, was sich an Kritik artikuliert. Es ist zu hoffen, dass es zu einer Entspannung der Lage nach der Entscheidung über Putins Zukunft und der Wahl des neuen Präsidenten kommt.

sueddeutsche.de: Wie gehen Sie mit dem Erlebten um?

Beck: Man muss das selbst Erlebte mit dem kontrastieren, das Menschen, die jedem Tag den Druck standhalten, erleben. Dann nimmt man sich selbst nicht so wichtig. Trotzdem gilt es weise zu sein und nicht leichtsinnig zu werden und zu versuchen zu verstehen, wie man sinnvoll intervenieren kann.

sueddeutsche.de: Der Ton, den Putin gegenüber den USA und der EU anschlägt, wird zunehmend schärfer. Säbelrasseln vor den Wahlen oder eine ernstzunehmende Kehrtwende in der Außenpolitik des Landes?

Beck: Die scharfe Tonlage lenkt von internen Problemen ab. Aber man kann nicht jedes russische Anliegen einfach so vom Tisch wischen. Auch wenn Putins Kritik am Raketenabwehrprogramm viel aus taktischen Gründen gespielte Überraschung enthielt, muss die Nato darauf achten, dass Russland keinen Grund hat, von einer Einkreisungspolitik zu sprechen. Auch Russlands Argument in puncto Kosovo muss ernst genommen werden, parallel gelagerte Probleme in Abchasien und Ossetien sind Grund für ernst zu nehmende Sorgen, die nicht nur von den Putinisten, sondern auch von der demokratischen Opposition artikuliert werden. Man muss aufpassen, dass man nicht wegen dem undemokratischen System Putins reflexhaft auf alle russischen Äußerungen reagiert.

sueddeutsche.de: Hat der Westen überhaupt noch die Möglichkeit, die Demokratisierung des Landes zu beeinflussen?

Beck: Die wirtschaftliche Entwicklung Russlands wird scheitern, wenn sich das Land weiter einer Willkürherrschaft statt der Herrschaft des Rechtes unterwirft. Das werden durch den internationalen Austausch auch immer mehr Russen aus der technischen und wirtschaftlichen Intelligenz erkennen. Aber: Ein demokratischer Wandel in Russland kann nur von den Menschen in Russland selbst ausgehen. Wir können durch internationale Aufmerksamkeit, Austausch und Unterstützung die demokratische Opposition stärken. Und wir haben nicht das Recht aufzugeben, wenn die Menschenrechtler in Russland für eine demokratisierung des Landes kämpfen.

Volker Beck ist Menschenrechtspolitischer Sprecher und 1. Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen im Bundestag.

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