Vor der Abstimmung im Parlament:Abtreibungsgesetz spaltet Irland

A woman walks past posters advertising a candlelit vigil at the University Hospital Galway in Galway, Ireland

Erst der Tod von Savita Halappanavar hat die Abtreibungsdebatte in Irland neu angestoßen. 

(Foto: REUTERS)

Bislang sind Abtreibungen in Irland per Gesetz verboten. Heute könnte sich das ändern. Das Parlament stimmt über eine Lockerung der Bestimmungen ab. Gegner und Befürworter der Reform streiten erbittert - und mit nicht ganz legalen Mitteln.

Von Carina Huppertz

Normalerweise informiert die Internetseite der irischen Anti-Abtreibungs-Organisation "Youth Defence" über Schwangerschaftsabbrüche und ihre Nachteile, über Forschungsergebnisse und Protestaktionen. Doch wer gestern die Homepage der Gruppe aufrief, sah etwas anderes. In großen, schwarzen Buchstaben prangte ein Statement auf schlichtem weißem Hintergrund, unübersehbar. Der Titel: "Dies ist nicht die hasserfüllte, realitätsverzerrende Webseite, die Sie suchen." Und weiter: "Youth Defence hat mehr Hass gesät als jede andere Gruppe in einem sehr langen Zeitraum. Das muss aufhören." Hacker hatten die Seite lahmgelegt und den Text veröffentlicht. Darin bezeichnen sie die irische Organisation als "Gruppe von Extremisten", die von amerikanischen Vereinen finanziert werde.

Der Angriff auf ihre Internetseite trifft "Youth Defence" zu einem wichtigen Zeitpunkt: Heute stimmt das irische Parlament über ein Abtreibungsgesetz ab. Bereits in der vergangenen Woche hatten die Abgeordneten dem Entwurf in erster Lesung zugestimmt. Das Gesetz mit dem Titel "Protection of life during pregnancy" - der Schutz von Leben während einer Schwangerschaft - erlaubt abzutreiben, wenn das Leben der Mutter gefährdet ist. Dazu zählen auch Suizidgedanken. Irland ist neben Malta der letzte Staat in der EU, in dem Abtreibungen per Gesetz verboten sind.

Frauen fahren nach Großbritannien zum Abtreiben

Das Gesetz setzt eigentlich nur um, was schon lange als Rechtsprechung existiert. Bereits 1992 hatte das irische Verfassungsgericht in einer Grundsatzentscheidung einer 14-Jährigen das Recht eingeräumt, eine Abtreibung vorzunehmen. Sie war vergewaltigt und dadurch schwanger geworden. Die Behörden verboten ihr eine Reise ins Vereinigte Königreich, wo Abtreibungen seit 1967 erlaubt sind. Erst durch das Urteil des Verfassungsgerichts durfte das Mädchen ausreisen - weil sie ihre Suizidbereitschaft und damit die Gefährdung ihres eigenen Lebens beweisen konnte. Ihr Name wurde nie bekannt, noch heute wird der Vorfall als "Fall X" bezeichnet - und ist in den Augen vieler Abtreibungsbefürworter ein mahnendes Symbol für die harsche Abtreibungspolitik in Irland.

Wie das Mädchen X reisen jedes Jahr Tausende irische Frauen nach Großbritannien, um eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Wie viele es genau sind, dazu gibt es widersprüchliche Zahlen. Die Angaben reichen von 1000 bis zu 6000 Frauen pro Jahr. Denn seit dem Fall X bestätigte das oberste Gericht in zwei weiteren Urteilen seine Entscheidung. Doch keine der Regierungen in den vergangenen 21 Jahren überführte sie in ein Gesetz, sodass 2010 letzlich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte forderte, das Abtreibungsrecht zu klären. Der amtierende Regierungschef Enda Kenny erklärte aber, das Thema Abtreibung habe für ihn "keine Priorität".

Erst der Tod einer jungen Frau im Oktober vergangenen Jahres hatte die Debatte neu angestoßen. Savita Halappanavar war mit Schwangerschaftskomplikationen in die Uniklinik von Galway eingeliefert worden. Ärzte sagten der 31-Jährigen eine Fehlgeburt voraus, weigerten sich aber, auf den Wunsch Halappanavars eine Abtreibung vorzunehmen, weil das Herz des ungeborenen Kindes noch schlug. Als der Fötus starb, war es auch für die Mutter zu spät. Sie erlag wenig später einer Blutvergiftung.

"Irland ist ein katholisches Land"

Eine Hebamme erklärte Halappanavar im Krankenhaus die Verweigerung damit, dass Irland ein katholisches Land sei. Nicht nur im Ausland rief die Äußerung Proteste hervor. Die Geburtshelferin entschuldigte sich später für die Bemerkung und erklärte, sie wollte damit nur auf die Gesetze und die Kultur des Landes hinweisen. Es habe schließlich zwei Referenden gegeben, bei denen die Kirche großen Druck ausgeübt habe.

Es ist deshalb kein Wunder, dass sich die irische Bischofskonferenz deutlich gegen die Reform des Abtreibungsgesetzes ausspricht. Am Montagabend veröffentlichte sie auf ihrer Internetseite einen Aufruf an die Abgeordneten, in dem sie warnt, dass das Gesetz "die medizinische Versorgung in Irland fundamental ändern würde". Die Bischöfe kritisieren, durch das Gesetz würde "Abtreibung als angemessene Antwort auf Selbsttötungsgedanken" verstanden.

Auch in der Bevölkerung ist der Widerstand groß. Am Samstag hatten die Abtreibungsgegner der Kampagne "Pro Life" in Dublin zur Demonstration aufgerufen. Nach eigenen Angaben war es ihre größte Veranstaltung überhaupt, 60.000 Menschen sollen auf die Straße gegangen sein. Die irische Zeitung The Irish Times spricht von 35.000 Demonstranten. Wie emotional die Debatte in Irland ist, zeigt der Fall des Abgeordneten Derek Keating. Abtreibungsgegner versammelten sich am Sonntag mit Plakaten vor seinem Haus und schlugen so lange gegen Tür und Fenster, bis der Abgeordnete flüchtete. "Ich habe jetzt Angst und bin zu meiner eigenen Sicherheit woanders untergebracht", wird Keating von der Zeitung Irish Independent zitiert. Auch der Ehemann der verstorbenen Savita Halappanavar, Praveen, erhält Beleidigungen und Drohungen per Post.

Regierungspartei feuert Abgeordnete

Trotzdem scheint Regierungschef Enda Kenny nach dem Tod von Halappanavar nun entschlossen, das Gesetz möglichst schnell zu verabschieden - auch gegen Widerstand in der eigenen Partei "Fine Gael". Zwar wurde der Entwurf in erster Lesung mit 138 zu 24 Stimmen angenommen, zu den Gegnern zählten aber auch vier Abweichler der Regierungspartei. Als Konsequenz wurden sie am Tag nach der Abstimmung aus der Partei ausgeschlossen. Einer von ihnen, Billy Timmins, kritisierte den Schritt. Er sei enttäuscht, denn das Abtreibungsgesetz sei weder im Wahlkampf noch im Regierungsprogramm der Partei jemals Thema gewesen.

Die Zeitung The Irish Times erwartet trotzdem, dass bei der zweiten und endgültigen Abstimmung wieder Abgeordnete der Fine Gael gegen das Gesetz stimmen werden. Eine von ihnen könnte Lucinda Creighton sein. Die Staatsministerin hat sich in den vergangenen Tagen dafür eingesetzt, dass die Bereitschaft zum Suizid als Grund für eine Abtreibung aus dem Gesetzestext gestrichen wird. Sollte Creighton gegen das Gesetz stimmen, könnte auch sie aus der Partei ausgeschlossen werden und ihren Regierungsposten verlieren.

Die irische Bischofskonferenz fordert eine Aufhebung des Fraktionszwangs für die heutige Abstimmung. Zudem hat sie bereits angekündigt, die Reform des Abtreibungsgesetzes vor dem Obersten Gerichtshof anzufechten, sollte sie heute vom Parlament verabschiedet werden.

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