Vor dem SPD-Parteitag:Die Last des Sigmar Gabriel

Vor dem SPD-Parteitag: Der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel (Mitte).

Der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel (Mitte).

(Foto: AFP)

Die Delegierten auf dem SPD-Parteitag werden Sigmar Gabriel mit Sicherheit wieder zum Parteichef wählen. Doch ob er der Mann der sozialdemokratischen Zukunft wird, entscheidet sich damit nicht. Gabriels politisches Schicksal hängt am Mitgliedervotum zum Koalitionsvertrag.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Dieser Parteitag ist für die SPD eine Zumutung. Bis zum Donnerstag reisen Hunderte Genossen nach Leipzig, um auf dem Parteitag ihren Parteivorsitzenden im Amt zu bestätigen. Doch was aus Sigmar Gabriel in den kommenden Wochen noch werden wird, wissen sie nicht. Vizekanzler? Fraktionschef? Oder doch von den eigenen Leuten rasiert, weil die Mitglieder der SPD den von Gabriel zu verantwortenden Koalitionsvertrag mit CDU und CSU ablehnen?

Alles ist offen. Nur nicht, dass Gabriel die ganze Last der Verhandlungen tragen muss. Aber dazu später.

Seit bald vier Wochen ringen CDU, CSU und SPD miteinander. Um Formulierungen, um politische Positionen. Und irgendwie natürlich auch um Posten. Auch wenn das keiner offen sagt. Jeder Satz eines Thomas Oppermann, dem SPD-Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Innenpolitik, darf auch als Bewerbung für ein wichtiges Ministeramt verstanden werden. Jeder Eklat in den Arbeitsgruppen - bisher ausschließlich von der SPD-Seite provoziert - soll sagen: Seht her, wir kämpfen, wir machen es uns nicht leicht. Die SPD gibt es nicht zum Nulltarif.

Mal droht SPD-Vize Manuela Schwesig mit dem Ende aller Verhandlungen, weil die Unionseite die Ehe nicht vollständig für homosexuelle Paare öffnen will. Mal verlässt Bayern SPD-Landeschef Florian Pronold mit seinen Leuten die Arbeitsgruppe Verkehr, weil die andere Seite nicht über die Ausdehnung der Lkw-Maut auf Landstraßen reden will.

Misstrauen an der Basis

Um den Mindestlohn, das Betreuungsgeld oder Steuerhöhungen für Reiche ging es bei diesen Konflikten nicht. Der ein oder andere erinnert sich vielleicht: Das waren die drei Kern-Themen der völlig vermurksten Steinbrück-Kampagne der SPD zur Bundestagswahl.

Ein wenig Rabatz machen vor dem Parteitag, darum geht es gerade. Nur nicht den Eindruck vermitteln, als sei mit der Union ohnehin schon alles klar.

Das trifft die Grundstimmung in der Partei. Seit Jahren arbeiten sich Sozialdemokraten landauf landab vor allem an der Merkel-CDU ab. Die Kanzlerin hat die Konservativen zu einem schwer zu fassenden, herum mäandernden Hefeteig gemacht. Formlos, flexibel, kantenfrei. Wer dagegenstößt, wird weich abgefangen. Das muss jeden auf die Palme bringen, der es mit diesem Teig-Kloß mit Namen CDU aufnehmen will.

Auch Gabriel zog die Reißleine

Darum ist die Stimmung an der SPD-Basis alles andere entspannt. Misstrauisch wird alles beäugt, was aus den zwölf Arbeitsgruppen, den diversen Unterarbeitsgruppen und der großen Runde nach außen dringt. Da kann es auch schon mal sauer aufstoßen, wenn wie Mitte vergangener Woche SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles gemeinsam mit dem gelernten Sozen-Fresser Alexander Dobrindt, Generalsekretär der CSU, scherzend Seit´ an Seit´ gen Mikrofon schreitet.

Dabei legten die Verhandlungspartner zunächst ein zügiges Tempo vor. Einigung um Einigung wurde aus den Arbeitsgruppen bekannt. Mehr Geld für Straßen. Mehr Geld für Kinder. Mehr Geld für Studenten. Mehr Geld für den Wohnungsbau. Mehr Geld für Wissenschaft. Mehr Geld für den Ausbau des Internets. Im Geld ausgeben, so schien es, wird die angehende große Koalition einsame Spitze sein.

Dann die Reißleine, gezogen auch von Sigmar Gabriel. Obwohl die SPD gegen die vielen Ausgabenwünsche kaum etwas haben kann. Das muss ja alles irgendwie finanziert werden. Und weil die Union weder Steuerhöhungen für Reiche will, noch mehr Schulden machen möchte, soll sie erst einmal sagen, wo das Geld herkommen soll.

Gabriel aber weiß auch: Der Koalitionsvertrag, den er seinen Mitgliedern vorlegen wird, muss zwar klar erkennbar die Handschrift der SPD tragen. Ein gesetzlicher und flächendeckender Mindestlohn von 8,50 Euro wird da nicht reichen. Auf der anderen Seite muss die Umsetzung der Vorstellungen halbwegs solide finanziert sein, die Vereinbarung also auf vier Regierungsjahre angelegt sein. Dafür muss Gabriel der Union so konkret, wie es geht, Projekt um Projekt abtrotzen.

Die dicken Brocken kommen noch

Die FDP feierte sich 2009 noch dafür, alle ihre Wünsche gegen die Union durchgesetzt zu haben. In den Jahren danach wurde von den liberalen Plänen so gut wie nichts umgesetzt. Heute ist die FDP nicht mehr im Bundestag. Einen ähnlichen Absturz will Gabriel vermeiden.

Dass sich die SPD nach dem zweitschlechtesten Wahlergebnis in ihrer Geschichte in die Regierung retten kann, ist Gabriels Glück. Ohne diese Option müsste er jetzt Debatten über die Gründe für das Desaster führen, wenn er überhaupt noch als Parteichef antreten würde. Im Leitantrag, den die SPD-Spitze den Delegierten in Leipzig zur Abstimmung stellen will, ist jetzt von Fehleranalyse kaum etwas zu lesen.

Wer den zehnseitigen Entwurf liest, kann sich nur wundern, dass solch eine fantastische Partei die Bundestagswahl so deutlich verloren hat. Im Wahlkampf habe die SPD gezeigt, dass sie "eine klare Idee und Vision von einem solidarischen und starken Europa" habe, heißt es dort. Die SPD sei "die linke Reformpartei". Sie habe es "verstanden, machbare Politik in der Gegenwart und wünschenswerte Politik in der Zukunft positiv aufeinander zu beziehen". Solche Sätze stehen da. Nur hat ein beachtlicher Teil der Wähler das alles offenbar nicht verstanden.

Immerhin, die SPD will sich für die Bundestagswahl 2017 keinen Koalitionsoptionen mehr verschließen. Das ist zwar keine Einladung an die Linke, die in der SPD immer noch ihren ärgsten Gegner sieht. Aber eine Öffnung, eine Korrektur des bisherigen Abgrenzungskurses, der weder die SPD erkennbar gestärkt, noch die Linke erkennbar geschwächt hat. Ein entsprechender Passus soll noch in den Entwurf noch eingefügt werden.

Die Botschaft für Leipzig ist klar: Die SPD ist selbstbewusst, trotz des schwachen Wahlergebnisses von 25,7 Prozent, die ziemlich mickrig wirken im Vergleich zu den 41,5 Prozent von CDU und CSU. Wer den Eindruck hat, da pumpt sich jemand auf, um in den Koalitionsverhandlungen möglichst auf Augenhöhe mitreden zu können, obwohl er sich allerhöchstens auf Augenhöhe mit dem Bauchnabel des Gegenübers bewegt, der liegt wohl nicht ganz falsch.

Parteispitze auf Abruf

Das ist Gabriels Strategie. Noch funktioniert sie ganz gut. Doch die dicken Brocken kommen erst noch. Jede Arbeitsgruppe hat inzwischen mindestens ein Problem identifiziert, das sie nicht miteinander lösen kann. PKW-Maut, Mindestlohn, doppelte Staatsangehörigkeit, Homo-Ehe und natürlich alles was Geld kostet. Zusammengefasst in der so genannten und 52 Milliarden Euro teuren F-Liste - "F" steht für "Finanzierungsvorbehalt".

Womit wir wieder bei Gabriel wären. Ob die SPD-Mitglieder dem Koalitionsvertrag am Ende zustimmen können, hängt maßgeblich von seinem Verhandlungsgeschick ab. Final wird die Vereinbarung zwischen ihm, CSU-Chef Horst Seehofer und der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel verhandelt. Die drei müssen Lösungen finden. Vor allem Gabriel wird sie später verantworten müssen.

Merkel lässt den Koalitionsvertrag auf einem kleinen Parteitag absegnen. Seehofer wohl nur im Parteipräsidium. Gabriel fragt seine 470.000 Mitglieder. Wie die gerade ticken, weiß kein Mensch. Aber von ihnen hängt ab, ob Gabriel ein Mann der Zukunft ist. Oder politisch Geschichte.

Für die Delegierten des SPD-Parteitages heißt das nicht nur deshalb, sie wählen eine Parteispitze auf Abruf. Verändern wird sich kaum etwas. Gabriel bleibt Chef, Andrea Nahles seine Generalsekretärin. Sollte sie ins Kabinett wechseln, steht schon Ralf Stegner parat, der Landes-Chef der Schleswig-Holstein-SPD. Zumindest, wenn es nach ihm selbst geht.

Es wird noch öfter krachen

Schatzmeisterin bleibt Barbara Hendricks, sie könnte allerdings auch Finanzministerin werden. Hessens SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel soll Klaus Wowereit als stellvertretenden Parteivorsitzenden ablösen. Der Berliner will nicht mehr. Hannelore Kraft, Olaf Scholz, Manuela Schwesig und Aydan Özoguz wollen ihre Vize-Ämter behalten. Lehnt aber die SPD den möglichen Koalitionsvertrag ab, dann ist dies alles Makulatur. Dann kann sich keiner mehr seines Postens sicher sein.

Die SPD gibt sich zudem eine neue Partei-Struktur - oder eine alte, je nach Blickwinkel. Das Parteipräsidium soll wieder eingeführt werden. Das damals 17-köpfige Gremium war erst vor zwei Jahren abgeschafft worden. Es sei zu mächtig im Vergleich mit dem damals 45-köpfigen Parteivorstand, hieß es. Jetzt wird argumentiert, dass die Landesverbände damit wieder mehr Einfluss erhalten.

Am Samstag endet der Parteitag mit Gremienwahlen und einem Antrag zur Kommunalpolitik. Dann geht es zurück in die diversen Gesprächsrunden, auf die Zielgerade der Koalitionsverhandlungen. Bis Ende November soll der Koalitionsvertrag stehen.

Es wird bis dahin noch öfter sehr laut krachen. Und sei es nur, um den SPD-Mitgliedern zu zeigen, wie löwenhaft ihre Genossen in Berlin um jedes Komma kämpfen.

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