Vor dem Parteikonvent:SPD macht dicht

Die Genossen bleiben unter sich: Nicht einmal das Freihandelsabkommen TTIP wird beim SPD-Konvent am Samstag öffentlich diskutiert. Warum die Sozialdemokraten mehr Transparenz wagen müssen.

Ein Kommentar von Thorsten Denkler , Berlin

Es fällt schwer, das so aufschreiben zu müssen. Aber die SPD lässt kaum ein andere Wahl. Es gibt in Deutschland jetzt zwei Parteien, die programmatische Grundsatzentscheidungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit debattieren und beschließen. Die NPD. Und eben auch die SPD.

Seit dem Jahr 2011 treffen sich ein bis zweimal im Jahr 200 Delegierte der SPD meist in Berlin zu einem Parteikonvent. Dies ist das höchste beschlussfähige Gremium zwischen den Parteitagen. Daran ist an sich nichts Besonderes. Andere Parteien haben so etwas auch. In der CDU und in der Linken heißt das Bundesausschuss. Die Grünen nennen es Länderrat.

Sigmar Gabriel bei einer Pressekonferenz nach dem SPD-Parteikonvent im Oktober 2013

Die Presse kommt erst nach der Debatte: Sigmar Gabriel präsentiert im Oktober 2013 das Ergebnis des Parteikonvents im Willy-Brandt-Haus.

(Foto: Hannibal Hanschke/dpa)

Was aber den Parteikonvent der SPD zu etwas Außergewöhnlichem macht: Er tagt in der Regel unter Ausschluss der Öffentlichkeit. An diesem Samstag zum fünften Mal. In der Parteizentrale in Berlin werden die Delegierten dann über fundamentale Themen beraten und beschließen. Es geht etwa um die Haltung der Partei zum Freihandelsabkommen TTIP und die deutsche Außenpolitik, um Waffenlieferungen in den Irak, um Sanktionen gegen Russland. Kontroverse Themen also, die eine breite gesellschaftliche Debatte verdienen.

Nur der Werbeblock ist öffentlich

Die SPD schließt stattdessen die Öffentlichkeit aus. Oder, nein! Nicht ganz. Die Aussprache zum neuen Prestigeprojekt der SPD unter dem Titel "Digital Leben", die wird in einem Livestream gezeigt. Und natürlich werden die Ergebnisse des Konventes im Anschluss auf einer Pressekonferenz kundgetan.

Der Werbeblock ist also öffentlich. Gehör findet vor allem der Parteivorsitzende. Wo es aber kontrovers werden könnte, bleiben die Genossen lieber unter sich. Das ist schon ein merkwürdiges Demokratieverständnis, das sich da auftut.

Im Grundgesetz steht: "Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit." Das kann nur eingeschränkt funktionieren, wenn wesentliche Willensbildungsprozesse in der Partei intransparent bleiben.

In der Satzung der SPD steht nichts davon, dass der Konvent hinter verschlossenen Türen zu tagen hat. Da heißt es lediglich, der Konvent "kann auf Antrag die nichtöffentliche Tagung beschließen". So eine Kann-Bestimmung kennen auch die Grünen. In deren Satzung heißt es, der "Länderrat tagt in der Regel öffentlich; er kann die Öffentlichkeit mit einfacher Mehrheit ausschließen".

Funktionäre wollen nicht gestört werden

Der Unterschied ist: Die Grünen haben davon bisher keinen Gebrauch gemacht. Das Thema konnte noch so umstritten sein, debattiert wurde immer vor Presse und Publikum. Von den bisher vier Parteikonventen der SPD war dagegen nur einer öffentlich. Nämlich der, auf dem Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sich die Tränen wegdrücken musste, weil seine Frau ihn so schön unterstützt hat. Die Bilder waren wichtig für den Wahlkampf.

Es soll der Wunsch der Funktionäre gewesen sein, dass es einen geschlossenen Raum für Debatten geben müsse, heißt es in der SPD. Ohne störende Presse. Vor dem Parteikonvent habe es nämlich den viel kleineren Parteirat dafür gegeben. Der wurde aber im Rahmen der Parteireform abgeschafft.

Nichts gegen geschlossene Debattenräume. Auf kleinen Parteitagen aber werden politische Grundsatzfragen nicht nur debattiert sondern entschieden. Im Parteirat konnten sich die Mitglieder vielleicht hemmungslos fetzen. Er war als Auskotz-Gremium berüchtigt. Aber programmatische Entscheidungen fielen dort praktisch keine.

Besonders absurd erscheint dies alles mit Blick auf die Debatte um das hoch umstrittene Freihandelsabkommen TTIP.

Die Partei verspielt ihre Glaubwürdigkeit

Ist nicht einer der wichtigsten Kritikpunkte am TTIP der völlig intransparente Verhandlungsprozess? Wenn die SPD nicht mal dazu eine öffentliche Debatte auf ihrem Parteikonvent zulässt, dann verliert sie bei diesem Thema erheblich an Glaubwürdigkeit.

Apropos Antragsbuch: Auch so ein Ärgernis. Wer das Antragsbuch zum Konvent am Samstag herunterladen möchte, muss erst auf SPD.de gehen, dort unter Aktuelles auf Termine klicken. Dort in der Kalenderansicht unter Samstag, 11 Uhr, den Parteikonvent finden, die folgende Seite ganz nach unten scrollen und dann auf den Link für das Antragsbuch klicken. (Etwas schneller geht es hier.) Wozu ein Konvent, wenn die Inhalte dazu derart versteckt werden?

Jetzt wird entgegnet, die Debatten seien fruchtbarer, wenn die Presse nicht dabei ist. Weniger hysterisch würde es dann zugehen, sachlicher, offener. Was für ein Armutszeugnis ist das, wenn in einer Partei eine Debattenkultur befördert wird, die das offene, sachliche und unhysterische Wort nur zulässt, wenn keine Journalisten im Raum sind?

Es gibt in den Parteien viele Orte, in denen Politik hinter verschlossenen Türen verhandelt wird: Präsidium, erweitertes Präsidium, Parteivorstand und so weiter. Dazu kommen noch die nichtöffentlichen Fraktionssitzungen, die nichtöffentlichen Klausurtagungen, die nichtöffentlichen Nebenzimmerrunden.

Wähler und Parteimitglieder haben ein Recht auf Offenheit

Bitte richtig verstehen: Nicht jede Frage kann unter medialer Beobachtung diskutiert werden. Absprachen, Verhandlungsstrategien, Personalentscheidungen - es wäre blauäugig zu glauben, all dies ließe sich entspannt und schadlos in der Öffentlichkeit debattieren.

Aber Grundsatzfragen der Politik müssen bei eingeschaltetem Licht und offenen Fenstern verhandelt werden. Sei es die Haltung einer Partei zu einem Freihandelsabkommen. Oder zu Waffenlieferungen in den Irak und Sanktionen gegen Russland. Demokratie lebt vom Widerstreit der bitte öffentlich auszutauschenden Argumente. Die Parteien haben da eine besondere Verpflichtung. Sie bekommen viel Geld vom Staat, um die Willensbildung zu organisieren. Fast 50 Millionen Euro hat die SPD 2013 bekommen. Steuerzahler, Wähler und die mehr als 470 000 Mitglieder der SPD sollten deshalb miterleben dürfen, was wie in der Partei diskutiert wird.

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