Vor dem FDP-Parteitag:Florett-Lindner gegen die Macheten-Männer

Christian Lindner

Christian Lindner will die FDP sympathischer machen.

(Foto: dpa)

Die FDP soll sympathischer werden, so will es der designierte Parteichef Christian Lindner. Doch sein softer Kurs passt einigen Liberalen gar nicht. Ob Lindner bis zur Bundestagswahl 2017 an der FDP-Spitze durchhält, ist deswegen fraglich.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Gerät ein Flugzeug ins Trudeln, hat das meist einen schlichten Grund: den Strömungsabriss einer Tragfläche. Wenn kein Wind mehr unter einem der beiden Flügel ist, schießt das Flugzeug in steilem Sturzflug in Schraubenlinien nach unten.

In dieser Situation befindet sich die FDP gerade. Und mittendrin will sich Christian Lindner, 34 Jahre alt und NRW-Fraktionschef seiner Partei, hinter das Steuer klemmen, auf dem Sonderparteitag der Liberalen in Berlin an diesem Wochenende.

Seit die Partei nach der Bundestagswahl aus dem Parlament geflogen ist, trudelt die schon arg lädierte Maschine Richtung Boden. Mit 14,6 Prozent hat die FDP unter Guido Westerwelle 2009 noch einen irren Höhenflug erlebt. Seitdem ging jedoch Wahl um Wahl verloren, Parlament um Parlament mussten die Liberalen räumen.

Mit den 4,8 Prozent aus der Bundestagwahl passierte schließlich das, was kaum einer für möglich gehalten hatte: Strömungsabriss auf einem Flügel. Die Partei steht noch mehr oder weniger. Aber die Bundestagsfraktion ist weg.

FDP im Sturzflug

Es gibt ein Standardprogramm für Flugzeugpiloten, das Trudeln wieder abzufangen. Schritt eins: Motor in den Leerlauf. Schritt zwei: Querruder auf Neutral. Schritt drei: Seitenruder entgegen der Drehrichtung ausschlagen lassen. Schritt vier: Pause. Schritt fünf: Höhenruder nach vorne drücken. Schritt sechs: wenn die Strömung wieder anliegt, alle Ruder auf neutral und den Sturzflug weich abfangen.

Kein leichtes Manöver. Für Christian Lindner aber ist die Mission noch schwieriger. Schon Schritt eins - Motor in den Leerlauf - kann er vergessen. Was die Partei von ihm erwartet, ist volle Motorenleistung. Noch glaubt eine Mehrheit, dass er das schaffen kann. Im Auftrag des Stern haben sich die Meinungsforscher von Forsa umgehört. Von den wenigen verbliebenen FDP-Wählern zeigten sich 86 Prozent überzeugt, dass Lindner die Partei aus der Krise führen kann.

Unumstritten ist er in der Partei aber keineswegs. Als Westerwelle im Frühjahr 2011 aus dem Amt geputscht wurde, da haben viele ihre Augen voller Hoffnung auf den jungen Lindner gerichtet. Der aber bekam Bammel und schickte gemeinsam mit Daniel Bahr und anderen den nur wenig älteren Philipp Rösler vor. Wenige Monate später, kurz vor Weihnachten 2011, trat Lindner überraschend als Generalsekretär zurück. Er hat sich mit Rösler nicht verstanden. Viele haben das als Fahnenflucht empfunden. Erst sein nicht minder überraschender Wahlsieg in Nordrhein-Westfalen im Mai 2012 rehabilitierte ihn in den Augen einiger Kritiker.

Rösler lieferte nicht

Dennoch: Rösler als Parteichef, das war auch Lindners Idee. Die Vorschusslorbeeren für den Niedersachsen waren damals ähnlich groß wie jetzt für Lindner.

Rösler hatte auf dem Rostocker Parteitag im Mai 2011 prompt versprochen zu liefern. Tat es aber nicht. Weder politisch (Steuersenkungen gab es nicht), noch was die Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern anging.

Vier von fünf Landtagswahlen hatte die FDP bis dahin krachend verloren. Alle gingen noch auf die Kappe von Westerwelle. Dass die FDP dann im September auch die Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern in der außerparlamentarischen Opposition beendete, ging schon voll auf das Konto von Rösler. Röslers Flieger war, um im Bild zu bleiben, schon im unkontrollierten Sinkflug, bevor er sich überhaupt richtig anschnallen konnte.

Jeder Wahltag eine Schicksalswahl

Lindner kann es nun ganz ähnlich ergehen. Im Mai schon steht der Superwahltag an. Mit der Europawahl und Kommunalwahlen in Baden-Württemberg, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Es folgen Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen.

Jeder Wahltag dürfte auch eine Schicksalswahl für Christian Lindner werden. Vor allem weil er sich vorgenommen hat, mit der FDP nicht in Radikalopposition zu gehen. Er will einiges anders machen, als manche von einer Oppositionspartei erwarten, die nicht im Bundestag sitzt. Lindner will seriös bleiben, die FDP strikt auf Pro-Europa-Kurs halten und die in vier Jahren schwarz-gelber Koalition gefassten Euro-Rettungsbeschlüsse nicht in Frage stellen. Die FDP will er sympathischer machen. "Wir sind keine Kapitalisten", ist sein neues Credo, vorgetragen diese Woche in der SZ.

Kein leichter Weg. Denn die Berichterstattung wird massiv abnehmen. Aus der öffentlichen Wahrnehmung wird die Partei so gut wie verschwinden. Wer da nicht wirklich Sensationelles zu bieten hat, bekommt keine Bühne. Oder, wie es der streitbare Noch-Bundes-Vize Holger Zastrow aus Sachsen kürzlich sagte: "Apo ist Machete statt Florett, Stammtisch statt Talkshow und Straße statt Feuilleton."

Eher Feuilleton als Straße

Damit hat er zugleich die aus seiner Sicht größten Schwachstellen Lindners beschrieben: Der ist Florett statt Machete, Talkshow statt Stammtisch und Feuilleton statt Straße.

Dagegen steht Frank Schäffler, der Euro-Rebell, der die Partei mit einem Mitgliederentscheid über die Euro-Rettungspolitik 2011 in eine schwere Krise stürzte. In der Bundestagsfraktion vertrat er eine absolute Minderheitenposition. Jetzt will er ins Parteipräsidium. Zastrow unterstützt ihn. Lindner will ihn da nicht haben.

Schäffler ist Lindner deswegen bereits frontal angegangen: "Ich habe Lindner die Hand zur Zusammenarbeit gereicht, aber er hat brüsk abgelehnt." Lindner kann ihn jetzt nur noch selbst zur Wahl vorschlagen oder das Risiko eingehen, dass Schäffler auf dem Parteitag eine Mehrheit bekommt. Dann ist Lindner bereits am ersten Tag seiner Amtszeit schwer beschädigt.

Gerade zur Europawahl wird sich zeigen, ob Lindners softe Strategie aufgeht. Es gilt zwar anders als zur Bundestagswahl nur eine Drei-Prozent-Hürde. Aber der kommt die FDP schon jetzt gefährlich nahe. Bei drei bis 3,5 Prozent liegt die FDP derzeit in Umfragen. Verpasst die FDP den Einzug in das europäische Parlament, wird es umgehend auch für Lindner eng.

Lindner will sich nicht beeindrucken lassen

Die zehn Kommunalwahlen sind nicht von minder schwerem Gewicht. Zwar gibt es in fast keinem Bundesland mehr eine prozentuale Sperrhürde auf kommunaler Ebene. Aber faktisch muss eine Partei schon auf mindestens zwei Prozent kommen, um sich rechnerisch ein Mandat in einem Gemeinderat zu verdienen. Das ist inzwischen für die FDP mancherorts eine echte Herausforderung. Bricht ihr der kommunale Unterbau weg, wird es für Lindner noch schwerer, die potentiellen FDP-Wähler zur nächsten Bundestagswahl zu mobilisieren.

Richtig hart wird es, wenn die FDP auch aus dem sächsischen Landtag fliegt. Landeschef Zastrow will dort einen eigenständigen Kurs der klaren Kante fahren. Erkennbar abgekoppelt von der Bundes-FDP. Klappt nicht mal ein populistischer Macheten-Wahlkampf nach Art von Zastrow, steht die Partei auch strategisch vor einem Scherbenhaufen. In Sachsen-Anhalt ist die FDP ohnehin nicht im Landtag vertreten.

Lindner will sich von alledem nicht beeindrucken lassen. "Für mich ist die Bundestagswahl 2017 die entscheidende Station", sagt er dem Spiegel Ende September. "Bis dahin sind es nur Zwischenziele. Daran will ich mich messen lassen."

Gewagt. Nach den bisherigen Erfahrungen ist die Geduld der Partei in Machtfragen nur sehr begrenzt. Zastrow ist zwar nicht die FDP. Aber er spricht aus, was nicht wenige in der Partei denken: "Also, ich finde: Das ist ganz schön viel Einarbeitungszeit." Ein vorheriger Absturz Lindners ist also alles andere als ausgeschlossen.

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