Als hätte sie mit der Schuldenkrise in der Euro-Zone nicht schon genug Sorgen, muss die EU sich auch den Kopf über die Umbrüche in der arabischen Welt zerbrechen. Jenseits der kollektiven Freude über die demokratischen Aufbrüche ist es nämlich für die Europäer nicht so einfach, eine gemeinsame Position zu finden.
Über das Eingreifen in Libyen etwa zerstritt sich Deutschland mit Paris und London. Und seit die Nato erklärt hat, dass sie sich nach Erfüllung ihrer militärischen Aufgabe aus Libyen zurückziehen wird, richten sich alle Augen auf die Europäer. Sie werden übernehmen müssen - nicht nur wirtschaftlich und politisch, wie in Ägypten oder Tunesien, sondern in Fällen wie Libyen notfalls auch militärisch.
Dass es nicht leicht sein wird, eine wirkungsvolle und langfristige, gemeinsame Strategie für den arabischen Raum zu finden, zeigte sich schon daran, wie zäh um die Sanktionen gegen Syrien gerungen werden musste. Es gibt in Europa eben immer noch sehr unterschiedliche, durch die koloniale Vergangenheit geprägte Blicke auf seine südliche Nachbarschaft.
Wenn sich die Staats- und Regierungschefs der EU auf ihrem Gipfel am Donnerstag mit dem arabischen Frühling beschäftigen, dann werden sie wohl eine Grundsatzdebatte vermeiden. Sie werden die arabische Welt vielmehr mit Geld und Projekten locken, den Pfad der Demokratie zu gehen. Das dafür von der europäischen Außenministerin Catherine Ashton und dem Kommissar für Nachbarschaftspolitik, Stefan Füle, vorgelegte Programm wird der Gipfel wohl abnicken.
Nun hat es auch schon vorher geldschwere Programme für die Staaten Nordafrikas gegeben. Um sich aber nie mehr schelten lassen zu müssen, Diktatoren gestützt zu haben, wollen Ashton und Füle jetzt eine an Werten orientierte Nachbarschaftspolitik betreiben. Eine, die sich auf Werte wie "Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte" stützt. Und eine, die zwischen den Guten und den weniger Guten unterscheidet nach dem pädagogischen Prinzip von Belohnen und Bestrafen. Ashton nennt das "more for more". Was heißen soll, dass diejenigen, die den demokratischen Pfad schneller und entschiedener betreten als andere, auch mehr Hilfe bekommen sollen.
Zum Angebotspaket der EU gehören neben direkter wirtschaftlicher Hilfe und Unterstützung beim Aufbau rechtsstaatlicher Verwaltungen auch die Verlockungen von "umfassenden Freihandelszonen" und von einer Liberalisierung der Visa-Erteilung für die Einreise in den Schengen-Raum.
Außerdem will die EU nicht nur mit staatlichen Stellen zusammenarbeiten, sondern auch mit der "Zivilgesellschaft" und mit Nicht-Regierungsorganisationen. Diesen Weg hatte die EU vor einigen Jahren schon einmal in Weißrussland ausprobiert, allerdings ohne Erfolg. Die Sanktionen gegen Minsk mussten gerade wieder verschärft werden.
So sehr sich die Mitgliedsländer nach der arabischen Erfahrung einig sind, dass Hilfen zukünftig stärker an Bedingungen geknüpft werden sollen, so wenig weiß man in Brüssel eine Antwort darauf, wie die Methode, die Guten zu belohnen, praktiziert werden kann. Unter Diplomaten mag man sich kaum vorstellen, dass Ashton und Füle jährlich eine Liste mit Aufsteigern und Absteigern zusammenstellen könnten.
Politisch wäre das schwierig. Zumal die Europäische Union bei der Bewertung ihrer Beziehungen zu einem arabischen Land auch noch andere Dinge bedenken muss - nicht zuletzt die Frage, welche Rolle ein Land wie Ägypten für den Friedensprozess im Nahen Osten spielt und wie man es dafür bei Laune halten kann.