Volkszählung in den USA:Eine einzige Frage mit enormem Sprengpotenzial

FILE PHOTO: Immigration ceremony in Los Angeles for new United States citizens

In vielen Ländern ist die Frage nach der Nationalität im Zensus normal. In den USA aber gibt es Vorbehalte – weshalb nun heftig debattiert wird.

(Foto: Mike Blake/Reuters)
  • Das für die Volksbefragung zuständige US-Handelsministerium hat beschlossen, beim nächsten Zensus 2020 wieder nach der Staatsangehörigkeit zu fragen.
  • Demokratische Politiker werfen der Trump-Regierung nun vor, Migranten ohne gültige Aufenthaltspapiere einschüchtern zu wollen - und kündigen Klagen an.
  • Der Zensus hat enorme Bedeutung: Aus seinen Daten wird errechnet, wie viele Abgeordnete ein Bundesstaat in den Kongress entsendet und wie viel Geld sie erhalten.

Von Alan Cassidy, Washington

Zu den vielen Themen in Amerika, die derzeit politisch aufgeladen sind, ist nun ein neues hinzugekommen: der Zensus. Alle zehn Jahre verschickt die Bundesregierung in Washington einen Fragebogen an die Haushalte des Landes. Die nächste Erhebung ist für 2020 geplant. Damit ermittelt sie die Anzahl der Einwohner, aber eben nicht nur das: Der Zensus dient als Grundlage für die regelmäßige Überprüfung der Wahlkreise. Auch die Zuweisung von Bundesgeldern an die Gliedstaaten stützt sich auf die Haushaltszählung.

Diese Woche gab das zuständige Handelsministerium bekannt, im nächsten, für das Jahr 2020 vorgesehenen Zensus eine neue Frage einzubauen: jene nach der Staatsbürgerschaft. In vielen Ländern ist das unumstritten. Im Zensus der deutschen Bundesregierung von 2011 fand sich eine entsprechende Frage gleich zu Beginn. In den USA aber hat die Maßnahme Aufregung ausgelöst, weil sie die politische Landschaft nachhaltig verändern könnte. Eine Reihe von zumeist demokratisch regierten Bundesstaaten, darunter Kalifornien und New York, haben angekündigt, dagegen zu klagen. Sie sehen hinter der neuen Erhebungsmethode ein politisches Manöver der Regierung von Präsident Donald Trump.

Illegale Einwanderer werden den Fragebogen wohl nicht ausfüllen - das verfälscht das Ergebnis

Vermutet wird, dass besonders Einwanderer ohne gültige Aufenthaltspapiere den Fragebogen nicht ausfüllen werden, weil sie befürchten, dass ihre Daten an die Migrationsbehörden weitergegeben werden - und dass ihnen dann die Abschiebung drohen würde. "Ich würde darauf niemals antworten, ich habe keine gültigen Papiere", sagte eine Frau aus Guatemala der New York Times. Auch legale Einwanderer würden sich zweimal überlegen, ihre Daten an die Regierung weiterzugeben, sagte eine Sprecherin der Organisation National Immigration Forum. Dafür seien das Misstrauen und die Angst zu groß.

Nach Schätzungen des Pew-Instituts leben in den USA rund 22 Millionen Einwanderer, die keine US-amerikanische Staatsbürgerschaft haben. Gut die Hälfte davon besitzt keine gültigen Aufenthaltspapiere. Sollten sich viele dieser Einwohner nicht am Zensus beteiligen, würde das zu gröberen Verzerrungen in der Haushaltserhebung führen. Bundesstaaten wie Kalifornien, in denen Einwanderer einen großen Anteil an der Bevölkerung ausmachen, könnten dann Sitze im Kongress verlieren - was politisch zulasten der Demokraten ginge.

Das Vorgehen der Trump-Regierung sei verfassungswidrig, schreibt der kalifornische Generalstaatsanwalt Xavier Becerra in seiner Klage gegen die Entscheidung. Mit ihrem "willkürlichen" Akt unterlaufe die Regierung die Auflage, alle Bewohner des Landes zu erfassen. Maura Healey, Generalstaatsanwältin von Massachusetts, sprach von einem "durchsichtigen und illegalen Versuch" der Regierung, den Zensus für ihre politischen Ziele zu kapern.

In der Haushaltsbefragung werden die Amerikaner regelmäßig nach ihrer ethnischen Zugehörigkeit gefragt. Die Staatsangehörigkeit wurde jedoch letztmals im Jahr 1950 erhoben. Es gehe darum, möglichst genaue Daten zu erhalten, um gegen Wahlbetrug vorgehen zu können, verteidigten Regierungsvertreter die Maßnahme. Nach einem Bericht der Recherche-Plattform Pro Publica hatten sich Beamte der Zensusbehörde gegen den Schritt gewehrt. Der Beschluss sei nach einer Intervention des Justizministeriums gefallen.

Ob die Teilnahme der Einwanderer am Zensus tatsächlich zurückgehen würde, ist umstritten. US-Handelsminister Wilbur Ross verwies darauf, dass die Staatsbürgerschaft in anderen Umfragen schon länger erhoben werde. Dort habe man keine geringere Beteiligung festgestellt. Diese Umfragen gehen allerdings jeweils nicht an alle Einwohner des Landes. Zudem gibt es für die Skepsis der Einwanderer historische Gründe. Während des Zweiten Weltkriegs lieferte die Zensurbehörde die Namen und Adressen von Einwohnern mit japanischen Wurzeln an die Geheimdienste. Nach dem Angriff auf Pearl Harbor schickte sie die Daten von japanischstämmigen Amerikanern auch noch an die Armee. Tausende von ihnen landeten in Internierungslagern.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: