Volksabstimmung in der Schweiz:Gewehr im Kleiderschrank

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In der Schweiz dürfen Armeeangehörige ihre Waffe mit nach Hause nehmen, obwohl es dafür keine rationalen Gründe gibt. Ein Referendum könnte am Sonntag den Mythos der Eidgenossen beenden - doch die Gegner der Kampagne holen auf.

Thomas Kirchner

Wenn es darum geht, Emotionen bei den Wählern zu wecken, haben in der Schweiz meist die Rechten die Nase vorn. Man denke an die Wahlplakate, auf denen Minarette wie Mittelstrecken-Raketen in den Himmel ragen oder weiße Schafe einen schwarzen, also ausländischen Artgenossen aus dem Land kicken. Diesmal ist es die andere Seite, die ein Anliegen geschickt illustriert. Ein umgekippter Teddybär mit blutigem Einschussloch in der Brust: So werben Sozialdemokraten und Grüne für ihre Initiative zum Schutz vor Waffengewalt, über die am Sonntag abgestimmt wird.

Sozialdemokraten und Grüne werben in der Schweiz mit einem umgekippten Teddybären mit Einschussloch für ihre Initiative zum Schutz vor Waffengewalt. (Foto: www.schutz-vor-waffengewalt.ch)

Die Linke will endlich eine Schweizer Besonderheit abschaffen, die im Ausland auf Kopfschütteln stößt: Aktive oder ehemalige Armeeangehörige dürfen ihre Waffe mit nach Hause nehmen. Mehr als zwei Millionen Schusswaffen gibt es in der Schweiz, eine in jedem dritten Haushalt, etwa die Hälfte stammt aus Armeebeständen. Ein Sicherheitsrisiko, meinen die Initianten. "Schon die Drohung mit der Waffe im Schrank kann Familien das Leben zur Hölle machen." Je leichter Waffen verfügbar seien, desto häufiger würden sie im Affekt bei Streitereien und Selbstmorden eingesetzt.

Verlässliche Zahlen liegen dazu nicht vor. Aber der Zusammenhang sei durch viele Studien auch im Ausland erhärtet, sagt Jacques de Haller, Präsident der Schweizer Ärzte-Verbindung: "Bei Annahme der Initiative könnten wir die Suizide um ein Drittel reduzieren und pro Jahr 100 Menschenleben retten." Gefordert wird deshalb, alle Militärwaffen im Zeughaus zu lagern, ein eidgenössisches Waffenregister zu schaffen und von Waffenbesitzern einen Bedarfs- und Fähigkeitsnachweis zu verlangen.

Und der Teddybär wirkt offenbar. Vor allem dank der Frauen, die am stärksten von häuslicher Gewalt betroffen sind, liegt die Initiative gut im Rennen. Laut der jüngsten Umfrage wollen 47 Prozent der Bürger mit Ja, 45 mit Nein stimmen. Allerdings ist die Zahl der Jastimmen in den vergangenen Wochen deutlich gesunken, auch dank der lautstarken Gegenkampagne.

Diverse Schützen-, Jäger- und Waffensammler-Gruppen, aber auch die Offiziersgesellschaft haben mit rechtskonservativen Kreisen ein Bündnis gebildet, das auch die Regierung und die Mehrheit des Parlaments hinter sich weiß. Ihrer Ansicht nach ist die Waffeninitiative sinnlos, weil sie Unerreichbares verspreche. Wer Gewalt ausüben oder sich umbringen wolle, finde immer einen Weg. Außerdem würden die kantonalen Waffenregister bald verlinkt, und schon 2007 habe das Parlament beschlossen, den Wehrleuten die Taschenmunition wegzunehmen. Wer will, kann seine Dienstwaffe inzwischen freiwillig ins Zeughaus bringen.

Das Gewehr im Keller (oder im Kleiderschrank) sollte es dem Soldaten ursprünglich erleichtern, sich im plötzlichen Verteidigungsfall zum Sammelplatz seiner Einheit durchzukämpfen. Aber eine solche Mobilmachung mit dem Feind im Nacken ist spätestens seit Ende des Kalten Krieges obsolet. Die persönliche Waffe, ist nur noch ein Symbol des Sonderfalls Schweiz. Und ein Mythos.

Volksbewaffnung als Garant der Unabhängigkeit

Denn zu Waffen haben die Schweizer aus geschichtlichen Gründen eine besondere Beziehung. Glaubt man dem Historischen Lexikon der Schweiz, war es das Waffenrecht, das die rechtliche Sonderentwicklung der frühen Eidgenossenschaft im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation bewirkte. Denn während in Resteuropa der berittene Adel immer stärker dominierte, zählten die Urkantone auf bewaffnete Bürger und Bauern. In der Folge wurde die Volksbewaffnung zum Garanten der eidgenössischen Unabhängigkeit, siehe Wilhelm Tell. Deshalb marschieren die Männer jährlich auf den Schießplatz, um beim "Obligatorischen" ihre Treffer-Qualitäten mit dem Sturmgewehr 90 unter Beweis zu stellen.

Diese Kultur sei in Gefahr, würde die Initiative angenommen, klagt Verteidigungsminister Ueli Maurer. Ohne die persönliche, auf das eigene Auge eingestellte Waffe hätten die Übungen keinen Sinn. Viel schlimmer aber sei, dass der Staat seinen Soldaten mit dem Gewehr auch das Vertrauen entziehe - ein "staatspolitischer Sündenfall".

In Wahrheit, sekundieren Maurers Kollegen von der Schweizerischen Volkspartei, gehe es wieder einmal darum, die Schweizer Armee abzuschaffen. Diese steckt in einer tiefen Sinnkrise, die allerdings nichts mit der Frage zu tun hat, ob die Waffen nun im Keller oder im Zeughaus gelagert werden. Vielmehr scheitert ein Verteidigungsminister nach dem anderen an der Aufgabe, der mit knapp 200.000 Mann noch immer weit überdimensionierten Truppe ein Leitbild für das 21. Jahrhundert zu geben.

Aufgebaut und ausgerüstet ist sie für den klassischen Verteidigungsfall, nicht für den schnellen Auslandseinsatz. Und wenn Schweizer Soldaten doch einmal ins Ausland geschickt werden, müssen sie nicht schießen.

© SZ vom 10.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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