Volk ohne Staat:Ein Traum von Kurdistan

Volk ohne Staat: Eine Angehörige der kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG in der syrischen Stadt Hasaka, die hier nach Kämpfern des IS suchen

Eine Angehörige der kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG in der syrischen Stadt Hasaka, die hier nach Kämpfern des IS suchen

(Foto: AFP)
  • Die Kurden werden in der Türkei, in Syrien und in Iran noch immer kulturell unterdrückt.
  • Als Verbündete der USA gegen Saddam Hussein gewannen sie im Irak zumindest weitgehende Autonomie.
  • Nun treten PKK und andere bewaffente Gruppen als Kämpfer gegen den "Islamischen Staat" auf. Doch von vielen werden sie weiterhin als Terroristen betrachtet.

Von Markus C. Schulte von Drach

Im Kampf gegen den "Islamischen Staat" sind die Kurden Verbündete des Westens, in Syrien stehen sie eher auf Seite des Diktators Assad. Das Nato-Mitglied Türkei bekämpft die kurdischen Kämpfer als Terroristen. Und im Irak haben die USA ihre schützende Hand über die Kurden gehalten. Wie ist es zu dieser Situation gekommen?

Die Kurden sind eine Volksgruppe mit eigener Sprache mit mehreren Dialekten und eigenen Bräuchen. Sie bekennen sich überwiegend zum sunnitischen Islam, es gibt jedoch auch schiitische Muslime, Jesiden, Aleviten und assyrische Christen unter ihnen.

Für die kurdischen Siedlungsgebiete gibt es keine klaren Grenzen, es gehören Regionen im Südosten der Türkei, im Norden Syriens und des Irak sowie im Westen Irans dazu, in denen insgesamt etwa 30 Millionen Kurden leben. Dazu kommen noch wenige Zehntausend Kurden in Armenien.

Bei der Gründung der Staaten im Nahen Osten nach dem Ende des Osmanischen Reiches wurde den Kurden nach dem Ersten Weltkrieg kein unabhängiges Kurdistan zugestanden. Seitdem kämpfen viele Kurden für einen eigenen Staat oder wenigstens mehr Autonomie in ihren Gebieten. Vor allem gegen die jeweiligen Sicherheitskräfte der Regierungen. Häufig aber auch gegeneinander.

Die Kurden in der Türkei

In der Türkei leben etwa 15 Millionen Kurden vor allem im Südosten des Landes. Sie wurden lange Zeit nicht als ethnische Minderheit akzeptiert, der offizielle Gebrauch ihrer Sprache war verboten. Nach einer Reihe von Aufständen gegen die türkische Unterdrückung ihrer Kultur gründete Abdullah Öcalan 1978 die Kurdische Arbeiterpartei PKK als marxistisch-leninistisch orientierte Guerillabewegung.

Nach dem Militärputsch 1980 wurde die PKK aus der Türkei vertrieben, viele Mitglieder flohen in den Libanon. Seit 1984 kämpft die PKK mit Waffengewalt gegen türkische Sicherheitskräfte mit dem Ziel, wenn schon nicht einen eigenen Staat, dann zumindest mehr Autonomie zu erzwingen. Bei Gefechten mit Polizei und Armee und durch Anschläge starben Zehntausende Menschen, darunter viele Zivilisten. In der EU und den USA gilt die PKK als Terrororganisation.

1999 wurde Abdullah Öcalan gefasst und zum Tode verurteilt, 2002 wurde das Urteil in lebenslange Haft umgewandelt. Seit 2012 fanden Friedensverhandlungen zwischen der türkischen Regierung und der PKK statt, 2013 verkündete Öcalan eine Waffenruhe und den Rückzug der PKK-Kämpfer aus der Türkei. Der damalige Premierminister und heutige Präsident Recep Tayyip Erdoğan räumte den Kurden daraufhin mehr kulturelle Rechte ein.

Wegen der Haltung der Türkei gegenüber dem "Islamischen Staat", der die Kurden in Syrien und dem Irak bekämpft, ist es jüngst jedoch erneut zu heftigen Spannungen gekommen. Nach dem Anschlag auf die türkische, mehrheitlich von Kurden bewohnte Stadt Suruç am 20. Juli 2015 warfen Kurden der Regierung in Ankara vor, die Terrormilizen des IS gewähren zu lassen oder sie sogar heimlich zu unterstützen. Die PKK tötete zwei türkische Polizisten, die angeblich mit dem IS zusammengearbeitet hatten.

Solidaritäts-Demonstration

In Berlin fordern Demonstranten am Samstag Freiheit für Abdullah Öcalan.

(Foto: dpa)

In der Türkei wurden daraufhin etliche Kurden als Sympathisanten der PKK festgenommen, Stützpunkte der kurdischen Kämpfer im Nordirak wurden von der türkischen Luftwaffe bombardiert. Die PKK hat den den Waffenstillstand mit der Türkei nun aufgekündigt.

Auch Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hat den Friedensprozess mit den Kurden nun offiziell abgebrochen. Seine Ankündigung, Politiker, die mit terroristischen Gruppen in Verbindung stehen, sollten juristisch belangt werden, zielt vermutlich auf die prokurdische "Demokratische Partei der Völker", HDP.

Die Partei ist gegenwärtig die wichtigste Stimme der Kurden in der Türkei. Trotz ihrer mutmaßlichen Nähe zur PKK ist sie 2015 mit mehr als 13 Prozent der Wählerstimmen ins Parlament eingezogen.

Die Kurden wurden in der Türkei seit den 90er Jahren von verschiedenen Parteien vertreten, von denen einige der PKK mehr oder weniger nahestanden - und immer wieder verboten wurden.

Die Kurden im Irak

Im Nordirak leben etwa fünf Millionen Kurden in der Autonomen Region Kurdistan, wo sie über eine eigene Regierung in der Hauptstadt Erbil verfügt sowie eigene Streitkräfte besitzen, die sogenannten Peschmerga. Autonom ist die Region seit einem erfolgreichen Aufstand gegen das irakische Regime von Saddam Hussein 1991. Zuvor waren Aufstände gegen die Regierung in Bagdad gescheitert. 1988 war die irakische Armee sogar mit Giftgas gegen die Kurden vorgegangen.

1991 hatten die USA, Großbritannien und die Türkei die Kurden mit einer Flugverbotszone über der Region unterstützt. Danach kämpften zwei kurdische Parteien, die "Patriotische Union Kurdistan" (PUK) und die "Demokratische Partei Kurdistans" (PDK), um die Macht. Der blutige Konflikt zwischen den irakischen Kurden konnte erst 1998 beigelegt werden. Die irakischen Kurden unterstützten die alliierten Soldaten im dritten Golfkrieg 2003 und gelten seitdem als Verbündete der USA. Zurzeit kämpfen die kurdischen Milizen, die Peschmerga, im Süden ihrer Region gegen die Terrormilizen des Islamischen Staates. Mit Dschalal Talabani stellten die Kurden bis 2014 den Staatspräsidenten des Irak.

Als Zweig der PKK im Irak gilt die "Partei für eine politische Lösung in Kurdistan", PÇDK, die jedoch kaum eine Rolle spielt. Allerdings verfügt die türkische PKK über Stützpunkte im Nordirak, die vom türkischen Militär immer wieder angegriffen wurden. Im vergangenen Jahr halfen PKK-Kämpfer im Nordirak den Peschmerga dabei, vom IS verfolgte Jesiden im Sindschargebirge zu retten.

Die türkische Luftwaffe hat nun erneut begonnen, die PKK im Irak anzugreifen, nachdem die Organisation sich dazu bekannt hat, zwei türkische Polizisten getötet zu haben.

Die Kurden in Syrien

In Syrien leben schätzungsweise zwei Millionen Kurden vor allem im Nordosten des Landes. Lange Zeit wurden die Kurden hier unterdrückt, nach 1980 bot das Regime von Hafis al-Assad allerdings vielen PKK-Mitgliedern aus der Türkei eine Zuflucht. 2003 gründeten die Kurden in Syrien die "Partei der Demokratischen Union" (PYD), die als Zweig der PKK gilt.

Seit dem Beginn des Bürgerkriegs 2011 konnte die Partei die Kontrolle über einige kurdische Städte übernehmen, da die Regierungsarmee zum Kampf gegen die Freie Syrische Armee weitgehend abgezogen wurde. Der bewaffnete Arm der PYD, die Volksverteidigungseinheiten (YPG), kämpft gegen die Milizen des Islamischen Staates. Mit Hilfe der US-Luftwaffe ist es ihr gelungen, die vom IS eingenommene Stadt Kobanê an der syrisch-türkischen Grenze zurückzuerobern.

Die Kurden stehen offenbar kaum in Opposition zur syrischen Regierung in Damaskus. Auch werden ihnen von der Organisation Human Rights Watch Menschenrechtsverletzungen in den von ihnen kontrollierten Gebieten vorgeworfen.

Die Türkei betrachtet die PYD wie die PKK als eine Terrororganisation. Ankara hat kein Interesse daran, dass an der türkischen Grenze eine autonome kurdische Region ähnlich wie im Nordirak entstehen könnte.

Die Kurden in Iran

Zwar gehört ein Teil der etwa fünf Millionen Kurden im Nordwesten und Norden Irans - wie die Mehrheit der Iraner - dem schiitischen Glauben an. Doch zwischen beiden Gruppen gibt es große Spannungen. Erst kürzlich ist es in der Stadt Mahabad wieder zu Protesten der Kurden gekommen, die von der iranischen Regierung mehr Autonomie fordern. Mahabad war 1946 vorübergehend sogar die Hauptstadt eines Moskau-nahen kurdischen Staates, der "Republik Kurdistan". In der Vergangenheit ist es seitdem immer wieder zu Aufständen der Kurden gegen die iranische Regierung gekommen.

Es gibt drei wichtige kurdische Organisationen im Land: die schon lange existierende "Demokratische Partei des Iranischen Kurdistans" (DPKI) und sowie die Untergrundorganisationen Komala ("Gemeinschaft") und die PJAK ("Partei für ein Freies Leben in Kurdistan"). Letztere gilt als Zweig der PKK und wurde erst 2004 gegründet. Mit ihrem bewaffneten Arm (YRK) kämpft die PKK gegen die iranischen Sicherheitskräfte in den kurdischen Gebieten.

Die Komala gibt es bereits seit 1967; nach der Revolution 1979 hatten ihre Anhänger vergeblich auf eine Zusammenarbeit mit dem Regime von Ayatollah Khomeini gehofft. Komala kämpft im Nordwesten des Landes gegen die Sicherheitskräfte.

Die PJAK hat zwar 2011 einen Waffenstillstand verkündet, allerdings kommt es weiterhin zu Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften. Inzwischen hat die Organisation eine "Organisation für eine Freie und Demokratische Gesellschaft für Rojhelat" (KODAR) gegründet. Diese soll mit Teheran über ihr Ziel, eine autonome Selbstverwaltung der Kurden, verhandeln.

Komala und PJAK haben angeblich Stützpunkte im Nordirak. Auch die DPKI hat eigenen Angaben zufolge vorübergehend "Peschmerga" in den Nordirak geschickt, um gegen den IS zu kämpfen.

Die iranische Armee hat in der Vergangenheit wie die türkische Armee Stützpunkte der kurdischen Kämpfer im Nordirak angegriffen.

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