Vogelgrippe:"Wem sollen die Ärzte zuerst helfen?"

Es gibt noch keine Vogelgrippe-Pandemie - und vielleicht kommt sie auch nie. Aber falls doch, dann werden die gesundheitliche Versorgung und die öffentliche Ordnung zusammenbrechen, befürchtet der Bochumer Medizin-Ethiker Hans-Martin Sass.

Ein düsteres Bild hat der Bochumer Medizin-Ethiker Hans-Martin Sass für den Fall gemalt, dass die Vogelgrippe auf den Menschen übergreifen sollte.

Soldaten beim Einsatz auf Rügen

Soldaten beim Einsatz auf Rügen.

(Foto: Foto: AP)

"Wenn es auf Grund des Vogelgrippe-Virus' zu einer Pandemie unter Bürgern kommen sollte, dann brechen die gesundheitliche Versorgung und die öffentliche Ordnung zusammen", prophezeite der Professor der Ruhr-Universität in einem Aufsatz über "Medizinischen Ethik bei Notstand, Krieg und Terror", wie die Universität berichtete.

In seinem Aufsatz eröffne Sass unterschiedliche Szenarien - und alle seien "bedrohlich und höchst verzwickt".

Falls das H5N1-Virus tatsächlich auf den Menschen übergreife, hätten die Krankenhäuser viel zu geringe Kapazitäten, das öffentliche Leben, die Versorgung mit Lebensmitteln und Energie würde zusammenbrechen, mutmaßt der Wissenschaftler.

"Wer könnte in dieser Notstandssituation noch Entscheidungen treffen und auf welcher Basis? Wem sollen die Ärzte zuerst helfen?"

Der Medizinethiker hält die Bundesrepublik für mangelhaft vorbereitet: "Die systemische Tendenz staatlicher Bürokratien zu Geheimniskrämerei und Geheimhaltung uninformierten Bürgern gegenüber, denen man die Konfrontation mit außerordentlichen und nicht sehr erfreulichen Informationen und Ratschlägen ersparen will, ist im Falle des Unterlassens lebenswichtiger Information für Situationen eines möglichen totalen oder teilweisen Zusammenbruchs öffentlicher Leistungen und Ordnungen ordnungspolitisch unakzeptabel und unverantwortlich", meint Sass.

Der Professor fordert die vorsorgliche Bereitstellung von Medikamenten und Vorräten, vor allem aber die frühzeitige umfassende Information und Beratung der Bevölkerung.

Außerdem müsse die Katastrophenmedizin in die Ausbildung von Ärzten und Pflegern aufgenommen werden. Gesundheitswesen und Ordnungskräfte müssten auf einen möglichen Katastrophenfall vorbereitet werden.

Mehr Zuständigkeiten für den Bund gefordert

Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz hat angesichts des zögerlichen Handelns der örtlichen Behörden bei der Bekämpfung der Vogelgrippe auf Rügen mehr Zuständigkeiten für den Bund beim Katastrophenschutz verlangt.

Wiefelspütz sagte dem Rheinischen Merkur, der Bundesinnenminister solle "eine Planungs- und Koordinierungskompetenz bei länderübergreifenden Katastrophen erhalten".

Der Politiker will die entsprechende Verfassungsänderung angehen, wenn das Grundgesetz als Folge des Karlsruher Urteils zum Luftsicherheitsgesetz ohnehin geändert werde, wie er nach Angaben der Wochenzeitung sagte.

Die Bundesländer bereiten sich bereits seit längerer Zeit auf den Fall einer Pandemie vor - unter anderem, indem sie Vorräte von Grippe-Medikamenten für besonders gefährdete Personengruppen anlegen.

Ob die Medikamente im Ernstfall reichen werden und ob sie überhaupt gegen das dann aktuelle Virus wirken, kann derzeit niemand garantieren.

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