Vogelgrippe:Der Wiedergänger

Die Vogelgrippe ist ein entsetzlicher Wiedergänger unter den Epidemien. Kaum gilt sie als erloschen, flammt sie unvermutet wieder auf. Das ist kein Grund zur Panik, wohl aber zu erhöhter Wachsamkeit.

Von Werner Bartens

Unter den Epidemien ist sie ein besonderes Exemplar. Schon länger gilt die Vogelgrippe in der öffentlichen Wahrnehmung als erledigt und erloschen, da flammt sie unvermutet wieder auf. So wie jetzt zunächst am Bodensee, dann in Mecklenburg-Vorpommern und schließlich in Schleswig-Holstein, wo nun allein auf einem Hof 30 000 Hühner getötet werden müssen. Dabei war die Vogelgrippe gar nicht verschwunden, sie entzog sich zwischenzeitig nur der Aufmerksamkeit, sowie sie sich bisher auch einer effektiven Bekämpfung entzogen hat.

Im Mittelpunkt standen zuletzt vergleichsweise neue Seuchen, wie sie etwa durch eine Infektion mit dem Zika-Virus oder dem Ebola-Virus ausgelöst werden. Die mysteriösen Fehlbildungen des Gehirns und des Schädels, die mit Zika einhergehen, sowie unstillbare Blutungen bei manchen Ebola-Kranken sind für Europäer geografisch weit weg und lösen dennoch mehr Unruhe aus als eine ordinäre Grippe, die noch dazu meist Geflügel befällt.

Die Viren vermehren sich schlampig, darin liegt die Gefahr

Diese Aufmerksamkeitsökonomie, die sich besonders vor dem Fremden und Exotischen gruselt, enthält einen gefährlichen Fehlschluss. Es sind schließlich gerade jene bekannten Krankheiten und vertrauten alten Seuchen, die eine große Bedrohung darstellen. Sogar im Mittelalter verortete Leiden wie Pest und Cholera brechen immer wieder aus. Und die Tuberkulose, der in Kunst und Literatur als Schwindsucht geadelte Klassiker, gehört nach wie vor zu einer der größten Gesundheitsgefahren des Planeten. Besonders gemein ist aber auch die Grippe. Dieses Virusleiden klingt zwar furchtbar banal und nach Erkältung, ist aber mühelos in der Lage, die Erde mit Tod und Verderben zu überziehen.

Mit großer Wahrscheinlichkeit wird der aktuelle Ausbruch der Vogelgrippe zwar örtlich begrenzt verlaufen und schon bald wieder beendet sein. Doch gerade solche Grippewellen sind es, die das Potenzial in sich bergen, sich zu einer weltweiten Pandemie auszuweiten - egal ob es sich dabei um die Vogelgrippe, die Schweinegrippe, die Menschengrippe oder eine noch unbekannte Haustier- oder Giraffengrippe handelt. Grippeviren haben nämlich die unangenehme Eigenschaft, sich schlampig zu vermehren, weswegen es ständig zu Mutationen und neuen Subtypen des Erregers kommt. Die meisten davon sind nicht mal lebensfähig, etliche harmlos, andere hingegen gefährlicher als ihre Vorgänger. Und sie bergen damit die Gefahr, plötzlich infektiöser zu sein, leichter von Menschen übertragen zu werden oder schwerere Symptome hervorzurufen.

Es besteht kein Grund zur Panik, wohl aber zur Achtsamkeit. Der neue, Verderben bringende "Super-Keim" kann schon morgen aus einem konventionellen Grippe-Erreger entstehen, aber auch in einem Jahr, in zehn Jahren oder vielleicht nie. Dieses Bedrohungspotenzial ist vorhanden, auch wenn kaum einzuschätzen ist, wann und ob es je Wirklichkeit wird. Die Grippe zu unterschätzen, weil sie sich als alter, harmloser Bekannter tarnt, ist der genau falsche Weg, der Gefahr zu begegnen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: