Videoüberwachung weltweit:Big Brother im Versuchslabor

Protest-Graffito von Banksy gegen Videoüberwachung/CCTV in Großbritannien

Banksy-Street-Art in London: Millionen von Kameras im ganzen Land.

(Foto: AFP)

Was bringt die Videoüberwachung, deren Ausbau Innenminister Friedrich vehement fordert? Ein Blick nach Großbritannien zeigt: Die Technik wird überschätzt, ihr Nutzen ist umstritten. Dennoch rüsten Staaten weltweit auf - und experimentieren bereits mit Gesichtserkennung und Verhaltensprognosen.

Von Johannes Kuhn

Die Zukunft der Videoüberwachung klingt langweilig, doch Bürgerrechtler dürfte sie beunruhigen. Unter dem Namen "Domain Awareness System" (DAS) hat die Stadt New York in Zusammenarbeit mit Microsoft die perfekte Kontrollmaschine gebaut: Strafverfolgungsbehörden erhalten über DAS Zugriff auf 3000 öffentliche Überwachungskameras, können Echtzeit-Scans von Nummernschildern anfertigen und die gesammelten Informationen mit Daten aus Verbrecher- und Terrordateien abgleichen. 30 Tage lang speichert die Stadt die Aufnahmen, mit Gerichtsbeschluss auch länger.

Ob Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am New Yorker System Gefallen finden würde? Am Wochenende forderte er im Spiegel erneut "verstärkte und verbesserte Videotechnik auf öffentlichen Plätzen". Bahn und Bundespolizei müssten "die erforderliche Modernisierung der Videotechnik" nach dem missglückten Anschlag im Bonner Hauptbahnhof "schnell vorantreiben".

Mit seiner Forderung liegt Friedrich im weltweiten Trend. "Selbst Länder, die früher skeptisch waren, orientieren sich inzwischen an Großbritannien, wo bereits seit den Neunzigern die Videoüberwachung massiv ausgebaut wurde", sagt Charles Farrier von der britischen Bürgerrechtsorganisation No-CCTV. Dort sind Schätzungen zufolge etwa 56.000 Kameras im öffentlichen Raum installiert - nimmt man die Kameras auf Privatgrundstücken, in privaten Gebäuden und Einrichtungen wie Schulen dazu, kommt man auf etwa 1,8 Millionen. Für Deutschland gibt es keine verlässlichen Zahlen.

Kaum Belege für die Wirksamkeit

Bereits nach dem tödlichen Angriff auf einen 20-Jährigen am Berliner Alexanderplatz hatte Friedrich für mehr Kameras plädiert: "Gewalttäter wissen so, dass sie gefilmt werden. Videoüberwachung kann dazu beitragen, dass die Kriminalität zurückgeht."

In Großbritannien finden sich - neben dem Erfolg bei der Suche nach dem Nagelbomber von London - dafür allerdings nur wenig Belege: Eine Auswertung von mehr als 100 Studien (PDF) kam im Jahr 2008 zu dem Ergebnis, dass Überwachung via Closed Circuit Television (CCTV) zwar tatsächlich einen Einfluss auf die Kriminalitätsraten hat - allerdings nicht bei Gewaltdelikten, sondern vor allem bei Autoeinbrüchen auf Parkplätzen und in Parkhäusern.

Die Londoner Polizei interpretierte eine Umfrage wohlwollend

Aussagen der Londoner Polizei, wonach mehr als 70 Prozent aller Mordfälle in der Stadt mit Hilfe von Überwachungskameras aufgeklärt werden konnten, erwiesen sich beim genaueren Hinsehen als äußerst freizügige Interpretation: Die Ermittler hatten schlicht die Frage bejaht, ob Videoüberwachungsmaterial prinzipiell bei der Aufklärung der Taten hilfreich gewesen sei.

Die Kriminologin Emmeline Taylor kommt in einem Fachaufsatz aus dem Jahr 2010 deshalb zu dem Schluss, dass viele Statistiken und Studien schlicht unbrauchbar seien: "CCTV hat vollendete Tatsachen geschaffen, unabhängig davon, dass man über die Wirksamkeit keine gültigen Aussagen treffen kann."

Emma Carr von der britischen Bürgerrechtsorganisation Big Brother Watch bemängelt ebenfalls, dass CCTV ein zweifelhaftes Allheilmittel sei: "Häufig fehlen Statistiken darüber, was an Orten mit Kameras wirklich das Problem ist und was vor der Installation versucht wurde, um es zu lösen." "Videoüberwachung ist ein Milliardengeschäft", ergänzt No-CCTV-Mann Farrier, "und die Hersteller der Systeme versuchen mit aller Macht, die Ausrüstung voranzutreiben."

HD-Kameras und Gesichtserkennung

Vor allem China investierte in den vergangenen Jahren massiv, auch die deutsche Firma Bosch warb auf einer Sicherheitsmesse um Kunden. Allein 2010 wurden dort Schätzungen zufolge mehr als zehn Millionen Überwachungskameras installiert. Dabei kommen auch die neuesten Techniken zum Einsatz, durch die Menschen noch schneller erkennbar sein sollen: In Sportstadien und an Grenzübergängen wird bereits Gesichtserkennung eingesetzt - eine Technik, vor deren Verwendung der Westen noch zurückschreckt.

Andere Länder beginnen inzwischen damit, hochauflösende Kameras zur Überwachung einzusetzen. "Sie ermöglichen es, Ihr Gesicht in einer Menschenmenge aus bis zu 800 Meter zu erkennen", warnte jüngst der neue britische Überwachungs-Beauftragte Andrew Rennison. Seine Schlussfolgerung: "Die Technik hat uns und unsere Regulierungsmöglichkeiten längst überholt."

Wie die schöne neue Überwachungswelt einmal aussehen könnte, wird derzeit laut No-CCTV-Mann Farrier auch in der Londoner U-Bahn ausprobiert: Dort analysieren Algorithmen in Pilotprojekten das Verhalten von Fahrgästen - um zum Beispiel vorherzusagen, wer am Bahnsteig gleich eine Schlägerei anzetteln könnte.

Im Vergleich zu solchen Ideen wirkt die deutsche Überwachungstechnik tatsächlich erfreulich altbacken.

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