VG Wort:Haus in Gefahr

Einst gründeten Autoren und Verleger diese Institution, weil sie wussten: Sie haben gemeinsame Interessen, zum Beispiel gegenüber der Industrie. Am Wochenende entscheidet sich, ob es dieses Bewusstsein weiterhin gibt.

Von Lothar Müller

Fünf Wochen vor der Frankfurter Buchmesse findet an diesem Samstag in München eine Veranstaltung statt, die für die Buchbranche richtungsweisend sein könnte. Denn die Mitgliederversammlung der Verwertungsgesellschaft (VG) Wort im Hofbräukeller ist diesmal mehr als nur ein Routinetermin. Seit ihrer Gründung im Jahr 1958 ist die VG Wort eine gemeinsame Interessenvertretung von Autoren und Verlegern. Jetzt steht diese Einheit infrage.

Am 21. April hat der Bundesgerichtshof in Orientierung an einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs entschieden, dass die VG Wort ihre Tantiemen künftig ausschließlich den Urhebern zukommen lassen muss. Bisher kam ein Teil auch den Buch- und Zeitungsverlagen zugute. Das ist nun nicht nur in Zukunft unzulässig - zudem muss das während des langwierigen Rechtsstreits unter Vorbehalt an die Verlage geflossene Geld zurückgezahlt werden. Die können den Rechtstitel "Urheber" für sich nicht geltend machen, aber darauf hinweisen, dass ihre Arbeit oft nicht erst dann beginnt, wenn es gilt, ein fertiges Produkt zu vermarkten. Es war darum kein Zufall, dass Protest gegen das Urteil nicht nur von den Verlagen kam, sondern auch von Autoren, die um die Stabilität kleiner und mittlerer Verlage fürchteten.

Auf die Stärkung der Urheberposition haben der Bundestag und die VG Wort mit Appellen reagiert, die gemeinsame Rechtevertretung von Autoren und Verlagen auch künftig aufrechtzuerhalten. Aber die Bruchlinien liegen offen zutage, und es zeichnet sich ab, dass sie die Mitgliederversammlung bestimmen werden. Dass eine gemeinsame Interessenvertretung von Autoren und Verlegern nicht selbstverständlich ist, war schon den Gründern der VG Wort klar: Waren nicht Autor und Verleger natürliche Gegner, seit im 18. Jahrhundert Schriftsteller versuchten, auf das Schreiben eine ökonomische Existenz zu gründen?

Der Grund für den freiwilligen Zusammenschluss war denn auch nicht, dass Autoren und Verleger bei Vertragsschluss plötzlich an einem Strang zogen. Der Grund war, dass sie gemeinsame Interessen auf dem unübersichtlicher werdenden Terrain der Nutzungsrechte von Romanen, Sachbüchern, Zeitungsartikeln und Zeitschriftenaufsätzen entdeckten.

Autoren und Verlage haben auch gemeinsame Interessen. Das wird derzeit vergessen

Die technische Entwicklung spielte dabei eine große Rolle. Ins Zentrum der VG Wort rückte die Kontrolle der Geräte, durch die sich urheberrechtlich geschützte Werke reproduzieren ließen: Der Löwenanteil ihrer Tantiemen resultiert aus den Abgaben, die Hersteller und Importeure von Kopiergeräten und Speichermedien an sie abzuführen haben. Dass die Vervielfältigungstechniken im Zeitalter der Digitalisierung eine Schlüsselrolle spielen, ist offenkundig, nicht nur in der Musik- und Filmbranche.

Die Urheber sind kein monolithischer Block. Viele belletristische Autoren suchen durch Verzichterklärungen den Schulterschluss mit den Verlagen, viele selbständige Journalisten mögen keinen Zentimeter und keinen Cent ihrer gestärkten Position aufgeben. Und die Verlage versuchen zu retten, was zu retten ist. Es wäre zu wünschen, dass die Mitgliederversammlung die gemeinsame Interessenvertretung rettet. Allein zu Haus dürften für die Zukunft weder Urheber noch Verlage gewappnet sein.

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